05.05.2014

Artur K. Vogel

"Jedes Jahr ein Roman, bis ich tot oder gaga bin"

Mit "Der Keller in der Kirchgasse" hat Artur K. Vogel, Chefredaktor beim "Bund", sein erstes literarisches Werk vorgelegt. Darin geht es um den Suizid eines erfolgreichen Rechtsanwaltes, das Scheitern seiner Ehe und die anschliessenden Irrungen und Wirrungen. Unter dem Titel "Klartext: Berner Chefredaktor ist Porno-Poet" berichtete der "Blick am Abend" über das Buch. Im Gespräch mit persoenlich.com äussert sich Vogel zu den Vorwürfen aus dem Hause Ringier und zum Verhältnis von Journalismus und Literatur - und stellt für die Zukunft einiges in Aussicht.
Artur K. Vogel: "Jedes Jahr ein Roman, bis ich tot oder gaga bin"

Herr Vogel, der "Blick am Abend" bezeichnete Sie wegen einer angeblich schlüpfrigen Stelle in Ihrem Roman "Der Keller in der Kirchgasse" als "Porno-Poet". Haben Sie das als Beleidigung oder als Kompliment aufgefasst?
Ich fand es einfach ungeheuer spiessig von einer Zeitung, die ihre Leser mit halbbekleideten Verkäuferinnen und Coiffeusen anlockt - ansonsten habe ich mich sehr amüsiert.

Hat es Sie überrascht, dass ausgerechnet der "Blick am Abend" über Ihr Buch berichtet?
Ja. Wenn man das ganze Buch liest, sieht man, dass es nur wenige sexuell explizite Stellen hat. Die gehören einfach dazu. Ich hätte allerdings gehofft, dass der Artikel auch im normalen "Blick" erscheint, weil das allenfalls beim Absatz des Buches geholfen hätte.

Der Artikel im "Blick am Abend" hat sich nicht ausgewirkt?
Ich weiss es leider nicht, weil mein Verleger bis vor kurzem in den Ferien war und mir noch keine Verkaufszahlen geliefert hat.

Sie haben bestimmt damit gerechnet, dass in der Branche über das Buch und die einschlägigen Stellen geredet wird.
Ich bin schon seit über 40 Jahren im Geschäft und habe damit gerechnet, dass man die Gelegenheit ergreift, um mich mit Häme und Bösartigkeiten zu überschütten, weil man sonst nicht dazu kommt. Es hätte aber auch totgeschwiegen werden können, wobei mir das fast weniger lieb wäre.

Abgesehen vom "Blick am Abend" wird es doch eher totgeschwiegen.
Bisher schon, aber einige Zeitungen haben mir angekündigt, dass sie es noch besprechen werden. Ich habe nicht damit gerechnet, dass das Buch gross herauskommt - zumal es bei einem kleinen Verlag erschienen ist, der nicht viele Mittel für Werbung hat.

Spielt da auch der Neid der Kollegen? Es heisst ja, jeder Journalist sei ein verhinderter Schriftsteller - Sie haben es nun geschafft.
Ich könnte mir schon vorstellen, dass es Leute gibt, die jetzt Neid entwickeln. Und vor allem gibt es Leute, die sich nicht vorstellen können, dass man als Chefredaktor einer Zeitung noch Zeit hat für so etwas. Darauf gibt es eine ganz einfache Antwort: Ich bin seit sieben oder acht Jahren Single, und ich habe neben der Arbeit auch noch ein anderes Leben, das ich versuche, sinnvoll auszufüllen.

Das Buch ist immerhin nicht als Schlüsselroman gelesen worden.
Es wäre sehr doof, wenn man das Buch als Schlüsselroman läse. Ich kann Ihnen aber sagen, dass der nächste Roman, der fast fertig ist, sehr viel mehr zu reden geben und sehr viel näher an der Realität sein wird. Das hier ist eine Fiktion von A bis Z. Das ist das Schöne, wenn man so ein Buch schreibt. Man kann aus einem ganzen Fundus schöpfen und erfinden, was man will - was man im Journalismus ja nicht kann, wenn man ihn seriös betreibt.

Hat Sie gerade das auch gereizt?
Es hat mich gereizt, in eine andere Sphäre vorzustossen. Ich habe schon Sachbücher geschrieben, das war aber eher eine Art verlängerte Form des Journalismus. Das hier war etwas ganz anderes.

Wie ist vom Handwerk her der Unterschied zwischen journalistischem und literarischem Schreiben?
Wenn Sie journalistisch schreiben, sitzen Sie vor einem Berg von Papier und Notizen. Hier sitzen Sie vor einem leeren Blatt Papier und können drauflos fantasieren. Das ist eine ganz neue Dimension, was ich sehr spannend fand.

Also wollen Sie nach Ihrer erfolgreichen Karriere als Journalist noch eine als Schriftsteller dranhängen?
Das von der erfolgreichen Karriere haben jetzt Sie gesagt. Aber ich habe schon das Ziel, noch ein paar Romane zu schreiben.

Die grossen Schriftsteller, die journalistisch tätig waren, arbeiteten nicht unbedingt als Chefredaktoren, sondern eher als Reporter im Feld - wie zum Beispiel Hemingway.
Hemingway ist ein sehr gutes Beispiel – ein grossartiger Journalist und ein grossartiger Schriftsteller. Ich habe schon drei Romane geschrieben und fortgeworfen. Der eine hat zu sehr nach Hemingway getönt, der andere zu sehr nach Thomas Bernhard. Und jemanden zu imitieren kommt natürlich nicht infrage.

Sie schreiben mit Verweis auf John Le Carré, es gebe keinen Unterschied zwischen ernster und unterhaltender Literatur, sondern nur zwischen guter und schlechter. Nehmen Sie das auch für Ihr Buch in Anspruch?
Ich hoffe sehr, dass mein Buch sowohl ernst als auch unterhaltend ist. Für mich muss ein Buch gewisse Elemente von Unterhaltung haben. Gerade Humor kann bei einem heiklen Thema helfen, etwas erträglich und verdaulich zu machen.

Das ist bei Ihnen auch nötig.
Ja, es geht um kaputte Beziehungen, um Burnout, um Suizid, um Vater-Kind-Beziehungen. Es ist ziemlich heavy - das fällt mir erst jetzt auf, wenn ich wieder darin blättere.

Wie haben Sie die Figuren der Erzählung geformt?
Ich habe diese wie aus Lehm, einfach in der Phantasie geformt und mir zum Beispiel vorgestellt, wie ein erfolgreicher Rechtsanwalt mit 53 sein könnte. Ich habe einige Anwälte in meinem Bekanntenkreis. Ich habe ja selber auch mal Jus studiert.

Sie zeichnen allerdings kein sehr gutes Bild von Anwälten und vergleichen sie wiederholt mit Prostituierten.
Ja, natürlich. An einer Stelle schreibe ich, dass sich ein Anwalt von einer Prostituierten dadurch unterscheidet, dass er nicht den Hintern hinhalten muss, um sein Geld zu verdienen. Bis zu einem gewissen Grad stimmt das, denn als Anwalt verkaufen Sie ihre Leistungen demjenigen, der Sie bezahlt, und übernehmen hundertprozentiug dessen Position. Aber wie gesagt: Keine Figur in meinem Roman entspricht einer Figur aus dem wirklichen Leben. Ich habe sämtliche Protagonisten in meiner Phantasie zusammengekleistert.

Die Prostituierten also auch?
Es kommt zum Beispiel diese Prostituierte in Amsterdam vor. Alle Leute haben mich gefragt, ob ich die wirklich getroffen hätte. An dieser Geschichte stimmt nur etwas: Ich habe einmal eine Frau kennengelernt, die ihren Namen in gotischen Lettern quer über den Rücken tätowiert hatte. Ich habe nie begriffen, wieso man das tut.

Wie sind Sie auf die Konstruktion mit der Rahmenerzählung gekommen, bei der die Tochter die Aufzeichnungen ihres Vaters liest und kommentiert?
Anfangs gab es diese Rahmenerzählung nicht. Die Hauptgeschichte habe ich 2011 geschrieben, dann lag das Manuskript lange rum, und letztes Jahr habe ich beschlossen, etwas daraus zu machen. Ich habe mir die Geschichte also nochmals vorgenommen und eine Rahmenhandlung darum herum gebaut. Sonst wäre es allzu heavy geworden und hätte kitschig aufgehört. Dafür drängte sich die Tochter, die ja sowieso vorkommt, als Erzählerin auf.

Den Schauplatz haben Sie sehr detailliert und originalgetreu beschrieben. Warum haben Sie Zürich genommen?
Das Wort Zürich kommt nie vor, aber man sieht es natürlich an den Namen und Beschreibungen. Ich kenne zwei Häuser an der Kirchgasse von innen, und ich fand das als Ort für einen Suizid passend. Die Schauplätze haben im Gegensatz zu den Menschen eine Entsprechung in der Realität. Beim Parkhaus Hohe Promenade zum Beispiel kann man wirklich in die Mauer knallen, wenn man zu schnell einfährt, das ist in diesem Sinne nicht erfunden. Die Kirchgasse hat Kopfsteinpflaster und geht steil hinunter. Wo es um konkrete Schauplätze geht, habe ich darauf geachtet, dass sie präzise beschrieben sind.

Da haben Sie gewissermassen journalistisch gearbeitet.
Ja, wie alle Schriftsteller. Man muss irgendwo eine Grundlage haben.

Wann haben Sie eigentlich Ihre ersten drei Romane geschrieben?
Das war vor etwa 20 Jahren. Die waren aber einfach nicht gut.

Und der nächste?
Der ist fast fertig. Und für den übernächsten habe ich die Ideen auch schon beieinander. Mein Ziel ist, jedes Jahr einen Roman zu veröffentlichen, bis ich tot oder gaga bin.


Artur K. Vogel, geboren 1953 in Luzern, ist seit 2007 Chefredaktor des Berner "Bund". Davor arbeitete er für "Tages-Anzeiger", "Weltwoche", "Facts", SRF und "Aargauer Zeitung" als Redaktor, Auslandchef und Korrespondent in London, im Nahen Osten und im Welschland. "Der Keller in der Kirchgasse" - erschienen im Offizin Verlag - ist sein erstes literarisches Werk.

Interview: Lukas Meyer//Bild: Alexandra Schürch



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