05.05.2017

Ringier

«Die Gegenlese-Kultur ist höchst problematisch»

Peter Hossli, Chefautor der Blick-Gruppe, hat seinen Job gekündigt. Im Interview mit persoenlich.com spricht der 48-Jährige über die journalistische Kultur in der Schweiz, die Unterschiede zu amerikanischen Leitmedien und seine Arbeit beim «Blick».
Ringier: «Die Gegenlese-Kultur ist höchst problematisch»
«Wenn Pressesprecher von Bundesräten bestimmen, was gedruckt wird, sind wir verloren», sagt Peter Hossli. (Bild: Stefan Falke)
von Tim Frei

Herr Hossli, nach acht Jahren verlassen Sie die Blick-Gruppe (persoenlich.com berichtete). Weshalb?
Weil ich ein Buch schreibe, mein erstes. Darauf freue ich mich. Mental und von der zeitlichen Beanspruchung her kann ich es mir nicht vorstellen, dies nebenbei zu tun.

Wovon wird das Buch handeln?
Dazu möchte ich mich noch nicht äussern.

Ist es Ihnen schwergefallen, die Stelle aufzugeben?
Sehr. Ich hatte den besten Job, den man sich als Journalist vorstellen kann. Für die grossen Freiheiten, die ich genoss, bin ich meinen Vorgesetzten und der Familie Ringier dankbar. Sie erlaubten es mir, Journalismus zu machen – rauszugehen, Menschen zu treffen, Reportagen, Interviews sowie investigative Stücke zu schreiben. Bei der Blick-Gruppe ist es möglich, mit vielen verschiedenen Instrumenten Musik zu machen.

Wie war die Zusammenarbeit mit Chefredaktor Christian Dorer?
Die war sehr gut – wie mit allen anderen Chefredaktoren und der Chefredaktorin der Blick-Gruppe.

Sie waren über zehn Jahre als Korrespondent in den USA tätig. Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?
Sie hat meinen Journalismus geprägt: Unvoreingenommen an eine Geschichte heranzugehen und diese möglichst erzählerisch zu präsentieren. Das versuchte ich auch immer hier in der Schweiz zu tun.

In der Schweiz beklagt man sich immer über die Fake News in den USA, und auch gegen Trump teilen Schweizer Medien mächtig aus. Wie beurteilen Sie die Lage mit ihrer langjährigen USA-Erfahrung?
Den journalistischen Anspruch in den sogenannten Lead-Medien – sei es die «New York Times» oder das «Wall Street Journal» – erachte ich als höher als jener von europäischen Pendants. Die Unabhängigkeit von Journalisten gegenüber Politikern in den USA ist jedenfalls viel grösser als in Europa. Während den elf Jahren in den USA musste ich beispielsweise nie ein Interview zum Gegenlesen geben. Die Gegenlese-Kultur in der Schweiz finde ich höchst problematisch – insbesondere bei Politikern.

Weshalb?
Weil es sich um einen Eingriff in die Pressefreiheit handelt. Politiker haben das Gefühl, sie könnten Gesagtes streichen. Dann kann man ebenso gut PR machen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Berichterstattung in der Schweiz stark von jener in den USA. Mit Schweizer Politikern habe ich Sachen erlebt, die ich sehr problematisch finde.

Zum Beispiel?
Mir hat einmal die Presseperson eines Mitglieds des Bundesrats das Du angeboten, wenn ich eine gesagte Passage streichen würde. Wir sind noch immer per Sie.

Würde der Journalismus von einem Verschwinden der Gegenlesekultur demnach profitieren?
Absolut, weil sich beide Seiten mehr anstrengen müssten: Die Journalisten bei der Vorbereitung und beim Verfassen der Interviews, die Politiker beim Beantworten. Der amerikanische Verleger Randolph Hearst sagte einst treffend: «Journalismus ist das, was jemand nicht gedruckt haben will. Alles andere ist Werbung.» Wenn Pressesprecher von Bundesräten bestimmen, was gedruckt wird, sind wir verloren.

Nun zum Autorenpool der Blick-Gruppe: Was ist dessen Aufgabe?
Die Autoren sollen rausgehen und für die verschiedenen Blick-Kanäle Inhalte produzieren, die sich in Länge und Format unterscheiden. Der Autorenpool setzte sich mit Grossereignissen wie beispielsweise der Krise bei der Fifa, der Gotthard-Eröffnung, den US-Wahlen, oder dem Brexit auseinander. Wir behandelten Themen, die wir sehr schnell umsetzen mussten, bei anderen hatten wir viel Zeit. Wir waren nicht fix an ein Thema gebunden. Letztlich interessieren mich nicht Sparten, sondern gute Geschichten.

Nicht nur Sie, auch Gabi Schwegler und Adrian Meyer verlassen den Autorenpool. Machen Sie sich Sorgen um dessen Zukunft?
Mit Gabi und Adrian zu arbeiten war ausgesprochen bereichernd. Über die Zukunft des Autorenpools wird die Chefredaktion befinden. Da ich die Blick-Gruppe verlasse, kann ich mich dazu nicht äussern.



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