25.03.2022

Tages-Anzeiger

«Wir sollten Vorwissen noch klüger bündeln»

Katharina Graf und Adrian Zurbriggen von Tamedia haben 13 Wochen lang das Youth Lab begleitet. Was sind die zentralen Erkenntnisse? Die beiden äussern sich über einen «riesigen Elefanten im Raum» und sagen, wann Jugendliche für Qualitätsjournalismus zahlen würden.
Tages-Anzeiger: «Wir sollten Vorwissen noch klüger bündeln»
«Die Jugendlichen nehmen uns teils als zu wenig zugänglich wahr. Das beginnt damit, dass wir zu viel Vorwissen voraussetzen. Da fühlen sie sich rasch ausgeschlossen», sagen Katharina Graf, Leiterin Blogs beim Tages-Anzeiger (links) und Adrian Zurbriggen von der Chefredaktion Tamedia (rechts). (Collage persoenlich.com, Bilder: Ela Çelik, zVg)
von Tim Frei

Frau Graf* und Herr Zurbriggen*, im vergangenen Herbst haben Sie sich als Projektverantwortliche des «Tages-Anzeiger Youth Lab» mit Jugendlichen zwischen 16 und 19 Jahren über Journalismus und konkret den Tagi ausgetauscht. Was hat Sie persönlich am meisten beeindruckt?
Adrian Zurbriggen: Mich hat beeindruckt, wie reflektiert die Jugendlichen waren, wie intensiv sie sich mit Medien und ihrem News-Konsum auseinandersetzen. Und schliesslich wie konstruktiv und zielgerichtet sie mit uns über unsere Arbeit diskutiert haben.

Katharina Graf: Ja, dieses unglaubliche Engagement hätten wir so nicht erwartet. Die Jugendlichen haben sich während 13 Wochen regelmässig Zeit genommen, um zu uns nach Zürich zu kommen – einzelne fuhren dafür über vier Stunden mit dem Zug hin und zurück. Das hat uns gezeigt, wie sehr Jugendliche es schätzen, wenn ihnen zugehört wird und sie ihre Zukunft mitgestalten können. 

Der Begriff Labor tönt nach Wissenschaft – im Vorgespräch haben Sie mir aber gesagt, dass dies für das Youth Lab überhaupt nicht zutrifft. Können Sie das an einem konkreten Beispiel aufzeigen?
Graf: Wir verstanden das eher als Kreativlabor, als eine Art Werkstatt. Im Youth Lab wurde nicht nur diskutiert, sondern es wurden in durchmischten Teams mittels innovativer Formate neue Ideen für den Journalismus der Zukunft entwickelt. In einer Session wurden die Teilnehmenden etwa selbst zu Appentwicklerinnen und Appentwicklern und konnten gemeinsam mit unserem Produktteam ihren Wunsch-Tagi basteln – mit Schere, Stift und Papier. Dabei fiel auf, dass Personalisierung für Jugendliche ein Muss ist.

«Unsere Inhalte kamen bei den Teilnehmenden viel besser an als gedacht»

Insgesamt haben sich über 30 Mitarbeitende beteiligt, darunter Journalisten, Product und Revenue Manager. Hand aufs Herz: Wie viel Überzeugungsarbeit mussten Sie intern leisten?
Graf: Die meisten sagten sofort zu, viele haben sich sogar freiwillig bei uns gemeldet. Die Vorbereitungen waren zwar sehr intensiv und zeitaufwändig. Es war aber allen Beteiligten klar, dass es sich hier um ein zukunftsgerichtetes, erfrischendes Projekt mit positiver Grundstimmung handelt und dass alle auf ihre Art vom Austausch mit den Jugendlichen profitieren können.

Zurbriggen: Ich habe keine Skepsis gespürt. Wer dabei war, tat dies freiwillig. Und glauben Sie mir: Jede und jeder war positiv überrascht bis begeistert von der Energie und dem Engagement unserer Youth-Lab-Gruppe.

Inwiefern war dieser Austausch denn ein «Augenöffner» für die Mitarbeitenden, wie Sie mir gesagt haben?
Zurbriggen: Am Anfang stand ja ein riesiger Elefant im Raum: Haben wir als klassisches Bezahlmedium bei dieser Zielgruppe überhaupt eine Chance, neben 20 Minuten und den Sozialen Medien? Zu hören, dass die Jugendlichen viel Wert auf verlässliche Information und Einordnung legen, sie unsere Arbeit als qualitativ hochstehend einschätzen und uns dementsprechend vertrauen, war ein grosser Motivations-Boost. Dass sie erklärten, unter gewissen Vorzeichen sogar dafür zahlen zu wollen, war quasi die Kirsche auf der Torte.

Ein Ziel war es, herauszufinden, weshalb der Tages-Anzeiger bei den Jugendlichen «nicht so hoch im Kurs» sei (persoenlich.com berichtete). Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Zurbriggen: Grundsätzlich kamen unsere Inhalte bei den Teilnehmenden viel besser an als gedacht. Unsere App wird aber natürlich nicht von allen Jugendlichen täglich geöffnet. Das liegt aber weniger an den Inhalten, sondern mehr an der Art, wie wir sie präsentieren.

«Es geht nicht darum, einfacher verständlich zu sein, sondern zugänglicher»

Konkret?
Die Jugendlichen nehmen uns teils als zu wenig zugänglich wahr. Das beginnt damit, dass wir zu viel Vorwissen voraussetzen. Da fühlen sie sich rasch ausgeschlossen. Des Weiteren finden sie, dass wir unsere Inhalte zu wenig übersichtlich strukturieren, sie so die nötigen Informationen zu wenig rasch finden. Ihr Zeitbudget ist brutal knapp, sie wollen subito zum Kern kommen und dort ihre Fragen punktgenau beantwortet kriegen.

Soll der Tages-Anzeiger demnach «einfacher verständlich» werden? Läuft man nicht Gefahr, damit andere Leserschichten zu verlieren?
Zurbriggen: Es geht nicht darum, «einfacher verständlich» zu sein, sondern zugänglicher. Grundsätzlich glaube ich, wir schliessen auch immer wieder Erwachsene aus, wenn wir zu viel Vorwissen voraussetzen. Die Antwort darauf kann aber natürlich nicht sein, in jedem Artikel bei Adam und Eva zu beginnen. Aber wohl sollten wir, wo es sich anbietet, Vorwissen noch klüger bündeln. 

Jugendliche erwarten, dass ihnen journalistische Produkte auf Augenhöhe begegnen. Was bedeutet das genau?
Zurbriggen: Sie wollen ernst genommen werden. Das bedeutet zum Beispiel: Wenn wir über Jugendliche schreiben, müssen wir auch mit ihnen sprechen. Und nicht nur mit Jugendpsychologinnen und Jugendpsychologen. Bei jeder anderen Gruppe ist das doch selbstverständlich: Schreiben wir über die Landwirtschaft, sprechen wir auch mit dem Bauernverband.  

 

Die Schlüsselfrage im Youth Lab – «Wann sind Jugendliche bereit, für Inhalte des Tages-Anzeigers zu bezahlen?» – zielt auf ihre Erwartungen und Vorstellungen über Qualitätsjournalismus ab. Haben die Jugendlichen dies bereits? Und wenn ja, welche?
Graf: Jugendliche sind bereit Geld auszugeben, wenn der Content für sie relevant ist. Grob zusammengefasst: wenn sie sich angesprochen fühlen, wenn der Inhalt einen klaren Mehrwert bietet, wenn die Informationen ihnen helfen, etwas besser zu verstehen. Und ja, das alles hat mit Qualität zu tun. Qualitativ hochwertig bedeutet für sie aber auch: Transparenz, eine klare Quellenangabe und, ganz wichtig, kein Clickbaiting!

Was stört Jugendliche an Clickbaiting besonders?
Graf: Sie möchten genau das erhalten, was man ihnen verspricht. Ist das nicht der Fall, sind sie ganz schnell weg.

«Viele Jugendliche stehen Social Media so kritisch wie nie gegenüber»

Sie wollten auch herausfinden, was die junge Generation an einer Zeitung ändern würde, wenn sie könnte. Was missfällt den Jugendlichen besonders?
Zurbriggen: Sie würden zuerst thematisch zusätzliche Schwerpunkte setzen. Sie vermissen zum Beispiel vertiefte Informationen über Ausbildung und Karrieremöglichkeiten. Wir schreiben darüber zwar schon, aber eigentlich nie aus der Perspektive von jungen Menschen, die am Anfang ihres Berufswegs stehen und sich mit enorm gewichtigen Entscheidungen konfrontiert sehen. Dasselbe gilt für das Thema Geld.

Graf: Der zweite Hebel, den sie wohl betätigen würden, wäre, die Inhalte lösungsorientierter zu gestalten. Wir konzentrieren uns leider zu oft einzig auf die Probleme, führen ein Interview darüber mit einer Fachperson und vergessen am Ende regelmässig die Frage nach möglichen Auswegen.

Ela Çelik_youth_lab_750

Vor über drei Jahren hat das ebenfalls zur TX Group gehörende Medium 20 Minuten mit einem jüngeren Zielpublikum (14 bis 16 Jahre) bereits ein Youth Lab durchgeführt (persoenlich.com berichtete). Inwiefern unterscheiden sich die beiden Gruppen in ihren Vorstellungen über Journalismus?
Graf: Die eben erwähnte Lösungsorientiertheit ist etwas, was in dieser Form vor vier Jahren noch nicht thematisiert wurde. Womöglich spielen dabei all die schweren News, mit denen sich die Jugendlichen in den vergangenen beiden Jahren konfrontiert sahen, eine entscheidende Rolle. Zudem scheint sich das Verhältnis der Jugendlichen zu Social Media gewandelt zu haben – viele von ihnen stehen diesen so kritisch wie nie gegenüber.

Man hört es immer wieder: Nicht nur der Ruf der sozialen Medien, auch jener des Journalismus habe gerade bei jüngeren Generationen gelitten. Haben sich diese Befürchtungen bestätigt?
Zurbriggen: Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Wir haben in jeder Session einen Jobtalk gemacht, bei dem Mitglieder der Redaktion ihren Beruf vorgestellt haben. Da haben wir sehr viel Interesse und Wertschätzung gespürt.

Wie fliessen all diese Erkenntnisse nun in konkrete neue Formate beziehungsweise Produktanpassungen ein? Sind nebst dem Youthletter «Hochformat» bereits weitere Umsetzungen geplant?
Graf: Genau, mit «Hochformat» konnten wir bereits erste Erkenntnisse umsetzen und gemeinsam mit jungen Menschen ein neues Produkt entwickeln, das stetig weiterwächst. Viele der Mitarbeitenden aus der Redaktion, dem Produktteam oder dem Marketing, die Teil des Youth Labs waren, haben zudem erste Inputs direkt umgesetzt. Alle weiteren Ideen werden nun geprüft und sind Teil aktueller Diskussionen in ganz unterschiedlichen Teams.


*Katharina Graf ist Leiterin Blogs beim Tages-Anzeiger, Adrian Zurbriggen ist stellvertretender Chefredaktor von der Redaktion Tamedia.



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Kommentare

  • felix schwaibold, 26.03.2022 13:55 Uhr
    mann sollte mehr über das stimmrechtsalter 16 recherchieren das sodas 16 und 17 jahriger es ernsten richtig mitüberkommen können welche person der jungpartein die 16 und 17 jahre alt wirklich echt dafür und verwahrnt oder entäuschen sein können wenn ein 16 und 17 jährige erfahren kann warum darf Mann immer Bier und wein ab 16 Jahre kaufen und wieso in welcher Schweizer Kantone Zigaretten erst ab 16 oder 18 erlaubt ist die 3.kantone wo es keine Mindestalter für verkauf ab Zigaretten kaufen darf was absurd ist nach Schweizer recht haben die Kantone selber das freie recht zu wissen ob sie Zigaretten ab 16 oder 18 Jahre alt wollen Klar Spirituosen was harte Alkohol soll eigentlich ab 18 Jahre bei behalten oder ob dann wirklich Autofahren ab 16 Jahre fahren darf in die Schweiz wie das in andere Länder der fall ist
  • André Bühler, 25.03.2022 07:18 Uhr
    Sehr interessant! Was mir im Bericht fehlt ist die Information, aus welchem Bildungsbereich die 16- bis 19-jährigen kamen, resp. wie viele waren solche ohne Lehre, wie viele machen eine Lehre und in welchen Bereichen und wie viele machen höhere Schulen resp. sind auf dem Weg zur Matura. Denn es ist ja wichtig, dass die ganze Gesellschaft bei solchen Projekten abgebildet wird.
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