16.09.2016

Reporter-Forum

«Es geht darum, Medienmarken am Leben zu halten»

Eva Schulz findet Geschichten buchstäblich auf der Strasse. Über Snapchat vermittelt die Journalistin diese ihrem jungen Publikum. persoenlich.com hat die 26-Jährige am Reporter-Forum in Zürich getroffen. Im Gespräch sagt sie, wie sie bei Snapchat-Stories vorgeht und warum Online-Redaktionen die App unbedingt nutzen sollten.
Reporter-Forum: «Es geht darum, Medienmarken am Leben zu halten»
Kam zu ihrem hurra-blog.de ausgerechnet durch ihre Grosseltern: Eva Schulz. (Bild: Still aus Molenbeek-Video)
von Claudia Maag

Eva Schulz arbeitet als freie Journalistin und Moderatorin und nutzt Snapchat (@hurraeva), um Geschichten zu erzählen. Nebst der Stories-Funktion der App, verbreitet sie diese Beiträge zudem über Facebook,  Twitter oder Youtube. Die 26-Jährige gibt ihre Erfahrungen damit an Branchenanlässen weiter. Sie war am Freitag am Reporter-Forum in Zürich zu Gast und tritt am kommenden Freitag am Swiss Media Forum in Luzern auf. persoenlich.com traf Eva Schulz am Reporter-Forum im Volkshaus zum Interview.

Frau Schulz, Sie benutzen Snapchat, um Geschichten zu erzählen. Seit wann machen Sie das?
Ich benutze Snapchat seit knapp zwei Jahren. Aber öffentlich erst seit eineinhalb. Ein paar Monate habe ich erst mal heimlich probiert und mit Freunden und meiner 16-jährigen Cousine hin- und hergesnapt. Richtig gestartet bin ich am 1. Mai 2015 mit einer Geschichte über die vermeintlichen Randale in Hamburg.

Was sind für Sie die Vor- und Nachteile der App?
Ein ganz grosser Vorteil ist: Es ist authentisch und ehrlich, weil ich da nicht viel faken kann. Ich habe zwar einen Beautyfilter (lacht), aber bis zum vorletzten Update musste ich beispielsweise noch chronologisch erzählen. Da gab es noch keine Memories. Du hast eine andere Erzählweise durch Sticker, Emojis, Malen, Beschriften – das kennen wir ja so alles noch gar nicht.

Warum sollten Online-Redaktionen Snapchat nutzen?
Mit Snapchat ist man sehr nah dran. Zum einen wegen des Selfie-Modus. Zum anderen wegen der Nutzungssituation – denn die meisten Menschen, die ich kenne, nutzen Snapchat im Bett oder abends auf dem Sofa. Das heisst, man ist bereits in einer intimen Situation bei den Leuten. Und ich erreiche eine andere Zielgruppe: 14- bis 18-Jährige, die mir bestimmt nicht auf Twitter folgen würden oder noch Blogs lesen. Ich hoffe, dass bald auch mehr Online-Redaktionen Snapchat nutzen.

Was verpassen diese, wenn nicht?
Ich kenne kaum mehr Menschen, die ein Zeitungsabo haben. Die Redaktionen fragen mich, was Snapchat für einen Mehrwert hat. Aber es geht nicht um Mehrwert, nicht darum, Leute in die Zeitung zu locken – sondern darum, eine Medienmarke am Leben zu halten.

Woher wissen Sie, dass und wie Ihre Geschichten ankommen?
Ich habe in keinem sozialen Netzwerk einen so qualitativ tollen Austausch wie auf Snapchat. Einmal machte ich eine Geschichte über den Feinstaubalarm in Stuttgart. Ich habe es daran aufgehangen: Wie kriegt man eigentlich Autos aus der Stadt und wann machen Autos in der Stadt noch Sinn. Da schrieben mir die Leute den Screen voll! Jemand schickte ein Snap aus Kanada, wie es dort aussieht. Das kriege ich auf Twitter nicht. Das macht mir alles grossen Spass.

Snapchat Story über den Feinstaub in Stuttgart von Eva Schulz

Mit wie viel Aufwand ist es verbunden, Ihre Videos auf Facebook und Co. zu stellen?
Ein grosser Vorteil von Snapchat ist, dass ich nichts mehr machen muss. Ich lade die Sachen nur runter, konvertiere die Dateien und lade sie dann auf Facebook hoch.

Sie haben Urban Studies studiert, Ihr Studium nun aber unterbrochen. Warum? 
Mein Problem ist, dass ich noch eine Balance zwischen Input und Output finden muss. Immer wenn ich Journalismus mache, schwenke ich bald zurück in die akademische Welt, weil ich dort einen ganz anderen, tiefergehenden Input kriege. Bin ich dann aber in der Wissenschaft, ist es umgekehrt – dann vermisse ich wieder den journalistischen Output. Bei Urban Studies liegen die Geschichten buchstäblich auf der Strasse. Irgendwann platzt man halt und will das erzählen. Ich war beispielsweise in Brüssel, als der Lockdown war, und machte eine Snapchat-Reportage über Molenbeek.

Snapchat Story über Molenbeek von Eva Schulz

Sie sind freie Journalistin. Könnten Sie sich vorstellen, fest angestellt zu sein?
(lacht) Nein. Ich habe das immer wieder mal ausprobiert. Ich werde ganz traurig, wenn ich in ein Zeitkorsett gesteckt werde; Nine-to-Five und den ganzen Tag vor dem Bildschirm sitzen ist nichts für mich. In einem Team zu arbeiten, das vermisse ich schon. Aber was mir am meisten Spass macht, ist Reportage, Leute treffen und rausgehen.

Können Sie davon leben?
Das muss ich jetzt ausprobieren. Ich habe viel Journalismus gemacht, ohne davon leben zu müssen. Immer entweder neben dem Studium, oder im Rahmen vom Journalismus-Stipendien. Oder ich nahm an einem Journalistenaustausch teil – das halbe Jahr, das ich in Israel war. Zwischendurch hielt ich ein paar Monate einen Job durch. Das war nett. Jetzt bin ich soweit, dass ich bis Ende Jahr etwas aufbauen und als Freelancerin arbeiten möchte.


Aber es scheint, als wären Sie schon gut vernetzt...
Ja, schon. Es gibt ein konkretes Projekt – ein Snapchatformat. Aber darüber darf ich leider noch nicht mehr erzählen.

Mit welchem Medienhaus verhandeln Sie?
Ich habe extra nachgefragt, aber ich darf noch nichts sagen. Ausser: Es ist ein Informationsformat für 14- bis 18-Jährige und ich durfte es mitentwickeln. Das wird super.

Wie geht es generell bei Ihnen weiter?
Mit Snapchatreportagen, mit Journalismus für meine Generation und jünger. Nächstes Jahr sind in Deutschland Bundestagswahlen. Darüber und warum man überhaupt wählen sollte, möchte ich berichten.

Eva Schulz hat zuletzt Urban Studies in Brüssel und Wien studiert und reist auf der Suche nach Geschichten durch ganz Europa – gerade ist sie aus Lappland zurückgekehrt. Sie ist Deutsche und lebt in Wien.


Kommentar wird gesendet...

Kommentare

  • Jürg Vollmer, 19.09.2016 10:55 Uhr
    Vielleicht sollten Sie die Snapchat-Reportagen von Eva Schulz wenigstens einmal anschauen, bevor sie einen Kommentar schreiben? «Ich lade die Sachen nur runter» bezieht sich nicht auf die journalistischen Inhalte, sondern auf den technischen Vorgang nach der eigentlichen Snapchat-Reportage. Ich bin selbst zwei Generationen älter, als die von Eva Schulz angesprochene Snapchat-Generation. Aber ihre Beiträge über Molenbeek und den Feinstaub (um nur zwei Beispiele zu nennen) haben mehr Informationsgehalt, als 80 Prozent vom News-Journalismus arrivierter Medien zu diesen Themen.
  • Robert Weingart, 18.09.2016 12:48 Uhr
    Solche Leute werden an Branchentreffen eingeladen. " Ein grosser Vorteil von Snapchat ist, dass ich nichts mehr machen muss. Ich lade die Sachen nur runter, konvertiere die Dateien und lade sie dann auf Facebook hoch." Mir grausts. was hat das noch mit Journalismus zu tun? So machen sich die klassischen Medien selber überflüssig, sowas noch zu unterstützen.
Kommentarfunktion wurde geschlossen

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:

Zum Seitenanfang20240424