10.04.2002

"Ich hoffe auf eine Vertrauensbasis, welche die Flucht zu Ringier unnötig macht."

Balz Hosang (Bild) ist als neuer Chefredaktor des Beobachters nominiert worden. Gemäss Redaktionsstatut muss die Belegschaft mit dem neuen Chef einverstanden sein. Am Mittwoch um 15.30 Uhr traf der Kandidat für eine Fragestunde mit der Redaktion zusammen. Für die Sitzung, an deren Ende entschieden werden sollte, wurde Open-End angesagt. "persoenlich.com" befragte im Vorfeld Balz Hosang zu seiner Motivation und Plänen und sprach mit der Redaktion.
"Ich hoffe auf eine Vertrauensbasis, welche die Flucht zu Ringier unnötig macht."

Sie kennen den Beobachter aus der Zusammenarbeit für die Sendung "Quer". Was reizt Sie an diesem Produkt?

Der Beobachter macht einen Journalismus, der dem entspricht, was ich in den vergangenen Jahren gemacht habe: nahe bei den Leuten und ihren Sorgen.

Sollte sich die Beo-Redaktion für Sie entscheiden, was werden Sie als Chefredaktor anders machen als Ihr Vorgänger?

Ich will da nicht in einen Ankündigungsjournalismus verfallen und kommunizieren, bevor ich mit den Betroffenen gesprochen habe. Ich werde keine Patentrezepte aus dem Ärmel schütteln, schon gar nicht nach dieser kurzen Zeit. Ich habe mich ja erst über das letzte Wochenende für einen Wechsel entschieden.

Wurden Sie von Ihrem früheren Chef Filippo Leutenegger vorgeschlagen, der jetzt Jean Frey-CEO ist?

Natürlich bestehen Kontakte zu Filippo Leutenegger. Er hat mich auch angefragt, ob ich mir einen Wechsel vorstellen könnte. Parallel dazu wurde mein Name aber auch von der Redaktion ins Spiel gebracht, und zwar als einer unter verschiedenen möglichen Chefs. Durch Aufbau und Leitung von "Quer" kenne ich etliche Leute beim Beobachter.

Wie gross ist für Sie der Schritt vom TV zum Print?

Sehr gross. Ich war während 25 Jahren beim Fernsehen, hatte dort viele Möglichkeiten und erfuhr permanent neue Herausforderungen. Der Weggang aus Leutschenbach in einen Printtitel ist für mich nur hin zum Beobachter denkbar.

Woher möchten Sie sich das Know-How für den Print holen?

Ich habe jahrelang als freier Journalist auch für den Print gearbeitet. Letztlich machen wir Journalismus, sowohl im Print-, als auch im Fernsehbereich. Zudem sind Zeitschriften Teamprodukte, und Teamarbeit lernt man beim Fernsehen. Nichtsdestotrotz habe ich einen Riesenrespekt vor dieser Aufgabe, auf die ich mich im Übrigen sehr freue.

Was geschieht, wenn Sie die Redaktion ablehnt?

Für die Kandidatur habe ich mich erst entschieden, als ich wusste, dass in der Redaktion selber eine solche Lösung diskutiert wurde - eine von oben verordnete Anstellung gegen den Widerstand des Teams könnte ich nicht annehmen. Eine Ablehnung ist für mich aber unwahrscheinlich.

Die Beobachter-Crew hat mit Ringier geliebäugelt. Haben Sie keine Angst, dass es zu weiteren Kündigungen kommt?

Das ist für mich zu wenig abschätzbar. Ich bin seit einem Monat vom Mekong zurück in Europa und habe nicht alle Vorgänge rekonstruiert. Nach meiner Betrachtung hat sich das aber beruhigt. Heute Nachmittag treffe ich die Redaktion. Ich hoffe auf eine Vertrauensbasis, welche die Flucht unnötig macht.

Für Ihren Vorgänger Ivo Bachmann ist es unvereinbar, wenn der Beobachter als Anwalt der Kleinen nun "den Grossen" gehört. Wie sehen Sie das?

Erstens ist das Aktionariat breit und dispers, da glaube ich nicht an Einflussnahmen. Zusätzliche Sicherheit gibt Filippo Leutenegger, den ich als jemanden erlebt habe, der die redaktionellen Freiheiten verteidigt. Er wird auch in der jetzigen Verlagsposition Druckversuche abwehren. Drittens ist der Beobachter eine Perle. Die Investoren möchten letztlich Geld verdienen, deshalb kann ich mir schlecht vorstellen, dass sie das zentrale Kapital des Blatts - seine Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit - gefährden. Insofern ist die Situation auch nicht wesentlich anders als bei anderen Verlagshäusern, wo die Verleger Geld verdienen wollen.

Die neuen Jean Frey-Besitzer bringen insgesamt wenig verlegerisches Wissen. Stört Sie das nicht?

Ich glaube nicht, dass das Aktionariat der Sulzer viel Erfahrung im Maschinenbau hat. Und wenn ich sehe, was in einzelnen von Verlegern geführten Verlagshäusern vorgeht, dann weiss ich nicht so recht, was ich mit der Frage anfangen soll.

'Keine prinzipielle Ablehnung'

Ein Redaktionssprecher des Beobachters sagte auf Anfrage von "persoenlich.com", eine Entscheidung am Mittwoch sei wahrscheinlich. Eine Denkpause sei aber immer möglich. Der Sprecher konnte den Entscheid nicht vorwegnehmen, von einer prinzipiellen Ablehnung Hosangs könne aber keine Rede sein. Ein Teil der Redaktion kenne ihn ja bereits aus der gemeinsamen Zusammenarbeit für "Quer". Zur Frage eines möglichen Abgangs der Redaktion zu Ringier sagte der Beo-Mann: "Ich weiss es schlicht nicht." Das Thema sei bestimmt noch nicht hundert Prozent vom Tisch. Die meisten Mitarbeiter würden wohl erst mal wissen wollen, was denn eine Jean Frey mit Hosang bedeute. Und bis zum Kündigungstermin am Monatsletzten dauere es ja noch eine Weile.


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