29.04.2022

Jugend und Medien

«Die Alten sollen einfach mal zuhören»

Anfang Mai findet die Jugendwoche YouNews statt. Und am 18. Mai führt der Verlegerband Schweizer Medien die Trendtagung Jugend und Medien durch. Ein Gespräch mit Michael Marti, Mitglied der Chefredaktion Tamedia, über Medienbildung und Messenger-Dienste.
Jugend und Medien: «Die Alten sollen einfach mal zuhören»
«Dieser Austausch mit Jugendlichen ist bereichernd», sagt Michael Marti, Mitglied der Chefredaktion Tamedia, Mitgründer YouNews und Mitinitiant der Tagung Jugend und Medien. (Bild: Rita Palanikumar)
von Christian Beck

Herr Marti, «Jugend» und «Medien»: Passen diese beiden Begriffe überhaupt zusammen?
Die Begriffe passen ausgezeichnet zusammen. Es wird in der Öffentlichkeit gerne ein stereotypes Bild gezeichnet von news-deprivierten jungen Frauen und Männern, die auf TikTok und in Messenger-Communitys verblöden. Dumm ist nur, dass dieses Bild meiner Erfahrung nach nicht zutrifft …

… aber Messenger-Dienste und soziale Medien sind bei Jugendlichen viel höher im Kurs als klassische Medien. Das muss Sie als Journalist betrüben.
Selbstverständlich verbringen Jugendliche viel Zeit mit den genannten Medien, möglicherweise zu viel. Aber aus Studien wissen wir, dass sie gleichzeitig sehr kritisch gegenüber Insta oder TikTok eingestellt sind, wenn es nicht um Unterhaltung geht, sondern um Information. Im Bereich der journalistischen Inhalte stehen klassische Medien und Medienmarken bei den Jungen hoch im Kurs, ihnen vertrauen sie ungleich mehr als den Social-Media-Plattformen. Dies ist belegt.

Am 18. Mai findet zum ersten Mal die vom Verlegerverband Schweizer Medien organisierte Trendtagung Jugend und Medien statt. Welche Hauptbotschaft möchten Sie als Mitinitiant den Verlags- und Redaktionsleuten mitgeben?
Dass wir alle ausgezeichnete Chancen haben, mehr junge Mediennutzerinnen und Mediennutzer zu erreichen als bisher. Wenn wir unseren Job richtig machen.

Was heisst das?
Wir wissen ziemlich genau, was Junge von uns wollen: Nämlich einen Journalismus, der junge Themen, ihre Themen, behandelt und junge Akteure auftreten lässt; Inhalte, die nützlich sind; Meinungen und Analysen, die ihnen helfen, Ereignisse einzuordnen und zu verstehen. Und junge Mediennutzer haben ausgeprägte formale Ansprüche: Sie wünschen sich gut verständliche, zugängliche Texte, ein hochwertiges Storytelling, Inhaltszusammenfassungen und Service-Elemente.

Woher wollen Sie das alles wissen?
Wir wissen es zum einen aus Studien. Und zum anderen aus eigener Marktforschung wie etwa dem «Tages-Anzeiger Youth Lab», das von meiner Kollegin Katharina Graf und meinem Kollege Adrian Zurbriggen 2021 durchgeführt wurde.

«Wir schreiben zu oft über die Köpfe der Jungen hinweg»

Welchen grössten Fehler machen Schweizer Medien in der Ansprache an Jugendliche?
Der grösste Fehler ist meiner Meinung nach, dass wir zu selten junge Erwachsene in unseren Texten und Videos auftreten lassen – sei es als Protagonisten, sei es als Auskunftspersonen. Selbst bei sogenannten jungen Themen schreiben wir zu oft über die Köpfe der Jungen hinweg.

Ist es für gedruckte Medien – wie etwa den Tages-Anzeiger – schwieriger, junge Menschen zu erreichen, als es dies für Bewegtbildmedien wie TeleBärn oder SRF ist?
Der Tages-Anzeiger ist lange schon keine Papiermarke mehr. Er präsentiert sich vielmehr als multimediale Digitalmarke. Das gilt auch für die NZZ, den Blick, 20 Minuten. Insofern gibt es keinen entscheidenden Nachteil. Selbstverständlich, der Tages-Anzeiger verfügt etwa im Vergleich mit einem TV-Sender über ein kleineres Bewegtbildinventar, das beispielsweise auf YouTube zweitverwertet werden kann. Aber dies ist meiner Meinung nach nicht matchentscheidend. 

An der VSM-Trendtagung Jugend und Medien gibt es diverse Referate. Auf welches freuen Sie sich besonders?
Was die Tagung besonders attraktiv macht: dass wir die besten hiesigen Business-Cases für jungen Mediennutzer zeigen, aus den Redaktionen, der Produkteentwicklung, dem Marketing. Ferner freue ich mich ganz besonders auf den Vortrag von Harvard-Dozentin Sandra Cortesi, sie wirft einen Blick in die Zukunft, indem sie über die heissesten Nutzungstrends unter den Jungen berichtet.

Sind Sie sicher, dass das Thema die Branche bewegt? 
Unbedingt. Das Thema ist zentral. Bei den Vorgesprächen mit den Teilnehmenden stellen Mitinitianten Marianne Läderach vom VSM und ich ein grosses Interesse fest und ebenso die Bereitschaft, Erfahrungen zu teilen und zu hören, was andere machen. Die Veranstaltung wird auch eine Plattform für eine bessere Vernetzung innerhalb der Branche sein.

Und was ist mit den Jungen selbst? Sprechen die auch?
Selbstverständlich. Gespannt bin ich etwa auf die 21-jährige Instagram-Reporterin Alena Wacenovsky aus Wien: Sie wird uns Insights geben zum Social-Media-Medium «Die Chefredaktion», einem viel beachteten, neuen Journalismus-Angebot von jungen Erwachsenen für junge Erwachsene. Und dann gibt es eigens ein Panel, an dem nur junge Erwachsene zu Wort kommen. Die Alten sollen einfach mal zuhören und von den Jungen lernen.

Bereits vom 2. bis 8. Mai findet die Schweizer Jugendmedienwoche YouNews schon zum fünften Mal statt (persoenlich.com berichtete). Weshalb ist diese Initiative so wichtig?
Das Ziel der 2018 lancierten Schweizer Medienveranstaltung für Jugendliche: Journalismus verstehen, Journalismus erleben, Journalismus mitgestalten. Die in der Medienwoche gestalteten Artikel, Radio- und Videobeiträge werden im jeweiligen Gastmedium publiziert. Schulklassen oder Gruppen von Jugendlichen zwischen 13 und 20 Jahren und ihre Lehrpersonen nehmen jeweils teil. Es geht darum, bei den Jungen den Sinn für den Nutzen von gutem Journalismus zu schärfen – und so ihre Medienkompetenz zu erhöhen. Damit sie, nur ein Beispiel, den Unterschied zwischen Social-Media-Content und Qualitätsjournalismus klar erkennen.

Rund 250 Jugendliche werden so erreicht. Was bringt YouNews den Medien selbst?
Alle Redaktionen, in die ich Einblick habe, sind immer noch enorm beschäftigt mit der Bewältigung der digitalen Transformation. Die Jugendmedienwoche YouNews, der Austausch auf Augenhöhe mit den Jungen, bringt uns Berufsleuten immer wieder ins Bewusstsein, wie entscheidend es ist, gleichzeitig mit dem Bewältigen der Digitalisierung die jungen Generationen als künftige Leserinnen und Leser, Abonnentinnen und Abonnenten zu gewinnen. YouNews ist gewissermassen ein Mini-Lab, das wertvolle Inputs für die Redaktionen generiert.

«Medienbildung ist wichtiger denn je»

YouNews musste wegen der Pandemie verschoben werden und fällt nun auf den Tag der Pressefreiheit vom 3. Mai. Weshalb ist Pressefreiheit gerade auch für junge Menschen wichtig?
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine gibt dem Tag der Pressefreiheit auf brutale Art und Weise in diesem Jahr eine besondere Bedeutung. Dieser Konflikt ist in hohen Massen auch ein Informationskrieg, ausgetragen auf Plattformen wie etwa TikTok – er macht also insbesondere Jugendliche zu einer Art Zaungäste. Diese Zusammenhänge einem jungen Publikum aufzuzeigen, ist eminent wichtig und kann Thema der Jugendmedienwoche sein.

Auch der Verlegerverband Schweizer Medien hat verschiedene Initiativen am Laufen, um Jugendliche zu erreichen. Ist es schwieriger geworden, Jugendliche für Medien zu begeistern?
Jungen Leserinnen und Lesern etwa ein Tageszeitungsabonnement zu verkaufen, dies war selbstverständlich schon früher eine Herausforderung. Aber heute, da die traditionellen Medien mit viel mehr neuen Konkurrenten um die Aufmerksamkeit der Jungen kämpfen als noch vor 15 Jahren, geht es vor allem auch darum, dass möglichst viele Junge traditionelle Medienbrands und ihre Angebote zur Kenntnis nehmen. Und mit der Pandemie und dem Ukraine-Krieg wurde und wird deutlich vor Augen geführt, was Fake News und Propaganda bewirken. Darum ist Medienbildung wichtiger denn je – hier setzen die Initiativen des Verbandes verstärkt ein.

Sie selbst sind sehr engagiert, was Jugend und Medien betrifft. Was reizt Sie an dieser Thematik?
Meine beiden Töchter führten mich an das Thema heran. Seit sie lesen können, vertiefen sie sich in Zeitungen, blättern in Magazinen, klicken sie in Medien-Apps. Kinder und Jugendliche haben einen eigenen Zugang zum Journalismus, zu Storys und News. Nicht beruflich deformiert. Sondern unvoreingenommen, unverbraucht, frei von Zynismus. Das fasziniert mich, dieser Austausch mit Jugendlichen ist bereichernd. Und deshalb glaube ich, dass sie einen exzellenten Journalismus verdient haben. Einen Journalismus, der letztlich auch für Erwachsene spannender wird.



Dieses Interview erschien zuerst in der aktuellen Printausgabe von «persönlich».

 



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