21.01.2020

Tamedia

«Es war eine ziemlich sportliche Aufgabe»

Tagi, BZ oder 24 heures: Am Dienstag um 10 Uhr gehen die Betaversionen von sechs Websites online. Die neuen Auftritte sind konsequent auf Mobile optimiert. Christoph Zimmer, Chief Product Officer, über ein uraltes Redaktionssystem und ein völlig neues Design.
Tamedia: «Es war eine ziemlich sportliche Aufgabe»
«Die mobile Nutzung ist seit dem letzten Relaunch von gegen 0 auf fast 80 Prozent hochgeschnellt», sagt Christoph Zimmer, Chief Product Officer bei Tamedia. (Bilder: zVg.)
von Christian Beck

Herr Zimmer, am Dienstag um 10 Uhr gehen die Betaversionen der Websites von Tages-Anzeiger, BZ und 24 heures online. Wie nervös sind Sie?
Nervös bin ich nicht. Ziel des Betatests ist es ja gerade, mögliche Fehler zu finden. Es ist uns lieber, diese tauchen jetzt auf, als erst nachdem die Websites live sind. Aber wir sind natürlich gespannt auf die Reaktion der Leserinnen und Leser.

Warum ist es nötig, dass die Bezahltitel neue Websites bekommen?
Die Basis der aktuellen Website stammt aus dem Jahr 2009. Das Redaktionssystem, mit dem wir die Seiten betreiben, hat sogar noch einige Jahre mehr auf dem Buckel. Kurz: Der Code ist uralt, fehleranfällig und statt in die Entwicklung investierten wir lange fast die gesamten Entwicklungskapazitäten in den immer aufwendigeren Unterhalt. Dazu kommt, dass wir den Code über die Jahre immer wieder kopiert und für neue Zeitungstitel von Tamedia eingesetzt haben, dadurch stieg die Komplexität. Und nicht zuletzt haben sich auch die Erwartungen der Leserinnen und Leser verändert, die mobile Nutzung ist seit dem letzten Relaunch von gegen 0 auf fast 80 Prozent hochgeschnellt.

«Wir haben den Inhalt ins Zentrum gestellt»

Was bedeutet das für das Projekt?
Im Grunde ist es ziemlich einfach: Unsere Leserinnen und Leser wollen in erster Linie guten Journalismus, übersichtlich dargestellt und gut auffindbar. Und das auf Mobile. Deshalb haben wir den Inhalt ins Zentrum gestellt, mit Mobile begonnen und erst in einem zweiten Schritt eine Desktopversion entwickelt. Die Seite passt sich endlich automatisch der Grösse des Bildschirms an, was mit den weiterhin fixen Werbeformaten nach wie vor nicht ganz einfach ist.

Responsive ist ja noch nicht der grosse Wurf. Was wird nun konkret besser?
Wir haben das Design grundlegend überarbeitet, lebendiger aber gleichzeitig hochwertiger positioniert, und wir führen neue Darstellungsformen für Inhalte ein. Weil wir die Seite komplett neu entwickelt haben, ist sie nun deutlich schneller. Dazu kommt beispielsweise eine bessere Suche. Es fehlt aber auch noch das eine oder andere. Im Test verzichten wir beispielsweise auf die Kommentarfunktion. Wir starten mit den wichtigsten Grundfunktionalitäten und arbeiten parallel dazu bereits an der Weiterentwicklung. Dank der neuen technologischen Basis wollen wir damit in Zukunft sehr viel schneller vorankommen.

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Wird es überhaupt noch kostenlosen Lesestoff geben – oder verschwindet alles hinter einer Bezahlschranke?
Am Verhältnis zwischen kostenlosen und Abo+-Artikeln, wie wir Artikel für Abonnentinnen und Abonnenten nennen, ändert sich vorerst nichts. Allerdings wird es deutlich schwieriger, an Abo+-Artikel zu kommen, ohne dafür zu bezahlen. Der einfachste Weg zu kostenlosen Tages-Anzeiger- oder BZ-Artikeln ist in Zukunft hoffentlich wieder, ihre Nachbarin nach der Zeitung zu fragen.

Welches waren die grössten Herausforderungen während der Planungsphase?
Das Tempo. Wir haben erst im letzten Mai mit der Entwicklung der neuen Website begonnen – die Arbeit am neuen Redaktionssystem war damals bereits seit längerem im Gang. Innerhalb von neun Monaten einen neuen Auftritt zu entwickeln, der auf unsere Bedürfnisse wie Mehrsprachigkeit, das Netzwerk zwischen unseren Zeitungen und unser Bezahlangebot Rücksicht nimmt, war eine ziemlich sportliche Aufgabe und nur dank einem wirklich grossartigen Team möglich.

Die Leserinnen und Leser dürfen entscheiden, ob sie weiterhin die «alte» Website die Betaversion besuchen möchten. Warum das?
Während der Betaphase werden die meisten Leserinnen und Leser wie bisher die normale Seite nutzen. Die Testversion wird weniger aktuell sein, es sind nicht alle Artikel verfügbar und wir können auch Fehler nicht ausschliessen. Die Betaversion, die wir voraussichtlich nach rund drei Wochen wieder vom Netz nehmen, ist zudem auch nur für eingeloggte Nutzerinnen und Nutzer verfügbar. Eingeloggte Abonnentinnen oder Abonnenten haben direkten Zugriff, alle anderen User können sich registrieren.

Sie sagten eingangs, Sie seien gespannt auf das Feedback der Leserinnen und Leser. Was erhoffen Sie sich davon?
Was uns interessiert: Finden sich unsere Leserinnen und Leser gut zurecht, lädt die Seite so schnell wie erwartet, funktioniert unser Bezahlsystem, aber auch, wie gut greifen das neue digitale Redaktionssystem und die neue Website ineinander? Wir möchten also möglichst viel Feedback sammeln, damit wir wissen, woran wir noch arbeiten müssen. Wir haben die neue Seite in den vergangenen Monaten natürlich immer wieder mit ausgewählten Nutzern getestet, aber gewisse Dinge lassen sich nur unter Livebedingungen herausfinden.

«In der Testphase beschränken wir uns auf sechs Plattformen»

Vorläufig gehen nur die Websites von sechs Bezahlzeitungen online. Wann folgen noch mehr?
In der Testphase beschränken wir uns auf sechs Plattformen, fünf in der Deutschschweiz und eine in der Romandie: 24heures.ch, berneroberlaender.ch, bernerzeitung.ch, langenthalertagblatt.ch, thunertagblatt.ch, tagesanzeiger.ch. Das sollte uns ein gutes Bild geben und für die Testphase ausreichend sein.

Und wann gehen dann die überarbeiteten definitiven Versionen an den Start?
Die einzelnen Seiten werden schrittweise live gehen, die Berner Zeitung vermutlich bereits in einigen Wochen, der Tages-Anzeiger, die Basler Zeitung, der Bund, der Landbote, die Zürichsee-Zeitung und der Zürcher Unterländer sowie unsere Titel in der Romandie voraussichtlich bis im Frühsommer.

Ich habe auf Facebook gelesen, dass die Journalisten des Tages-Anzeigers seit dem 13. Januar früher aus den Federn müssen, weil die Redaktion auf «Mobile first» umgestellt hat. Was heisst das konkret?
Ja, die neue Website ist lediglich der sichtbarste Teil einer ganzen Reihe von Veränderungen. Für die Redaktion zentral ist der neue digitale Teil des Redaktionssystems, mit dem wir in Zukunft Online und Print gleichzeitig bespielen können. Gleichzeitig wollen wir den Bedürfnissen von Leserinnen und Lesern auf mobilen Geräten noch besser gerecht werden. In den letzten Monaten haben wir verschiedene Ideen und Prozesse getestet, nun haben die Redaktionen teilweise ihre Tagesabläufe umgestellt. Deswegen müssen längst nicht alle Journalistinnen und Journalisten früher aufstehen, aber in einzelnen Fällen kann das durchaus sein. Wir folgen damit dem Verhalten unserer Leserinnen und Leser. Viele von ihnen schauen am Morgen vor sieben Uhr zum ersten Mal bei uns vorbei und erwarten andere Inhalte als beim Zubettgehen.

«Mobile first»: Aus welchem Grund soll ich dann noch ein Tagi-Printabo abschliessen?
Wir verkaufen kein Papier und auch keine Pixel, sondern guten Journalismus, unabhängig, kritisch und für ein breites Publikum. Die gedruckte Zeitung bietet einmal am Tag eine in sich abgeschlossene Auswahl. Völlig entschleunigt. Mobile sind wir schneller und können in Sachen Storytelling viel mehr Möglichkeiten nutzen, bieten Ihnen aber die gleiche Vertiefung. Dafür werden Sie beim Lesen eines interessanten Textes vielleicht durch eine WhatsApp-Nachricht oder eine Instagram-Notification gestört. Was Ihnen mehr liegt, müssen Sie selbst entscheiden.

«Ich könnte keinen dieser Jobs so gut wie sie»

Zu Ihnen persönlich: Bis Juni 2018 waren Sie Leiter Kommunikation und Public Affairs, bevor Sie sich eine Auszeit nahmen (persoenlich.com berichtete). Seit gut einem Jahr sind Sie nun Chief Product Officer. Was reizte Sie an dieser Position?
Als ich vor zwei Jahren als Leiter Kommunikation kündigte, hatte ich eigentlich nicht vor, zu Tamedia zurückzukehren. Aber ich habe den Entscheid keine Minute bereut. Es gibt wenige Branchen, in denen so viele interessante Menschen arbeiten und wenige Aufgaben mit einem so breiten Mix zwischen einem schnellen News-Tagesgeschäft und strategischen Entwicklungsprojekten. Vor allem aber glaube ich an die Bedeutung von unabhängigen Medien für unsere Gesellschaft. Daran mitarbeiten zu dürfen, für diese Medien ein digitales Geschäftsmodell zu entwickeln, motiviert mich sehr.

Haben Sie sich während des Sabbaticals die nötigen Skills angeeignet?
In meinem Bereich arbeiten Journalistinnen, Entwickler, Product Manager, Motion- und UX-Designerinnen, Projektleiter und Einkaufsspezialisten. Ich könnte keinen dieser Jobs so gut wie sie, obwohl ich selbst einmal als Journalist gearbeitet habe oder Websites designt und HTML-Codes geschrieben habe. Es geht deshalb vor allem darum, ein Ziel zu setzen, meine Kolleginnen und Kollegen davon zu überzeugen und sie auf dem Weg dahin zu unterstützen.



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