Herr Rivola, Sie sind vom Bakom ins Bünderland gegangen. Wo kommuniziert es sich besser?
Als Tessiner müsste ich sagen im Tessin... Spass beiseite, die Kommunikation in Bundesbern ist tatsächlich ganz anders als in einer Tourismusregion. Im Bakom arbeitet ein interessanter Mix aus Juristen und Ingenieuren, und die Kommunikationsfachleute haben die wichtige Aufgabe, komplexe juristische und technische Vorgänge sowie Begriffe in eine Allgemeinsprache für Medien und Öffentlichkeit zu «übersetzen». Veränderungen und Wandel im politischen Umfeld hautnah mitzubekommen und zu kommunizieren, war äusserst spannend und bereichernd.
Wie kann da Ihr jetziger Job für Engadin St. Moritz Tourismus (ESTM) mithalten?
Im Tourismus habe ich den Vorteil, dass wir Sehnsüchte wecken oder im besten Fall bestätigen dürfen. Wir arbeiten mit einem höchst emotionalen Produkt, was automatisch andere kommunikative Schwerpunkte mit sich bringt. Hier sind Bildsprache, Bewegtbild und neue Medien essenziell, um unsere Zielgruppen zu erreichen und Botschaften zu transportieren. Somit habe ich im Engadin sicherlich mehr Platz für Kreativität. Trotzdem ist man in der Kommunikation beider Welten in einer Drehscheibenposition mit verschiedensten Anspruchsgruppen. Das macht beide Stellen so interessant. Ich möchte beide Erfahrungen nicht missen.
«Es braucht vor allem Investoren, die an die Zukunft von St. Moritz glauben»
Christian Jenny wurde Anfang Oktober zum neuen Gemeindepräsidenten von St. Moritz gewählt. Wem haben Sie Ihre Stimme gegeben?
Ich wohne in Pontresina... So war ich mit dieser schwierigen Wahl nicht direkt konfrontiert. Mit dem bisherigen Gemeindepräsidenten habe ich sehr gut gearbeitet, unter anderem im Rahmen der Kommunikation für «150 Jahre Wintertourismus» oder der Ski-Weltmeisterschaften. Mit Christian Jenny hatte ich ständig Kontakt für sein Festival da Jazz, und auch mit ihm ist die Zusammenarbeit optimal verlaufen. Es sind zwei ganz unterschiedliche und interessante Persönlichkeiten, mit unterschiedlichen Kommunikationsansätzen.
Teilen Sie die Einschätzung von Jenny, dass St. Moritz wieder mehr «Mut und Durchsetzungskraft» braucht?
St. Moritz braucht vor allem neue Projekte und Investoren, die an die Zukunft von St. Moritz glauben. Wir sind der Meinung, dass unsere neue Strategie eine gute Grundlage für die Zukunft bildet, damit St. Moritz nicht nur in den Fernmärkten, sondern auch in Europa und in der Schweiz als Leuchtturm da steht.
Seit dem 1. Januar 2018 werden die beiden Marken Engadin und St. Moritz separat positioniert und vermarktet. Hat sich das aus Ihrer Sicht gelohnt?
Die Implementierung der beiden neuen Marken hat erst angefangen: Wir haben jedoch bereits positive Signale sowohl vor Ort wie auch von Medienschaffenden und Tour Operators erhalten. Wir stellen fest, dass die angestrebten Positionierungen mit einem urbanen Lifestyle auf 1800 Meter und der damit verbundenen «Extravaganz» für St. Moritz sowie das Engadin als inspirierender Sehnsuchtsort in den Schweizer Bergen in der öffentlichen Wahrnehmung bereits gut verankert sind.
«Vielleicht könnte mein Hobby den St. Moritzern etwas extravagant erscheinen»
Das Engadin wird neu mit dem Wert «Sehnsucht», St. Moritz mit «extravagant» vermarktet. Welcher Begriff passt besser zu Ihnen?
In meiner Funktion darf ich beides sein: mich tagsüber in der extravaganten St. Moritzer Welt bewegen und nachts von der inspirierenden Engadiner Natur träumen.
Dann wohnen Sie nicht extravagant?
Ich wohne in Pontresina in einem Neubau mit einer wunderbaren Aussicht auf die Engadiner Bergwelt, das kann man wohl als etwas extravagant bezeichnen. Vielleicht könnte eher mein Hobby den St. Moritzern etwas extravagant erscheinen: So zum Beispiel, wenn ich in der Nacht auf einem Berg laufe anstatt Party zu feiern…
15 Jahre verantworteten Sie die Unternehmenskommunikation des Bakom, bevor Sie vor fünf Jahren in die Kommunikation von ESTM wechselten. Hatten Sie genug von Bundesbern und der Medienwelt?
Ich verbrachte öfters meine Ferien im Oberengadin und hatte mir als Ziel gesetzt, nach der Pensionierung hier zu leben. Zehn Jahre vor der Pensionierung ist meine heutige Stelle ausgeschrieben worden: Ich habe mich sofort beworben, auch weil meine Kinder bereits auf eigenen Beinen standen, und ich damit die Region Bern verlassen konnte.
Verfolgen Sie nach wie vor die Entwicklung in der Medienlandschaft Schweiz? Wie stehen Sie zum vieldiskutierten Entwurf des neuen Mediengesetzes?
Ich muss gestehen, dass ich die Entwicklung nur am Rande verfolge, im Tourismus haben wir so viele Herausforderungen, die mich auf Trab halten. Ich masse mir nicht an, die Arbeit meiner ehemaligen Kollegen zu beurteilen, da ich die notwendigen Insiderkenntnisse nicht mehr habe. Immerhin habe ich aber dieses Jahr wieder einmal am Swiss Media Forum teilgenommen.
«Ist man einmal zwölf Stunden am Stück in einer Wüste gelaufen, dann übersteht man auch die längste Sitzung»
Wie unterscheidet sich Ihre jetzige Arbeit von Ihrer Aufgabe im Bakom?
Als junger Kommunikator dachte ich: «Kommunikation ist überall Kommunikation», unabhängig davon, in welcher Branche man tätig ist. In der Tat hat jede Branche ihre Regeln und ihre «Rituale», das hatte ich bereits bei meinen Funktionen an Bike- und Velo-Meisterschaften oder an einem UNO-Weltgipfel in Genf festgestellt. Was die Medien anbelangt: Während ich beim Bakom einen regen Kontakt mit Bundeshaus- und Wirtschaftsjournalisten hatte, tausche ich mich hier mehrheitlich mit Lokal- und Regionalmedien aus, die eine andere Agenda haben.
Sie sind ein erfolgreicher Wüsten- und Ultratrail-Runner – ein trainingsintensives Hobby: Kommen Sie überhaupt noch zum Arbeiten?
Es ist alles eine Sache der Organisation: Man kann zum Beispiel um fünf Uhr morgens über einen Berg zur Arbeit laufen und am Abend auf einer kürzeren Strecke im Wald und entlang inspirierenden Seen heim laufen und den Kopf dabei lüften. Und am Wochenende habe ich mein Trainingsgelände vor der Haustür und muss nicht stundenlang Zug oder Auto fahren.
Welche Qualitäten haben Sie durch Ihre sportliche Aktivität erworben, die Ihnen in Ihrem Arbeitsalltag helfen?
Bestimmt Ausdauervermögen: Ist man einmal zwölf oder mehr Stunden am Stück in einer Wüste oder in den Bergen gelaufen, dann übersteht man auch die längste Sitzung… Zudem hilft die Pflege von wichtigen Details in der Vorbereitung und im Wettkampf, die Arbeit zu strukturieren und nach geeigneten Lösungen zu suchen.
«Es ist so schwierig, die Aussicht aus meinem Bürofenster zu beschreiben»
Welches ist die grösste Herausforderung in Ihrem Berufsalltag?
Wir können noch so viel Geld ins Marketing stecken: In der globalisierten Welt sind wir von politischen und wirtschaftlichen Faktoren abhängig, die wir nicht beeinflussen können; denken Sie schon nur an die Fluktuationen des Euro-Kurses. Eine interessante Herausforderung ist es, auf 13 unterschiedlichsten Märkten zu arbeiten: von der Schweiz über die traditionellen europäischen Märkte bis China, Indien, USA, die Golfstaaten, und sich mit den verschiedensten Kommunikationskulturen auseinander zu setzen.
Verraten Sie uns Ihren grössten beruflichen Erfolg bei ESTM.
Ich bin der Überzeugung, dass die Marken Engadin und St. Moritz auf einem sehr guten Weg sind. Denn es gibt viele Menschen, die sich beruflich und privat leidenschaftlich für die Region einsetzen. Erfolg oder Misserfolg in der Kommunikation einer Tourismusregion einer einzelnen Person zuzuschreiben, finde ich nicht richtig. Es ist immer der Einsatz vieler Menschen sowie des gesamten Teams, das zu guten Ergebnissen führt. Anlässlich meiner Pensionierung in gut fünf Jahren ziehe ich sicher eine persönliche Bilanz und schaue auf das gemeinsam Erreichte zurück.
Zu guter Letzt: Mit welchem Argument locken Sie reisefaule Unterländer ins Engadiner Ferienparadies?
Es ist so schwierig, die Aussicht aus meinem Bürofenster zu beschreiben: blauer Himmel, goldene Lärchen und der Piz Mezdi mit einem Hauch Neuschnee. Gluschtig gmacht? Oder haben Sie lieber Bise und Hochnebel? Und übrigens: Ab dem 20. Oktober kann man auf der Diavolezza Ski fahren.
Das Interview wurde schriftlich geführt.