12.10.2022

Die Zeit

«Das Tor hat dem Film gutgetan»

Der TV-Sender 3sat hat eine Doku über den Zeit-Alpenpodcast «Servus. Grüezi. Hallo.» der Journalisten Matthias Daum, Florian Gasser und Lenz Jacobsen ausgestrahlt. Ein Gespräch über Glarner Kalberwurst, die zerbrochene Brille des Ex-BVB-Trainers Jürgen Klopp und eine Knochenmühle.
Die Zeit: «Das Tor hat dem Film gutgetan»
Die Zeit-Journalisten an der Landsgemeinde Glarus (v.l.): Florian Gasser, Matthias Daum und Lenz Jacobsen. (Bilder: SRF/ZDF)

«Servus. Grüezi. Hallo.»: Herren Gasser, Daum und Jacobsen, mit diesen Worten von Ihnen drei startet die 3sat-Doku* über den gleichnamigen Zeit-Podcast. Wie oft mussten Sie proben, bis diese Szene ohne gegenseitiges Gelächter im Kasten war?
Florian Gasser: Wir standen auf der Halde Rheinelbe in Gelsenkirchen …

Matthias Daum: … es war kalt, der Wind pfiff uns um die Ohren und wir haben uns sehr bemüht, dass es schnell geht. 

Lenz Jacobsen: Ich glaube, dreimal haben wir das gemacht, oder? Am Ende hat es aber noch geklappt.

Daum: Dann wollten auch die Kameracrew, unser Regisseur Roger Brunner und der Kabarettist Frank Goosen, der uns den Fussball im Pott erklärte, zurück ins Warme. 

Gasser: Wir aber auch!

In der Doku gehen Sie auf eine Reise in die drei Länder, über die Sie für Die Zeit berichten. Den Anfang macht Herr Daum, der den anderen beiden die Landsgemeinde Glarus präsentiert. Ist Ihr Respekt vor der direkten Demokratie in der Schweiz grösser geworden?
Gasser: Respekt hatte ich schon davor. Mir gefällt der politische Diskurs in der Schweiz, der sich durch die direkte Demokratie im Vergleich zu Österreich weniger an tagespolitischem Klein-Klein orientiert.

Daum: Du würdest doch das kakanische Drama vermissen!

Gasser: Hmm, a bissl. Bei euch wird halt laufend über Sachthemen gesprochen.

Jacobsen: Mein Respekt ist sicher gewachsen, was aber auch heisst: Mir ist danach noch viel klarer geworden, dass sich sowas nicht einfach exportieren und kopieren lässt, sondern dass das eine über Jahrzehnte, Jahrhunderte gewachsene Kultur ist. 

Gasser: An der Landsgemeinde hat mir imponiert, wie informiert die Menschen sind, auch wenn komplizierte Dinge verhandelt werden. Beispielsweise ging es um den Verkauf der Kantonalbank, der schlussendlich abgelehnt wurde. Die Wortmeldungen dazu hatten teilweise mehr Substanz als so manche Beiträge im österreichischen Nationalrat.

Aber Sie, Herr Jacobsen, finden das Konzept der Landsgemeinde trotz allem «total unseriös». Weshalb?
Jacobsen: Weil die Leute bei den Abstimmungen einfach nur die Hand heben und die arme Versammlungsleitung dann das Ergebnis schätzen muss. Das ist zwar irgendwie charmant altertümlich, aber auch unnötig ungenau. Ich glaube, es würde der demokratischen Qualität der Landsgemeinde eher nutzen, wenn präzise, vielleicht mit digitalen Abstimmungsgeräten, ausgezählt würde.

Gasser: Das sehe ich anders. Die Abstimmung per Handzeichen finde ich toll, meistens war es ohnehin auf den ersten Blick ersichtlich, was abgelehnt oder angenommen wurde.

«Toll war, dass sich da Leute, die keine Berufspolitiker sind, am Ende in die Arme fallen, weil sie etwas durchgesetzt haben»

Was hat Sie, Herren Gasser und Jacobsen, an dieser ausgeprägten Form der direkten Demokratie besonders überrascht?
Jacobsen: Die Gelassenheit, mit der dort über teils wirklich grosse Fragen diskutiert und entschieden wird. Es wird eigentlich gar nicht gross und laut gestritten. Ich habe den Eindruck, dass die Mitverantwortung, die die Bürgerinnen und Bürger an der Landsgemeinde für die Politik übernehmen, den Diskurs versachlicht und die Emotionen nicht so überschiessen lässt wie oft in Deutschland. Und toll war, dass sich da Leute, die keine Berufspolitiker sind, am Ende in die Arme fallen, weil sie etwas durchgesetzt haben. Das ist ein demokratischer Stolz, den es so in Deutschland auch gar nicht geben kann.

Gasser: Wie respektvoll miteinander umgegangen wird. Wie ältere Menschen die jüngeren dazu animieren, auch auf den Bock zu gehen, zu sprechen und für ihre Anliegen einzutreten, auch wenn sie anderer Meinung sind. Und wie man ohne Streit auseinandergeht. Es wird kontrovers diskutiert, abgestimmt – und dann sitzt man bei einer Glarner Kalberwurst zusammen.

Jacobsen: Da hat sogar Matthias etwas gelernt.

Daum: Jajaja, man isst die Haut nicht.

Herren Daum und Gasser, vor dieser Doku war der Mythos um den Bundesligaverein Borussia Dortmund (BVB) wohl kaum greifbar für Sie. Inwiefern hat sich das durch die Stadionführung des BVB-Fans und in Dortmund aufgewachsenen Kollegen Lenz Jacobsen verändert?
Gasser: Dass man in Deutschland den Fussball sehr ernst nimmt, das wusste ich schon vorher. Aber wie eine ganze Stadt mit und für den Fussball lebt, das war für mich überraschend.

Daum: Kaum ist man aus dem Hauptbahnhof raus, sieht man schwarz-gelbe Fahnen an den Häusern.

Gasser: Oder stolpert ins Deutsche Fussballmuseum. Nicht einmal in Italien habe ich dieses Leben mit und für den Fussball in der Form erlebt.

Daum: Mir scheint, die Fussballbegeisterung in Dortmund spiegelt den Charakter der Menschen dort: Die ist ungekünstelt, völlig ironiefrei, aber: Sie lassen einen gerne an ihrer «echten Liebe» teilhaben.

Gasser: Mit welcher Euphorie Lenz die Geschichte der Stadt und der Menschen anhand des Stadions erzählen konnte, hat mir klarer gemacht, wie wichtig der BVB ist. Trotzdem bleibt das Phänomen für mich nach wie vor rätselhaft.

Was hat Sie beide besonders beeindruckt?
Daum: Die Lautstärke! Ich war schon in einigen Fussballstadien, aber so laut war es nirgends. 

Jacobsen: Seit wann hat Zürich ein Fussballstadion?

Daum: Nicht frech werden!

Gasser: Die gelbe Wand. 25'000 Dortmund-Fans allein auf der Südtribüne, das sind Dimensionen, die nicht mehr greifbar sind. Und natürlich die zerbrochene Brille von Jürgen Klopp. 

Jacobsen: Die hat dich völlig aus dem Konzept gebracht.

Gasser: Wozu die in einer eigenen Vitrine im Museum des BVB liegt, das verstehe ich nicht – muss ich aber auch nicht verstehen.

Daum: Das ist eine Reliquie, als guter Katholik solltest du das doch verstehen! Sowieso hat ein Matchbesuch im Westfalenstadion etwas von einem Gottesdienst: Alle Teilnehmer wissen genau, was sie wann zu machen haben. Das gibt dem Ganzen einen fast sakralen Touch.

«Die Stimmung von Lenz ist immer schlechter geworden, er hat mitgelitten und fand das Spiel furchtbar»

Zusammen haben Sie das Ruhrpott-Derby BVB gegen Schalke 04 im Stadion verfolgt. Sie sind zwar keine BVB-Fans geworden, aber Sie wirkten schon sehr erleichtert, als Dortmund das siegbringende 1:0 erzielt hatte. Weil Sie sich Sorgen um die Stimmungslage des immer ernster wirkenden Herrn Jacobsen machten?
Gasser: Wir haben uns im Stadion mit den Handys selbst gefilmt und gingen Lenz wahnsinnig auf die Nerven damit. Seine Stimmung ist immer schlechter geworden, er hat mitgelitten und fand das Spiel furchtbar.

Daum: Das Spiel war auch wirklich schlecht. Vor allem in der ersten Halbzeit. Schalke hat gut verteidigt und Dortmund lief ein ums andere Mal auf.

Gasser: Dass wir ihn damit aufgezogen haben, machte die Sache nicht besser.

Jacobsen: Ich habe mich viel mehr über euch geärgert als über das Spiel! Es gibt ja nichts Schlimmeres, als wenn man etwas wirklich ernst meint, wenn man dadurch auch emotional verletzlich ist für das, was im Spiel passiert, und wenn dann so zwei Hanseln daneben sitzen und sich halb ironisch drüber lustig machen – so nach dem Motto: Schau mal, dem bedeutet das ja was, wie süss.

Gasser: Als das Tor fiel, sprang Lenz auf, umarmte und küsste mich. Ich habe ihn noch nie so glücklich gesehen. Seine Euphorie war derart ansteckend, dass sogar ich mich gefreut habe – obwohl es mir an und für sich ja herzlich wurscht war, ob nun der BVB oder Schalke gewinnt.

Daum: Das Tor hat dem Film gutgetan.

Herr Gasser hat Ihnen – Herren Daum und Jacobsen – die Tiroler Tourismus-Destinationen Sölden und Kitzbühel gezeigt, die sich doch stark unterscheiden. Was haben Sie darüber und über die Leute dort gelernt?
Daum: Ich habe mir Sölden hässlicher vorgestellt.

Gasser: Warum sollte man einen Tourismusort möglichst hässlich machen? Man will doch, dass sich die Menschen dort wohlfühlen.

Jacobsen: Wir waren ja im Mai da, und Sölden im Mai ist schon deprimierender als es Dortmund jemals sein kann. Das hatte den Charme eines leeren Industriegebiets. Aber gelernt habe ich, dass Tourismus nicht einfach nur ein Job ist, eine Branche, sondern eine Identität, wie bei Rosi, der Gastwirtin, die wir in Kitzbühel getroffen haben. 

Hat es Sie beide überrascht, welche wirtschaftliche Macht der Tourismus in beiden Orten einnimmt?
Daum: Vor allem, welche politische Macht er hat. Diese Verhaberung von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft scheint mir in Österreich noch ausgeprägter zu sein als in der Schweiz. Von aussen betrachtet hat das einen gewissen Unterhaltungswert, weil alle Mächtigen abstreiten, mächtig zu sein. Selbst ein Talkaiser wie Jack Falkner behauptet das. Würde ich hingegen dort leben, hätte ich grösste Mühe damit. 

Jacobsen: Ich neide den Leuten schon ihre schöne Gegend. Auch Florian beneide ich um seinen Wohnort Innsbruck. Aber für dieses Tourismus-Hamsterrad, in dem viele Regionen dort stecken – immer mehr, immer grösser, immer rücksichtsloser – darum beneide ich sie nicht. Das ist eine Knochenmühle, für die ich nur Mitleid habe.

«Ich habe gelernt, dass sich Florian und Lenz nicht von ihrem Irrglauben abbringen lassen, dass ihre elenden Rollkoffer praktisch sind»

Gab es dennoch Annahmen über Sölden und Kitzbühel, die sich als Vorurteile erwiesen haben? Zum Beispiel?
Daum: Der Blick von Rosis Sonnenbergstuben über die sanft gehügelte Landschaft – und im Hintergrund die schroffen Berge des Wilden Kaisers. Das war wunderschön! Da verstehe ich jeden Promi, der sich dort eine Chalet-Villa bauen will. 

Jacobsen: Mein Vorurteil war: Das ist alles freundliche, aber verlogene Kulisse, um zahlungskräftige Deutsche auszunehmen. Jetzt denke ich: Nein, die Leute sind, zumindest teilweise, schon ernsthaft stolz auf ihre Landschaft und freuen sich, sie anderen zu zeigen und damit ihr Geld zu verdienen.

Haben Sie durch die Doku eigentlich Neues, Ungeahntes an Ihren Kollegen entdeckt?
Gasser: Wie viel Zeit Lenz und Matthias damit verbringen können, sich auf ein Restaurant zu einigen.

Daum: Dass sich Florian und Lenz nicht von ihrem Irrglauben abbringen lassen, dass ihre elenden Rollkoffer praktisch sind!

Wie kam es eigentlich zu dieser Doku?
Daum: Roger Brunner von 3sat, der ein grosser Fan unseres Alpenpodcasts ist, kam vor zwei Jahren auf uns zu. Aus einer unverbindlichen Kaffeeplausch-Idee entstand dann nach und nach das Konzept für diese Doku.

Gasser: Wir waren aber alle dann doch recht baff, als Roger in einem unserer zahlreichen Video-Calls meinte: Freunde, jetzt gibt es kein Zurück mehr: Das Budget ist besprochen, der Sendeplatz reserviert.

Jacobsen: Ich finde es ja schon irre, dass uns ernsthaft Leute jede Woche fast eine Stunde beim Labern zuhören. Dass sie uns nun auch noch über anderthalb Stunden dabei zusehen, freiwillig, finde ich völlig unvorstellbar.

Zum Schluss: Schlagen Sie nun eine Karriere als Doku-Protagonist ein oder bleiben Sie doch lieber beim Podcasten?
Daum: Mal schauen, wie die Doku ankommt. Aber es hat schon grossen Spass gemacht.

Gasser: Dem Podcasten bleiben wir aber sicher treu.


*Der Dokufilm «‹Servus. Grüezi. Hallo. unterwegs» ist am 12. Oktober um 20.15 Uhr auf dem TV-Sender 3sat ausgestrahlt worden. Er ist in der 3sat-Mediathek unter diesem Link verfügbar.


Kommentar wird gesendet...

KOMMENTARE

Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren