13.09.2001

"Einmal mehr hat sich gezeigt, wie gross die Macht der Bilder sein kann"

Die Terroranschläge auf New York und Washington konnten dank Fernsehübertragungen weltweit mitverfolgt werden. Schon kurz nachdem ein erstes Flugzeug mit einem der Türme des World Trade Centers kollidiert war, waren erste Kamerateams vor Ort. Von da an rissen die schrecklichen Bilder nicht mehr ab. "persoenlich.com" hat den Präsidenten des Schweizer Presserates Peter Studer (Bild) zur Verantwortung der Medien bei solch einem GAU befragt. Im Interview nimmt er Stellung zu Themen wie der Macht der Bilder, der Versuchung der Panikmache und der Kurzatmigkeit von Analysen. Insgesamt stellt er den Fernsehsendern gute Noten aus.
"Einmal mehr hat sich gezeigt, wie gross die Macht der Bilder sein kann"

Wer die Vorfälle in New York am Fernsehen verfolgt hat, konnte sich spätestens nach dem zweiten Flugzeug, das in das WTC stürzte, nicht des Eindrucks erwehren, dass hier einer die Medien in einer fast schon einmaligen Art und Weise nutzt, um die grösstmögliche weltweite Aufmerksamkeit zu erhalten.

Das ist wahrscheinlich, obwohl wir über die Hintergründe noch wenig wissen. Neben dem Ziel der Schädigung amerikanischer Machtsymbole und des amerikanischen Alltags ging es sicher auch um weltweite Verbreitung mittels Medien. Natürlich ist die Wirkung der Katastrophe durch die Fernsehbilder noch ganz massiv verstärkt worden. Einmal mehr hat sich gezeigt, wie gross die Macht der Bilder sein kann. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von den raren "magic moments", die beim Publikum die stärkste Wirkung erzeugen. Zu den "magic moments" der Fernsehgeschichte wird gewiss die Kollision der Flugzeuge mit den WTC-Towers in New York für immer gehören. Ein Ziel der Terroristen war es wohl, anhand symbolhafter Objekte wie dem World Trade Center oder auch dem Pentagon zu zeigen, dass selbst die Weltmacht Nummer 1 verwundbar ist. Unvorstellbar die Folge, wenn noch das Weisse Haus - wie offenbar beabsichtigt - zerstört worden wäre. Solche Verwundbarkeit weltweit live über die Fernseher - das war sicherlich im Sinn der Terroristen.

Haben die Medien ihren Job gut gemacht?

Ja, vorallem unter solch schwierigen Umständen. Was mich neben der starken und kontinuierlichen Präsenz der grossen Sender - allen voran CNN - fasziniert hat, waren all die Amateurbilder, die zu sehen waren, Bilder, die von Ärzten, Touristen, Polizisten vor Ort geschossen wurden. Was mich hingegen gelegentlich gestört hat ist, dass die sogenannten "magic moments" auch 30 Stunden nach dem eigentlichen Ereignis im Laufe des Abends in jedem Sendegefäss überlang und fast ästhetisch zelebriert worden sind. Ich spreche hier jedoch von einer Nuance. Grundsätzlich ist es natürlich der Daseinszweck eines Senders, Bilder auszustrahlen.

Nach dem ersten Schock haben viele Sender versucht, Hintergrundinformationen zu liefern, haben Expertenrunden zusammengetrommelt. Wie beurteilen Sie diese Einsätze?

Die beiden Fernsehabende vom Dienstag und Mittwoch haben einmal mehr bestätigt, das Analysen am Fernsehen oft unter Kurzatmigkeit leiden. Die Sender haben Dutzende von "Experten" herangekarrt – unter anderem auch mich –, die versucht haben, die Ereignisse vor Ort in Kontext zu stellen. Und wieder einmal hat sich gezeigt, dass erstens die Versuchung der Panikmache gross ist. Was sich u.a. in den sehr theoretischen Diskussionen zu einer möglichen Weltwirtschaftskrise manifestiert hat. Ein zweites heikles Thema war auch der Versuch einer Schuldzuweisung. Die Versuchung, Vorurteile zu schüren – in diesem Fall gegenüber den Arabern – war allgegenwärtig. Viele der befragten "Experten" haben jedoch klar Gegensteuer gegeben. Auch manche Moderatoren haben vor Blitzzuordnungen gewarnt. Das versuchte auch die amerikanische Regierung in ihren seltenen Auftritten; von Anbeginn betonte sie, dass man noch nicht wisse, wer hinter den Anschlägen steckt. Eine dritte Versuchung ist der emotionale Kitsch, der gelegentlich auch auf CNN durchschlug. CNN-Nachrichtemoderatorinnen, die über die Verletzlichkeit des Lebens und die Vergänglichkeit des Glücks philosophiert haben – das hätte es tatsächlich nicht gebraucht. Im Grossen und Ganzen ist es den elektronischen Medien aber gelungen, vertretbare erste Analysen und Hintergründe zu liefern.

Was sind die Auswirkungen auf die journalistische Qualität, wenn ein Sender wie CNN sich verpflichtet sieht, pausenlos und so nah wie möglich am Geschehen die ganze Welt mit Bildern zu beliefern?

Die Versuchung ist wie gesagt gross, Vorurteile zu schüren oder in emotionalen Kitsch abzugleiten. Natürlich haben sich aber die meisten Zuschauer ausserhalb Amerikas nicht bei CNN, sondern bei ihren Heimatsendern informiert. Auch die sendeten sehr ausführlich.

Obwohl die Menschen auf CNN die Ereignisse in den USA live erleben konnte, bestand am nächsten Tag ein grosses Bedürfnis, das Ganze in den Zeitungen nachzulesen.

Ja; das analytische und kommentierende Medium ist und bleibt die Zeitung. Ich bin der Meinung, dass all die grösseren Zeitungen aus dem Raum Zürich, die ich studiert habe, ihrer Aufgabe gerecht geworden sind, Hintergründe und fundierte Analysen zu liefern.

Das Internet als relativ neues Informationsmedium konnte dem Ansturm nicht gerecht werden. Seiten wie die von CNN waren stundenlang überlastet.

Es hat sich einmal mehr gezeigt, dass das Internet noch immer gewissen Begrenzungen unterworfen ist. Sogesehen bin ich auch der Meinung, dass das Fernsehen noch auf längere Zeit hinaus primäre Informationsquelle bei solch Vorkommnissen sein wird. Das Fernsehen kann sofort mit Realbildern on air gehen, dies oft auch live, während zum Bespiel die Bildqualität im Internet alles andere als optimal ist. Ich persönlich habe mich umgehend vor den Fernseher gesetzt und das Internet Internet sein lassen.

Viele Medien werfen US-Präsident Bush vor, während der Katastrophe zu wenig präsent gewesen zu sein...

Ja. Während der ersten Fernsehnacht ist dem Zuschauer eine gewisse Absenz der amerikanischen Regierung aufgefallen. Ich habe bis in die 90er Jahre selber in der Schweiz an Katastrophenübungen teilgenommen, und immer war es mit ein wichtiges Ziel, die Regierung dem Volk als präsent zu zeigen, als Garanten der wiederherzustellenden Ordnung. Das habe ich beim Bush-Team wirklich vermisst. Während langer Zeit wurden nur kurze Statements eingespielt. Und in Ermangelung der eigentlich machttragenden Gesprächspartner wichen die Sender auf have-beens wie Henry Kissinger aus.

Sie sind als langjähriger US-Korrespondent des Tages-Anzeigers in Zeiten von Watergate oder auch des Vietnam-Kriegs in den Staaten tätig gewesen. Wo liegen die Hauptunterschiede zur Berichterstattung von damals und heute?

Damals steckte die TV-Berichterstattung noch in den Kinderschuhen. In Zeiten des Vietnamkriegs mussten zum Beispiel die bespielten Kassetten per Flugzeug nach Amerika verfrachtet werden, wo sie nur mit einer grossen zeitlichen Verzögerung ausgestrahlt werden konnten. Eine solch totale Bewirtschaftung von Krisensituationen wie vorgestern wäre damals gar nie möglich gewesen. Die Präsenz des Fernsehens in unserer Gesellschaft ist heute fast schon total.



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