Herr Rutishauser, Sie waren immer kritisch mit der Politik des Bundesrates. Sind Sie mit dem jetzigen Zustand zufrieden?
Es scheint momentan so, dass wir insgesamt relativ gut durch die Krise kamen. Vieles ist wieder geöffnet, das ist gut so. Vieles funktioniert aber noch nicht wie vorher. In der neuen Normalität gibt es noch immer keine Konzerte, der Kinobesuch mit «Social Distancing» ist kein Genuss. Man kann also je nach Laune sagen, das Glas ist halb voll oder halb leer. Genauso ist es mit der Leistung des Bundesrats.
Sie schrieben von einem «Shutdown des Bundesrates». Was meinten Sie damit?
Ich denke, die Regierungen – ob Bundesrat, Regierungsrat oder Stadtregierung – haben sehr stark in unser Privatleben eingegriffen. Überall gab es Vorschriften, das Seeufer war geschlossen, genauso wie der Aussichtsturm im Pfannenstiel oder die Beiz nach 24 Uhr. Im Moment scheint das nicht mehr nötig, also soll sich die Regierung möglichst wieder aus unserem täglichen Leben verabschieden. An den meisten Orten ist das geschehen, aber eben nicht überall und generell und vor allem nicht überall auf eine nahvollziehbare Weise.
«Wir waren die ersten, die die wirtschaftlichen Konsequenzen thematisierten»
Sie stellen sich mit Ihrer Kritik auch ein bisschen gegen Ihre eigene Zeitung, der man teilweise vorgeworfen hat, regierungsunkritisch zu sein …
Das ist Quatsch. Wir waren die ersten, die die wirtschaftlichen Konsequenzen thematisierten, wir waren die ersten, die den ETH-Bericht thematisierten, der davon sprach, dass der Lockdown in seiner vollen Schärfe vielleicht gar nicht nötig war. Wir haben den Maskenmangel thematisiert, ebenso die Notlüge des BAG wegen dem Maskenmangel. Und wir haben die gravierenden menschlichen Konsequenzen thematisiert, die es hat, wenn man die Alten einsperrt, selbst wenn es gut gemeint ist.
Die ganze Redaktion war gleicher Meinung?
Es gibt natürlich in unserer Redaktion Menschen, die finden, man hätte viel früher einen noch schärferen Lockdown machen und später öffnen sollen, andere hätten viel früher geöffnet. Das ist auch in Ordnung, denn wir haben keine ideologischen Scheuklappen, sondern wir verstehen uns eben als Forumszeitungen. Was wir nicht getan haben, ist, den Lockdown grundsätzlich infrage zu stellen oder Covid-19 als normale Grippe darzustellen. Wir haben auch nicht von irgendwelchem Seuchensozialisums fabuliert. Dafür gab und gibt es unserer Ansicht nach keinen Grund. Falls wir aber Evidenz finden, dass es doch so wäre, würden wir auch darüber berichten. Wir schreiben was ist, nicht, was laut unserer Ideologie sein könnte.
Die Fallzahlen sind im Moment sehr tief. Ist die ganze Krise ausgestanden?
Hoffentlich. Wirtschaftlich werden wir aber noch eine Weile darunter zu leiden haben. Ob es zu einer zweiten Welle kommt, das weiss ich nicht. Aber wenn, dann müssen wir Wege finden, lokale Ausbrüche lokal zu bekämpfen. Einen zweiten, generellen Lockdown, den sollten wir uns nicht leisten, sonst sind wir alle auch noch in fünf Jahren deutlich ärmer als vor der Krise.
«Im Moment gibt es aber auch Anzeichen, dass es schneller wieder aufwärts geht als befürchtet. Es gibt also auch Hoffnung»
Was bedeutet die Corona-Geschichte für unsere Wirtschaft?
Erst mal eine Rezession und viele Arbeitslose. Im Moment gibt es aber auch Anzeichen, dass es schneller wieder aufwärts geht als befürchtet. Es gibt also auch Hoffnung.
Was braucht es, um unsere Wirtschaft wieder anzukurbeln?
Sicher mal keinen zweiten Lockdown. Ich glaube, es braucht maximale Flexibilität von allen Seiten. Ich habe in einem Leitartikel in einem Sechs-Punkte-Plan mal ein paar Möglichkeiten aufgezeigt, was man tun könnte.
Inwiefern wird Corona die Medienlandschaft verändern?
Es sind zwei Tendenzen zu beobachten. Einerseits haben wir mehr Aufmerksamkeit als zuvor, auch haben wir eine Zahlungsbereitschaft der Kunden für Online-Berichterstattung wie noch nie. Das ist die gute Nachricht. Aber der Rückgang der Werbeeinnahmen hat sich noch einmal verschärft. Das ist die Kehrseite der Medaille. Das wird dazu führen, dass wir nochmals eine Welle von Sparmassnahmen erleben und einige Medien ganz schliessen werden.
Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Tage?
Im Zusammenhang mit Corona war das der Moment, als ich zugesehen habe, wie letzten Donnerstag das Zürcher Seeufer klandestin geöffnet wurde. Das hat mir gezeigt, dass es in einer freien Gesellschaft nicht möglich ist, unser Leben dauerhaft einzuschränken. Leider habe ich es verpasst, das gleich mit Fotos festzuhalten, sonst hätte ich das gerne auf unseren Webseiten gezeigt. International haben die Nachrichten aus den USA gezeigt, wie nötig es ist, einen integeren Präsidenten im Weissen Haus zu haben. Dass das im Moment nicht der Fall ist, wurde in der Krise offensichtlich.
Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.