19.10.2010

Miklós Gimes

"Durch meine Naivität habe ich im Kummer-Theater mitgespielt"

Interview mit dem Regisseur von "Bad Boy Kummer".

Herr Gimes, Sie waren Stellvertretender Chefredaktor als Tom Kummer seine Interviews lieferte. Haben Sie nie am Wahrheitsgehalt gezweifelt?

Nein, nie. Ich hatte das Gefühl, Kummer hätte einfach einen guten Draht zu diesen Leuten. Ich dachte, er sei ein frecher Journalist, der es schafft, aus der üblichen Journalistenbehandlung durch die Stars auszubrechen und auf Augenhöhe mit ihnen zu kommunizieren.

Also war man auf der Redaktion geblendet von der Begeisterung für die tollen Texte?

Wahrscheinlich auch das, ja. In dem ganzen Redaktionsalltag ist man zudem einfach froh, wenn man einen guten Text bekommt und sich nicht weiter darum kümmern muss. Alles, was nicht offensichtlich schief läuft, wird abgehakt. Man ist froh, wenn man wieder ein gutes Heft voll hat. Man fängt erst an aufmerksam zu werden, wenn etwas offensichtlich faul ist. Heute höre ich immer wieder von ehemaligen Redaktionskollegen, dass sie schon früh Zweifel am Wahrheitsgehalt von Kummers Texten gehabt hätten. Ich gehörte nicht zu den Zweiflern.

Wann war das bei Kummer der Fall?

Erst im Jahr 1999, nachdem er uns gut fünf Jahren lang mit Geschichten beliefert hatte. Er hatte eine Reportage über den Kampfsport "Ultimate Fighting" geschrieben. Der Text lag schon auf dem Tisch. Plötzlich kam der Fotoredaktor und sagte, sein Fotograf in Los Angeles habe Probleme, Bilder zu der Geschichte zu schiessen. Die Angaben im Text seien verwirrlich, er finde die Leute nicht. Unser Chefredaktor Roger Köppel war damals gerade in den Ferien. Wir haben die Geschichte dann auf Eis gelegt. Köppel hat später einen Kollegen in LA beauftragt die Reportage nachzurecherchieren. Der hat sich dann schnell gemeldet und gesagt: "Das kann nur erfunden sein."

Im Film kommt eine Redaktorin zu Wort, die schon von Anfang an Zweifel gehegt hat. Wieso ist das im Sand verlaufen?

Das war eine Redaktorin vom "SZ Magazin" in München. Das ist eine andere Geschichte. Einer der beiden Chefredaktoren, Ulf Poschardt, war ein alter Vertrauter von Kummer. Poschardt und Kummer gehören der gleichen Journalistengeneration an, standen für eine ähnliche Schule des Journalismus, die man als die "Tempo"-Schule bezeichnen könnte. Aber warum Zweifler, wie jene Redaktorin, schnell abgeschmettert wurden, weiss ich nicht. Poschardt begegnete ihrer Kritik mit dem Argument, sie sei nur neidisch auf Kummers tolle Interviews. Beim "Tagi Magi" war das anders. René Bortolani und später Roger Köppel, die bei uns am Ruder waren, haben mit Tom Kummer persönlich wenig zu tun gehabt. Sie kannten ihn nicht gut.

Miklos Gimes war zwischen 1994-97 Stv. Chefredaktor des "Magazins". "Bad Boy Kummer" ist sein dritter Film. (Bild: T&C Film)

Seine Interviews mit Sharon Stone, Bruce Willis, Mike Tyson und vielen mehr hat Kummer komplett erfunden. Sind es schlussendlich Selbstgespräche?

Ja, und ich glaube sogar in doppelter Hinsicht. Zum einen hat er sich die völlige dichterische Freiheit gegeben und zum anderen wollte er der Welt auch etwas über sich selber mitteilen. Er benutzte die Stars als Megaphon, um ein Lebenszeichen von sich selber zu geben. Vor allem aber ist er jemand, der ein psychisches Geheimnis hat. Aber was es ist, habe ich nicht herausgefunden.

Was könnte das sein?

Irgendeine Seite, mit der er sich selber nicht auseinandersetzen will. Die er verdrängt. Im Grunde genommen, ging es ihm darum, äusserlich Erfolg zu haben und anerkannt zu werden, damit man ihn in Ruhe lässt. Zudem wollte er den Erfolg in einer Materie, die ihm imponiert hat. Er hätte ja mit seiner Begabung Tennisspieler werden können. Aber erstens hatte er offenbar die Nerven nicht dazu und zweitens war ihm das vielleicht auch ein bisschen zu profan. Er wollte lieber als Dichter, Schriftsteller oder Journalist reüssieren. Aber eigentlich wollte er nur eine schillernde Fassade erzeugen, die auf die Leute eine so grosse Faszination ausübt, dass sie dann nicht mehr so genau hinschauen.

Es sieht fast so aus, als hätte er all die Jahre auch auf diesen Film gewartet.

Möglich. Er lässt sich ja gerade rege auf dem Netz zum Film aus und schreibt unter dem Pseudonym Hannah de Meuron Kommentare auf der Facebook-Seite des Films. Dort erwähnt er, die Redaktoren seien süchtig gewesen nach dem Stoff, den er geboten habe, und er sei süchtig danach gewesen, immer mehr in der Rolle des erfolgreichen Journalisten zu leben. Aus dem Ganzen sei er nicht mehr herausgekommen. Ich glaube, er ist einfach einer, der immer neue Haken schlägt, um seine Spuren zu verwischen. Neue Fährten legen und gleichzeitig verwischen – das ist sein Ding.

Ja, ich glaube auch, dass er nur auf diesen Film gewartet hat. Als Antwort auf seinen Geltungsdrang habe ich mich bemüht, möglichst eine Auslegeordnung des ganzen Komplexes Kummer vorzunehmen, und keinen Prozess. Denn das finde ich nicht interessant. Dass er die Regeln des Journalismus auf haarsträubende Art und Weise verletzt hat, ist schnell erzählt.

Machen Sie sich im Nachhinein eigentlich Vorwürfe, dass Sie die Leser unwissentlich hinters Licht geführt haben?

Der Film war auch für mich ein Stück Vergangenheitsbewältigung, zum Beispiel, als mir bewusst wurde, dass Kummer auch Reportagen gefälscht hat, im Film wird die Starbucks-Reportage erwähnt. Da hab ich plötzlich gemerkt, dass ich durch meine Naivität im Kummer-Theater mitgespielt habe.

Hatte die ganze Sache für Kummer eigentlich Konsequenzen – mal abgesehen davon, dass die Aufträge ausblieben?

Nein. Es gab zumindest keine juristischen Konsequenzen. Das zeigt auch ein bisschen, dass die Redaktionen nicht ganz unschuldig sind. Kummer hat ja eindeutig gegen Treu und Glauben verstossen, man hätte ihn anklagen können. Das ging so weit, dass er Spesenrechnungen geschrieben hat für Reisen, die er zwar gemacht hat, die aber nicht mit einem Interviewtermin verbunden waren. Der Verlag des "SZ Magazin" hat offenbar erwogen, eine Klage wegen Rufschädigung anzustreben. Die ist aber nie eingereicht worden. Vermutlich auch, weil sie auf wackligen Füssen gestanden wäre. Die Frage wäre ja dann gewesen: Hat Tom Kummer nicht zu Recht das Gefühl bekommen können, dass zwischen ihm und der Redaktion eine gewisse Komplizenschaft herrschte?

Wenn man die Geschichte nicht aus der Sicht eines Betroffenen oder Medienethikers beurteilt, kann man ja schnell mal so etwas wie Sympathie für Kummer empfinden. Er wirkt wie jemand, mit dem man gerne mal ein Bier trinken gehen würde. Aber man weiss dann trotzdem nie, wann er die Wahrheit erzählt. Wie sind Sie damit umgegangen?

Der Umgang mit Kummer lässt einen wirklich gespalten zurück. Wenn ich mir jetzt zum Beispiel seinen Auftritt auf dem Internet anschaue – wie er da aus der Ferne den Film kommentiert, wie er Fakten ins Spiel bringt, von denen vorher nie die Rede war – , dann denke ich: "Hey, das hättest du mir direkt sagen können!" Und dann denke ich wieder: "Nein, das ist offenbar sein Charakter. Das gehört zu seinem Spiel." – Ich bin allerdings ich überzeugt, dass er kein Bad Boy ist, sondern aus psychischen Zwängen handelt.

(Interview: Adrian Schräder. Der Film startet heute Donnerstag in den Deutschschweizer Kinos)

Lesen Sie hier, was Tom Kummer zu dem Film und der ganzen Affäre zu sagen hatte.



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