26.10.2019

Avantgarde

«Werbung und Marketing sind in Nordkorea angekommen»

Bernhard Pompeÿ, Geschäftsführer von Avantgarde, konnte als erster Marketingspezialist in Pjöngjang ein Referat halten. Er spricht über seine Eindrücke des kommunistischen Landes, das Interesse an Social Media und er erklärt, wie Branding in Nordkorea funktioniert.
Avantgarde: «Werbung und Marketing sind in Nordkorea angekommen»
Bernhard Pompeÿ vor Porträts der ehemaligen Führer Nordkoreas Kim Il-sung und Kim Jong-il in Pjöngjang. (Fotos: Jamie Chan)
von Matthias Ackeret

Herr Pompeÿ, wie kamen Sie zu der Ehre, in Nordkorea als erster Westler ein Referat zum Thema Branding zu halten?
Vor drei Jahren konnte ich auf einem Wirtschaftsforum in Istanbul, bei dem ich selbst als Referent eingeladen war, einen der Professoren der Fakultät Finance and Management Pyongyang University of Sience and Technology (PUST) kennenlernen. Im Gespräch zeigte sich schnell, dass durchaus Interesse an einem Vortrag zum Thema Branding und Brandbuilding an der einzigen Privatuniversität Nordkoreas bestand. Ein weiterer bestehender Kontakt über die deutsche Botschaft untermauerte die Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit dieser Anfrage. Eine alle zwei Jahre stattfindende internationale Konferenz an der PUST musste leider aufgrund der politisch angespannten Lage 2017 ausfallen, sodass erst Anfang dieses Jahres erneut eine Anfrage für einen Vortrag eintraf. Als sogenanntes «Alien» unter den honorablen Wissenschaftlern wie beispielsweise dem Physik-Nobelpreisträger Konstantin Novoselov hatte ich die Gelegenheit, die Besonderheit und Notwendigkeit von Brand Experiences hervorzugheben – vor allem auch für einen wissenschaftlich-institutionellen Kontext.

Was sind Ihre Eindrücke von Nordkorea?
Ich bin kein Politiker – und meine Reise dorthin war nicht politisch motiviert. Mir liegt fern etwas zu relativieren noch weiter zu belasten oder zu missionieren. Mir ist wichtig genau dies zu betonen, denn auch wenn ich eben nun als wohl erster Markenexperte einen Vortrag in Nordkorea halten konnte, konnte und wollte ich nicht den Oberlehrer mit schlauen Ratschlägen geben. Meine persönliche Motivation, warum ich mich überhaupt auf dieses Abenteuer begeben habe, wird in der These von Willy Brandt aus den 80er Jahren am besten zusammengefasst: «Wandel durch Annäherung». Die Geschichte hat ja die Richtigkeit dieser These eindrücklich belegt. Und jedem Wandel wohnt auch immer etwas Kreativität inne. So habe ich meine persönliche Legitimation für diesen Besuch begründet.

«Armut und Mangel sind klar sichtbar»

Wie zeigte sich dies?
Als Teil einer Delegation konnte ich erleben, dass sich das Bild in Pjöngjang weitaus entspannter und viel alltäglicher darstellt, als es landläufig der hiesigen Presse zu entnehmen ist. Die Nordkoreaner, welche ich kennengelernt hatte, sind äusserst höflich, interessiert und wissbegierig. Und sie kennen sich hinsichtlich Marketing-Belange und Aktivitäten – von Social Media Branding bis hin zu Kommunikationskampagnen – weitaus besser aus, als man es vielleicht vermuten könnte. Ganz offensichtlich laufen allerdings auch viele Dinge anders und aus meiner Sicht nicht richtig. Armut und Mangel sind klar sichtbar und es macht leider nicht den Eindruck, dass sich das innerhalb der kommenden Jahre schnell ändern wird. Aber auch hier zeigt die Geschichte, dass ein Wandel schneller eintreten kann als man vielleicht vermutet. Den Menschen wäre es zu wünschen, wenn dieser dann rücksichtsvoll und nachhaltig von statten geht.

Der Titel Ihres Referats lautete: «Brand experience are the new currency.» Was war Ihre Grundmessage?
Eine repräsentative und recht aktuelle McKinsey-Studie belegt, dass die Menschen etwa vier Mal soviel des Ersparten in Erlebnisse stecken anstatt das Geld in physische Produkte zu investieren. Der Studienfokus dabei waren die USA, es trifft aber laut Aussage der Studie auch auf andere Industrienationen zu. Ein Beispiel: Ein Wochenende in den Bergen mit Freunden stellt eine grössere Bereicherung dar, als ein neues Paar Schuhe. Das merken natürlich auch die Marken.




Wie haben die Nordkoreaner auf Ihre Rede reagiert?
Ich bin persönlich mit zwei Zielen nach Nordkorea gefahren. Zum einen lag mein Wunsch im Austausch mit internationalen Wissenschaftlern und spezialisierten Fachleuten, die meinen beruflichen Alltag bereichern und mir neue kreative Handlungsfelder eröffnen und aufzeigen. Und zum anderen natürlich der Austausch mit den Studierenden der PUST selbst. Beides hat wunderbar funktioniert und hat mich nachhaltig beeindruckt. Die gezielten Nachfragen vor allem bei den Studierenden zeigten, dass trotz einer physischen Nicht-Existenz von Social Media der kommunikative und werbewirksame Aspekt voll durchschaut und verstanden wurde. Ich wurde im Vorfeld dazu angehalten, meinen Vortrag keiner gutgemeinten «Selbstzensur» zu unterziehen und auf vergleichsweise weniger zutreffende Analogien auszuweichen. Im Nachhinein verstehe ich warum.

Und warum?
Die Diskussion führten nur dadurch zu den spannenden Themen wie Tourismus und dessen Förderung in Nordkorea, die Vermarktung und Internationalisierung der einzigen privaten Universität, die Möglichkeiten der Vergleichbarkeit und das herausstellen möglicher Alleinstellungsmerkmale, bis hin zu tatsächlichen Brandexperiences, wie die internationale Konferenz selbst eine darstellt. Im Vorfeld noch als «profaner Marketing-Fuzzi» belächelt, entstanden schnell Gespräche mit unterschiedlichsten Professoren und Fachleuten. Ob nun von den Universität Montreal oder Seoul oder der National University of Singapore. Die Diskussionen drehten sich immer um die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten für die jeweiligen Lehrstühle, besondere Forschungsvorhaben oder die Institutionen selbst. Aber auch ganz operative Basisarbeit war gefragt: so beispielsweise bei der Begehung des PUST Campus aus Brandingperspektive.

«Werbung und Marketing sind in Nordkorea bereits angekommen»

Nun ist Nordkorea das wohl konsequenteste kommunistische Land überhaupt. Braucht es da überhaupt Werbung und Marketing?
Werbung und Marketing sind in Nordkorea bereits angekommen. Handel und Wettbewerb existieren, auch wenn sicherlich in einem anderem und viel kleinerem Ausmass als in Europa. Aus meiner Sicht sind es eher übergreifende nationale Dinge, welche hier durch Marketing und Branding beeinflusst werden. Ein Beispiel ist der bereits schon erwähnte Tourismus. Für Chinas Mittelschicht stellt Nordkorea ein ideales Ferienziel dar. Für uns ist das wohl eher schwer nachzuvollziehen, weil man sich nicht wirklich frei bewegen kann. Aber das ist ja bei einem All-inklusive-Urlaub irgendwo am Mittelmeer meist auch nicht der Fall (oder der Wunsch). Die vollkommen unberührte Natur lockt viele Chinesen. Hier unterliegen die Angebote, wie in jedem anderen Markt auch, einem direkten Wettbewerb. Das zeigt sich in Broschüren und Plakaten, Netzwerken und Handelbeziehungen mit den entsprechenden Reiseveranstaltern. Am Ende des Tages gilt auch hier, wer am glaubwürdigsten sein Angebot darstellen kann, hat bessere Chancen im Markt.

Wie war Ihr Aufenthalt? Waren Sie unter ständiger Beobachtung?
Ja. Aber das war sicherlich auch der Reisegruppe geschuldet. Dennoch, frei bewegen konnten wir uns nicht. Ein Fotografieverbot, wie ich es im Vorfeld gelesen hatte, gab es nicht. Ich wurde lediglich dazu angehalten, mich an den Buchtitel von Geoff Dyer zu halten: «But Beautiful». Ich wurde aber weder bei der Ein- noch bei der Ausreise aus Nordkorea kontrolliert. Fotos von militärischen Einrichtungen, wie beim Besuch der entmilitarisierten Zone an der Grenze zu Südkorea DMZ waren eingeschränkt gestattet. Aber das wundert ja eher weniger. Ob dieser entspannte Laissez-fair auch bei Privatreisenden so ist, kann ich allerdings nicht sagen.

Gibt es in Nordkorea überhaupt Berufskollegen von Ihnen?
Wohl eher nicht. Und mit Sicherheit nicht hinsichtlich der Kreation von Brand Experiences. In der Regel würde dann ein Input auch aus China kommen, der in jedem Belang der wichtigste wirtschaftliche Partner darstellt. Kreative Freigeistigkeit und totalitäre Systeme sind keine optimale Symbiose. Somit wird wohl auch in Zukunft der Beruf des Designers eher der eines ausführenden Mediengestalters verstanden. Potenziale, die ohne Frage im Lande vorhanden wären, bleiben leider weiterhin ungenutzt.

«Das Bild was sich mir gezeigt hat, stimmt einen mancherorts deprimiert»

Wie würden Sie ganz generell den aktuellen Zustand des Landes umschreiben?
Das Bild was sich mir gezeigt hat, stimmt einen mancherorts deprimiert. Vor allem die Fahrt über Land zur südlichen Landesgrenze. Hier zeigt sich der Mangel am deutlichsten. Dem Boden wird sprichwörtlich mit blossen Händen alles abgerungen, was die Erde hergibt. Landmaschinen sind nur selten zu sehen. Dies wird durch eine Masse an Menschen kompensiert, die in Horden die Feldarbeit, Bauarbeiten oder sonstige Tätigkeiten verrichten. Von uns als Delegation wurde kaum Notiz genommen. Zu sehr sind die Personen mit der Arbeit beschäftigt. In Pjöngjang ist das wie in jeder Grossstadt anders. Auch wenn verhältnismässig wenig Autos auf den breiten Strassen fahren, zeigt sich ein weitaus moderneres Leben. Dennoch kein Vergleich zu anderen Metropolen wie Seoul, Moskau, New York, Berlin oder Zürich.

Ist eine Wiederholung geplant?
Ausgeschlossen ist es nicht. Aber inwiefern ich persönlich mit meinem Wissen einen Mehrwert für die Universität und allen voran für die Studierenden darstellen könnte, erschliesst sich mir aktuell zumindest nicht. Ich bin ein Freigeist und bleibe ein Freigeist. Studierende in Nordkorea sind dieses hinterfragende Denken nicht gewohnt. Zusätzlich erschweren würde die soziale Kontrolle untereinander. Jemanden unter diesen Umständen zum Um- respektive Weiterdenken zu motivieren, ist äusserst fraglich. Und mit infantilen Planspielchen wäre ja auch keinem geholfen. Die Kontakte, die ich neu knüpfen konnte, zeigen mir den Weg nach Singapur, Ulan Bator und New York. Mit Mehrwert für alle Beteiligten. 2020 wird spannend und sicherlich wieder voller Experiences.



Bernhard Pompeÿ ist seit 2015 Geschäftsführer von Avantgarde Switzerland mit Sitz in Zürich. Avantgarde kreiert und realisiert für nationale wie internationale Kunden Brand Experiences welche Kunden nachhaltig zu Fans der Marke machen – analog wie digital. www.avantgarde.net



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