26.10.2020

Jahrbuch Qualität der Medien

Forscher schlagen Spotify-Modell für News vor

Die Medien hätten in der ersten Phase der Corona-Krise keine Panik gemacht. Dennoch habe es Mängel gegeben, so das Fazit im «Jahrbuch Qualität der Medien». Der Journalismus sei zu stark von Expertenstimmen abhängig gewesen, so die Forscher.
Jahrbuch Qualität der Medien: Forscher schlagen Spotify-Modell für News vor
Nicht nur Parlamentarier, auch Junge soll der Journalismus erreichen. Bei neuen Abomodellen können laut den Forschern des Fög Spotify, Netflix & Co. als Vorbild dienen. (Bild: Keystone: Peter Klaunzer)

Kein anderes Ereignis hat in den vergangenen Jahren die Schweizer Medien derart geprägt wie die Corona-Pandemie. Wie sich diese auswirkt, zeigt das Jahrbuch Qualität der Medien. Die Befunde, die am Montagvormittag in Zürich an einer Medienkonferenz vorgestellt wurden, zeigen, dass sich die Menschen in Krisenzeiten wieder vermehrt den Informationsmedien zuwenden – auch über Social Media. Das Bedürfnis nach Fakten und verlässlichen Informationen steigt. Die höhere Nutzung spiegle das vergleichsweise grosse Vertrauen, das die Menschen unabhängig ihres Alters in die traditionellen Medien setzen. So geben 44 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer an, den Medien überwiegend bis stark zu vertrauen, während es bei Social Media nur 19 Prozent sind.

70 Prozent mit Bezug zu Corona

Laut den Forschern attestieren den Medien für die Zeit während der Untersuchung bis Ende April 2020 (und mit automatisierten Verfahren bis Juni 2020) eine gute Leistung: «Die Berichterstattung war selbst in Boulevard- und Pendlermedien zumeist sachlich gehalten. Eine Panikmache blieb aus.»

Allerdings zeigten sich auch deutliche Mängel. Die Corona-Thematik hat wie kein anderes Ereignis die journalistische Berichterstattung dominiert (vgl. Darstellung unten). Bis zu 70 Prozent der Berichterstattung machten phasenweise in Haupt- oder Nebenschwerpunkten eine Referenz auf das Virus. «Als Folge davon fielen andere wichtige Themen im ersten Halbjahr 2020 aus der Agenda. Der Klimawandel, der das Wahljahr 2019 noch bestimmt hatte, verlor im untersuchten Zeitraum als Thema der Berichterstattung deutlich an Aufmerksamkeit», heisst es.

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Prekäre Finanzlage

Auch haben die Forscher eine «relativ hohe Qualität der Medienberichterstattung zur Pandemie beobachtet», wie in einer bereits im Sommer vorab publizierten Studie feststellten. Doch trotz dieser positiven Entwicklungen gelinge es den Medien nicht, die Ausfälle bei den Werbeerträgen über den Lesermarkt zu kompensieren. «Die Corona-Krise verschärft die seit längerem prekäre finanzielle Lage des Informationsjournalismus zusätzlich», sagte Mark Eisenegger, Direktor des Fög.

Wissenschaftsberichte vernachlässigt

Die Corona-Krise habe darüber hinaus eine grosse Abhängigkeit der Medien von Expertinnen und Experten zu Tage gefördert. «Dies überrascht nicht, denn die Wissenschaftsberichterstattung hat in der Schweiz einen geringen Stellenwert und beträgt nur 2,1 Prozent aller Medienbeiträge», schreibt das Fög. Zwar sei der Anteil Beiträge, die sich schwerpunktmässig auf Wissenschaft beziehen, in den letzten fünf Jahren stabil geblieben. Die Einordnungsleistung habe sich seit 2015 aber mehr als halbiert und zähle im Jahr 2019 noch rund 14 Prozent (gegenüber 36 Prozent im Jahr 2015). Laut Eisenegger ist dies problematisch, «denn die Vermittlung und Einordnung von wissenschaftlichem Wissen ist für die Gesellschaft von grosser Bedeutung – nicht erst seit der Pandemie».

Diese Grafik veranschaulicht die Resonanz der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den einzelnen Medien:

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Vielfalt schwindet, vor allem bei Politik

Das Jahrbuch untersucht jährlich die Entwicklung der Medienqualität anhand von vier Dimensionen. Der deutlichste Rückgang wird wie bereits in den vergangenen Jahren bei der Dimension Vielfalt verzeichnet. In ihrer Berichterstattung decken die Medien ein immer kleineres Spektrum an Themen und geografischen Räumen ab. Darauf hatte auch der Verein Medienqualität Schweiz im Medienqualitätsrating vom September hingewiesen (persoenlich.com berichtete). Damals hiess es, dass auch innerhalb der Medienarena die Vielfalt insgesamt abnehme, weil immer mehr Medien dieselben Beiträge teilen.

Junge wollen Themen, die mobilisieren

Während der Pandemie zeigten auch junge Menschen einen höheren Nachrichtenkonsum – jedoch nur kurzfristig. Die sogenannten «News-Deprivierten», mehrheitlich junge Erwachsene, die durch einen unterdurchschnittlichen News-Konsum charakterisiert sind, würden mittlerweile mit einem Anteil von 37 Prozent die grösste Nutzergruppe bilden, so das Fög. Sie haben die Nutzungsgewohnheiten von jungen Erwachsenen genauer untersucht. Dabei wurde deutlich, dass diese unter bestimmten Voraussetzungen Interesse an News haben: Mobilisierende Themen wie die #MeToo- oder die «Fridays for Future»-Bewegung stossen auf Interesse, wenn die Informationen zur eigenen Identität und zur eigenen Community passen. Bevorzugt werden Nachrichten, die ansprechend aufbereitet (z.B. audiovisuell), leicht verständlich und gut in den Alltag integrierbar sind. Eine Bereitschaft, für News zu bezahlen, besteht bei dieser Nutzergruppe nur eingeschränkt und am ehesten dann, wenn journalistische Inhalte unterschiedlicher Medien auf einer Plattform als Flatrate angeboten werden.

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«Spotify für Journalismus» wäre nötig

Die Krise der Medien verstärkt sich mehr und mehr: Angesichts der sinkenden Werbeeinnahmen würden Bezahlmodelle an Bedeutung, so die Fög-Forscher. Die Zahlungsbereitschaft bleibe in der Schweiz aber auch im Jahr 2020 tief – nur 13 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer geben an, für Online-News zu bezahlen (2016: 10 Prozent). Am meisten zugenommen hat die Zahlungsbereitschaft bei jungen Frauen zwischen 18 und 24 Jahren und beträgt aktuell 19 Prozent (2016: 7 Prozent). «Dies weckt Hoffnung, dass eine Generation heranwächst, die wieder vermehrt bereit ist, für News im Web zu bezahlen», so das Fög. Voraussetzung dafür seien zielgruppengerecht aufbereitete Inhalte sowie neue Bezahlmodelle, die den Bedürfnissen der jungen Generationen entsprechen, wie etwa ein «Spotify für Journalismus». «Die Suche nach dem Geschäftsmodell der Zukunft wird weiter andauern», fasst Eisenegger zusammen und er fordert: «Eine stärkere direkte Medienförderung bleibt daher notwendig, und zwar für Print- wie Onlinemedien.»

Seit 2010 untersucht das Fög jährlich die Entwicklung des Schweizer Mediensystems. Die detaillierten Ergebnisse lesen Sie hier.

Was sagen Expertinnen und Experten zu diesen Ergebnissen? Verfolgen Sie die Medienkonferenz und anschliessende Podiumsdiskussion Gästen aus den Redaktionen, Virologie und der Wissenschaft über den Livestream.



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