Gab es zum geplanten Börsengang ein Alternativszenario, zum Beispiel den Verkauf an ein grösseres Medienunternehmen?
Favre: "Die Besitzerfamilie hat verschiedene Variante geprüft und erachtet den Börsengang für das Unternehmen als beste Lösung. Die Geschäftsleitung wurde erst Mitte April involviert, drei Wochen vor der Pressekonferenz im Mai."
Fanden Verhandlungen mit möglichen Käufern statt?
Favre: "Soviel ich weiss, gab es keine Verhandlungen."
Schüttet die Tamedia den jetzigen Aktionären deshalb eine Extradividende von 250 Millionen Franken aus, um ihnen den Börsengang zu versüssen?
Favre: "Tamedia ist 107 Jahre alt, und die Familie hat in dieser Zeit das Geld permanent in die Unternehmung investiert. Eigentlich hätte sie jährlich mehr Dividenden ausschütten können. Dass man jetzt die Bilanzstruktur bereinigt, ist ganz normal." Eberle: "Die Tamedia hat zuviel Eigenkapital, die Quote liegt bei 61 Prozent, dieses reduzieren wir jetzt auf 43 Prozent. Der einfachste Weg, um eine gute Bilanzstruktur zu erhalten ist, dass man Dividenden ausschüttet."
Die Tamedia plant nun ein Mitarbeiterbeteiligungsprogramm. Dieses sieht vor, dass ein Mitarbeiter Aktien zu 20 Prozent unter dem Bezugspreis kaufen kann und ein Kadermitglied Optionen erhält. Wie sieht das Modell genau aus?
Eberle: "Ein Mitarbeiter kann für 8000 Franken Aktien kaufen, auf die er 20 Prozent Ermässigung erhält. Ein Kadermitarbeiter kann zusätzlich 20'000 Franken investieren. Pro Aktie erhält er zwei Optionen, die ihn dazu berechtigen, in den nächsten Jahren Aktien zum Emissionspreis zu kaufen."
Hat das oberste Kader weitere Bezugsvorteile?
Favre: "Für das oberste Kader wird es ein weiteres Programm geben, wobei die Konzeption dieselbe ist. Es handelt sich ebenfalls um einen limitierten Betrag. Doch der Entscheid liegt noch beim Verwaltungsrat, der in den nächsten paar Tagen entscheiden wird."
Die Familie behält die finanzielle Konrolle über das Unternehmen, indem sie eine erste Tranche von 23 Prozent und in einem Jahr eine weitere von 10 Prozent verkauft. Im Verwaltungsrat aber gibt sie die Kontrolle ab, indem nur noch zwei von sieben Verwaltungsräten aus der Familie stammen: Hans Heinrich Coninx und Pietro Supino.
Favre: "Kontrollorgan ist der Verwaltungsrat, der künftig noch zwei aus Familienmitgliedern von insgesamt sieben Verwaltungsräten bestehen wird. Die Familie gibt damit die strategische Führung ab."
Warum geht man überhaupt mit zwei Tranchen an die Börse?
Eberle: "Aus Steuergründen, welche die Familienaktionäre betreffen."
Es gibt eine Aktien-Stimmrechtsbeschränkung von fünf Prozent. Ist das nicht veraltet?
Eberle: "Unser wichtigstes Asset ist, dass wir unabhängig von verschiedenen Interessengruppen sind. Diese Stimmrechtsbeschränkung soll diese Unabhängigkeit schützen helfen. Es ist eine weitsichtige Lösung, die man getroffen hat."
Tamedia positioniert sich als multimedialer Content Provider. Doch kann man wirklich davon sprechen, wenn man in Betracht zieht, dass man im ersten Halbjahr 2000 einen Umsatz von 360 Millionen Franken im Print und nur gerade 16 Millionen Franken in Electronic Media erwirtschaftete?
Favre: "Das muss man historisch sehen. Print hat eine Geschichte von 107 Jahren, Electronic Media nur gerade ein Jahr. Vor sechs Jahren haben wir erste Schritte mit TA-Online und Tele Züri unternommen. In den effektiven Ausbau mit TV3 und Winner investieren wir erst seit einem Jahr."
Müsste die Tamedia nicht eine bedeutende Übernahme in Electronic Media machen, um wirklich zu einem multimedialen Content Provider zu werden?
Favre: "Einen solchen Plan gibt es nicht. Die grossen Titel sind alle organisch gewachsen. Der Electronic Media muss man nun etwas Zeit lassen. Wir sind bereit, in die Electronic Media in den nächsten drei bis fünf Jahren zu investieren, zusammen mit Partnern." Eberle: "Wir glauben sehr stark an die Medienkonvergenz: zuerst kommt der Inhalt, dann Distributionskanal, so ist die Aufteilung in die drei Bereiche Print, Electronic Media und Services sekundär."
Bluewin gab gestern die Partnerschaft mit PrimusOnline bekannt, einer grossen deutschen Shopping-Plattform. Ist dadurch die Winner-Partnerschaft mit Bluewin gefährdet?
Favre: "Nein, es gibt im Internetgeschäft keine Exklusivverträge. Wir haben kein Shoppingportal, insofern ist das sogar eine Verstärkung für unseren strategischen Partner Bluewin."
Kann man heute überhaupt noch Freund und Feind voneinander trennen?
Favre: "Man kann heute nicht mehr in Schwarz und Weiss malen. Wir sind ja auf dem Platz Zürich im Vertrieb auch Partner der NZZ und gleichzeitig Konkurrenten im Lesermarkt. Konkurrenz und Kooperation schliessen sich nicht aus. Da muss man differenzieren können."
Roger Schawinski plant eine TV-Börsenkanal mit Internetanbindung. An Schawinskis Belcom ist die Credit Suisse beteiligt. Die Credit Suisse ist auch Partner zusammen mit Tamedia und Bluewin bei einem Finanzportalprojekt. Gibt es Kooperationspläne?
Eberle: "Nein, es gibt keine Gespräche."
Das Konzernergebnis im Jahr 2000 wird schlechter sein als das vom letzten Jahr wegen TV3 und Winner. Ist dieses Jahr überhaupt geeignet für einen IPO?
Eberle: "Wir haben die Marge im Print auf über 32 Prozent verbessert, wir haben das sehr profitable Unternehmen Finanz & Wirtschaft übernommen, aber es ist klar, dass wir in den Electronic Media massiv investieren müssen."
Es gibt immer wieder Gerüchte, dass TV3 eingestellt werden könnte.
Favre: "Es gibt sicherlich viele Leute, die sich das wünschen. Es ist die Tradition des Unternehmens, dass wir uns Zeit nehmen, Entscheide richtig zu fällen und an unseren Zeilen festzuhalten. Wir haben TV3 erfolgreich lanciert. Innerhalb sehr kurzer Zeit haben wir Marktanteile bis zu 4,5 Prozent erreicht."
Ist die Annahme richtig, dass die Tamedia hauptsächlich durch den Stellenbereich getragen wird?
Eberle: "Der Stellenbereich bringt insgesamt einen Umsatz von rund 150 Millionen Franken ein, über die Margen der einzelnen Bereich geben wir aber keine Auskunft."
Da der Aufwand für den Stellen-Bereich relativ gering ist, kann man von einem Gewinn von vielleicht über 100 Millionen Franken ausgehen. Ist die Tamedia dadurch stark von der Konjunktur abhängig?
Favre: "Jedes Medienunternehmen lebt von der Werbung. Die wiederum ist abhängig von der Konjunktur. Auf der anderen Seite gibt es auch Rubrikenbereiche, die sich antizyklisch zur Konjunktur verhalten."