14.02.2024

Stellenabbau

«Der Abbau schafft auch Platz für neue Angebote»

Im letzten halben Jahr haben die grossen Medienunternehmen um die 500 Stellen gestrichen. Was das für die Betroffenen bedeutet und wie der Abbau die Medienvielfalt bereichert, sagt die langjährige Gewerkschafterin Stephanie Vonarburg im Interview.
Stellenabbau: «Der Abbau schafft auch Platz für neue Angebote»
Sie ist vor Ort, wenns brennt: Stephanie Vonarburg (Bild: zVg/Frantisek Matous)

Tamedia, CH Media, Ringier und ESH Médias haben allein in den letzten Monaten mehrere Hundert Stellen abgebaut. Stephanie Vonarburg, haben Sie eine solche Abbauwelle in den letzten 25 Jahren, in der Sie als Gewerkschafterin arbeiten, schon einmal erlebt?
In so kurzer Zeit und in dem Umfang habe ich das noch nicht erlebt. Das ist etwas Neues, dass seit September 2023 Medienunternehmen nonstop Stellen abbauen – und das sogar im Umfang von Massenentlassungen.

Die Unternehmen begründen den Abbau mit dem Rückgang von Werbeeinnahmen und mit Restrukturierungsbedarf. Halten Sie das für plausibel?
Durchaus, aber man kann die Abbaumassnahmen trotzdem infrage stellen. Bei Unternehmen, wie zum Beispiel Tamedia, die den Abbaureigen im September eröffneten, gehen die Werbeeinnahmen schon zurück, aber sie bewegen sich immer noch auf hohem Niveau. Wenn man zudem bedenkt, dass sich die Werbung verschoben hat auf die kommerziellen Plattformen, die den gleichen Unternehmen gehören, dann kann man sich schon fragen, ob dieser massive Abbau bei den Medien gerechtfertigt ist. Auch Ringier hat digitale Marketplaces. Dort wird immer noch sehr viel Geld verdient. Das ist Geld, das in den Medien und im Journalismus fehlt. Das hinterfragen wir als Gewerkschaft schon stark.

«Bei Ringier nehme ich den Versuch wahr, möglichst wenig in die Redaktionen reinzuschneiden»

Wie viele Journalistinnen und Journalisten sind insgesamt entlassen worden?
Das ist schwierig zu sagen. Selbst wir als Gewerkschaft erhalten hierzu keine detaillierte Aufschlüsselung. Gerade bei Ringier nehme ich aber den Versuch wahr, möglichst wenig in die Redaktionen reinzuschneiden und dort abzubauen. Bei CH Media dagegen hat es gerade in den Regionen zum Teil einschneidende Abbaumassnahmen gegeben auf den Redaktionen. Gleichzeitig sind auch viele der anderen Funktionen, wo gespart wurde, für den journalistischen Output essenziell. Darum ist es wenig sinnvoll, nur Journalistinnen und Journalisten zu zählen.

Von welcher Summe der abgebauten Stellen reden wir insgesamt?
Es sind definitiv mehrere Hundert, ich schätze bis zu 500, wenn auch noch die Westschweiz dazukommt mit dem kürzlich angekündigten Stellenabbau bei ESH.

Meinen Sie 500 Vollzeitstellen oder 500 Personen?
Ich rede eigentlich immer von Personen. Die allermeisten Betroffenen verlieren ihren Hauptjob, da spielt es keine Rolle, ob sie zu 80, 90 oder 100 Prozent angestellt waren. Am Schluss fehlen viele Köpfe.

«Tamedia zeigte anfänglich wenig Bereitschaft, uns als Gewerkschaft anzuerkennen»

Sie sind bei all diesen Abbauprozessen direkt involviert als Gewerkschaftsvertreterin, die das Personal unterstützt. Welche Unterschiede machen Sie aus beim Vorgehen der verschiedenen Unternehmen?
Es geht für uns zuerst einmal überall darum, ein Kräfteverhältnis zu etablieren, damit wir auf Augenhöhe mit dem Unternehmen reden und verhandeln können. Das ist nicht überall wohlgesehen; eigentlich ursprünglich nirgends. Bei Tamedia zeigte das Management wenig Bereitschaft, uns von Anfang an als Gewerkschaft anzuerkennen, dass wir dabei sein konnten. Das zieht sich ein bisschen durch. Bei CH Media und Ringier spüre ich dagegen einen gewissen Kulturwandel, dass sie uns immerhin vorzeitig über Abbaumassnehmen informieren. Und wo die Personalkommissionen es klar verlangen, unterstütze ich sie direkt am Verhandlungstisch. So wie jetzt gerade bei Ringier. Das sind positive, kleine Schritte. Und die schlagen sich auch in den Resultaten nieder mit weniger Abbau und besseren Sozialplänen.

Syndicom ist nicht allein. Auch der Berufsverband Impressum vertritt die Medienschaffenden. Gibt es zwischen euch eine Arbeitsteilung?
Es gibt keine Absprachen, aber aufgrund der Kontakte und Verankerung in den Betrieben sind wir unterschiedlich präsent. Bei Tamedia Westschweiz ist Impressum offizieller Sozialpartner, weil es dort noch einen Gesamtarbeitsvertrag gibt. Dort sind wir noch nicht dabei, auch weil das die dortigen Verleger und Impressum so wollen. Dafür sind wir in der Deutschschweiz präsenter.

«Im schweizerischen Arbeitsrecht ist sehr wenig geregelt»

Sie haben es erwähnt: In der Westschweiz gibt es einen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für die Medienbranche, in der Deutschschweiz nicht. Was bewirkt ein GAV beim Abbau?
Zuerst einmal kommt es immer darauf an, was in dem Vertrag steht. Aber mit einem GAV würde das erste Kräftemessen, das Vorgeplänkel wegfallen, wer überhaupt verhandeln darf, ob nur das Personal oder auch wir als Gewerkschaft. Das wäre schon mal ein wichtiger Punkt, den ein Gesamtarbeitsvertrag klar regeln würde. Und dann auch beim Sozialplan. Im letzten GAV, den die Verleger vor 20 Jahren gekündigt hatten, war festgeschrieben, dass schon bei der Entlassung von fünf Personen ein Sozialplan verhandelt werden muss. Gemäss den geltenden gesetzlichen Bestimmungen gilt bei Betrieben mit über 250 Angestellten die Verhandlungspflicht erst bei einer Massenentlassung ab 30 Personen. Im schweizerischen Arbeitsrecht ist sehr wenig geregelt. Erst mit einem GAV kann man für eine Branche oder für einen Betrieb ein höheres Niveau an Mitwirkungsrechten festschreiben.

Was an der Abbauwelle auffällt: Die NZZ fehlt bisher. Was erwarten Sie da?
Was jetzt kommt, weiss ich auch nicht. Aber dass etwas kommt, davon gehe ich aus. Es gab ja schon einen Stellenabbau in letzter Zeit. Wir haben Kontakt zur Personalkommission, aber noch keine weiteren konkreteren Infos.

Wie gestaltet sich Ihr Kontakt zum Unternehmen NZZ?
Tendenziell eher schwieriger als bei anderen Medien. Aber wir pflegen schon seit mehreren Jahren eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Peko. Wenn der Abbau bei der NZZ in Richtung Massenentlassung gehen sollte, dann kommt auch dort das ganze Rösslispiel mit Konsultationsverfahren und Sozialplanverhandlungen in Gang.

«Das Ziel ist immer, so viele Entlassungen wie möglich zu vermeiden»

Bei Ringier und CH Media konnte die ursprünglich vorgesehene Zahl der abzubauenden Stellen reduziert werden. Wessen Verdienst ist das?
Es zeigt sich zuerst einmal, dass es sich lohnt, die wenigen Mitwirkungsrechte, die es in der Schweiz gibt, wirklich wahrzunehmen. Und es lohnt sich auch, viel Energie reinzustecken, den Unternehmen alternative Massnahmen zu den vorgeschlagenen Entlassungen aufzuzeigen. Das ist Sinn und Zweck des Konsultationsverfahrens. Dafür ist natürlich eine gut eingerichtete, initiative Peko und die Unterstützung von uns als Gewerkschaft sehr wichtig. So konnte bei CH Media und Ringier der Abbau substanziell reduziert werden aufgrund der Eingaben des Personals im Konsultationsverfahren. Das Ziel ist immer, so viele Entlassungen wie möglich zu vermeiden. Positiv ist auch: Wir konnten bestehende Sozialpläne verbessern. Bei CH Media und bei Ringier haben wir das erreicht.

Und bei Tamedia?
Sowohl in der Westschweiz als auch teilweise in der Deutschschweiz konnten die Tamedia-Pekos Verbesserungen in den Sozialplänen erreichen und auch den Abbau reduzieren, aber primär mit sogenannten freiwilligen Abgängen, was natürlich eine zweischneidige Sache ist, da sie so freiwillig nicht sind, sondern unter dem Druck der Situation erfolgen. Aber so war es möglich, mehrere Entlassungen von Personen zu vermeiden, die auf keinen Fall auf ihre Stelle verzichten konnten.

Sie beobachten, dass heute die kollektive Organisierung des Personals einfacher fällt und auch ihr als Gewerkschaft akzeptierter seid als auch schon. Was hat sich geändert?
Der Abbau in den Unternehmen führt schon dazu, dass sich die Leute sagten, das ist nicht normal, da wollen wir uns wehren, dafür brauchen wir Unterstützung. Dann sind wir zur Stelle. Aber ohne das Engagement der Leute vor Ort könnten wir von aussen nichts machen. Es braucht dazu Figuren, die bereit sind hinzustehen. Und es braucht intern auch immer noch einen gewissen Mut, sich zu engagieren und sich etwa in Personalkommissionen oder Aktionsgruppen zu organisieren. Diese Leute werden zum Teil unter Druck gesetzt, da braucht man eine recht dicke Haut. Ihr Engagement ist essenziell, aber nicht selbstverständlich und daher besonders verdankenswert. Es ist auch mit viel Zusatzarbeit verbunden und braucht die Leute extrem. Jedes Mal bei Massenentlassungen und kollektiven Konflikten braucht es ein paar, die sich federführend engagieren.

«Neue Mitglieder tröpfeln stetig rein. Wir müssen aber dranbleiben»

Gewinnt ihr mit der Unterstützung des Personals auch neue Gewerkschaftsmitglieder?
Das ist so und das ist auch wichtig. Denn so können wir im Namen von mehr sprechen und haben bessere Verbindungen in die Betriebe. Neue Mitglieder tröpfeln stetig rein. Wir müssen aber dranbleiben. Es bringt ja auch den Einzelnen etwas, denn Mitglieder haben Anspruch auf Beratung, Rechtsschutz und Dienstleistung. Zum Glück unterstützen uns die Pekos. Sie machen darauf aufmerksam, wenn wir oder Impressum ihnen geholfen haben und es darum wichtig sei, dass man sich organisiert, wo auch immer.

Syndicom steht im Wettbewerb mit Impressum. Kommt ihr euch da nicht in die Quere?
Es ist insgesamt ein entspannter Wettbewerb um neue Mitglieder. Wir sind unterschiedlich positioniert. Wir sind eine Gewerkschaft und organisieren alle Medienangestellte von der Journalistin zum technischen Redaktions- und Verlagspersonal bis zum Drucker. Impressum ist ein Berufsverband und primär auf Journalistinnen und Journalisten ausgerichtet.

Sehen Sie trotz Abbau auch Lichtblicke in der Branche?
Durch den Abbau entstehen publizistische Lücken. Und die schaffen Platz für andere, alternative und kleinere Medien. Vielleicht mit weniger guten Löhnen, dafür sind die Leute mit viel Motivation und Elan am Werk. Aus Sicht der Leserinnen und Nutzer finde ich das eine gute Entwicklung. Es entsteht wieder eine Vielfalt.

Aber die Löhne sind tief und die Projekte können ein abruptes Ende nehmen, was auch schon geschehen ist. Kann das eine Gewerkschafterin gut finden?
Viele, die vorher in grösseren Unternehmen gearbeitet haben und nun in kleineren Medienprojekten tätig sind, sagen uns, dass sie es überhaupt nicht bereuen und froh sind, von den grossen Strukturen weg zu sein, weg von Sitzungsmarathon, weg vom permanenten Abbaudruck, weg von der Abwertung ihrer Tätigkeit. Viele dieser Leute haben grundsätzlich gute Arbeitsbedingungen, ausser beim Lohn, dafür haben sie mehr Mitwirkung und Mitgestaltung, das ist auch ein Wert in einem Arbeitsverhältnis. Ich fände es aber sinnvoll und nötig, wenn solche Projekte eine teilweise öffentliche Finanzierung erhalten könnten, damit auch die Löhne besser werden. Und damit sie weiter zur Medienvielfalt beitragen können.

Seit 25 Jahren begleiten Sie den Niedergang einer Branche und helfen, die Folgen abzufedern. Ist das nicht eine frustrierende Arbeit?
Es ist keine Minute langweilig. Nein, es ist extrem herausfordernd. Ich persönlich habe immer zusätzliche Funktionen übernehmen dürfen und damit auch neue, jüngere Kolleginnen einbeziehen und schulen und einführen können. Das ist extrem erfüllend. Und es gibt ja nicht nur einen Abbau bei den etablierten grossen Unternehmen. Daneben entsteht wie gesagt auch Neues. Ich finde das extrem spannend. Aber dass wir als Mediengewerkschaftsbewegung mehr proaktiv tätig sein können und nicht immer primär reaktiv, das ist noch zu wenig der Fall.

Das möchten Sie noch erleben?
Wenn ich gesund bleibe, wird das hoffentlich der Fall sein.


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