04.06.2013

SonntagsZeitung

Kontroverse um Widmer-Schlumpf-Interview

NZZ-Inland-Redaktor beanstandet Interview-Praxis der Konkurrenz.
SonntagsZeitung: Kontroverse um Widmer-Schlumpf-Interview

Wann ist ein Interview ein Interview? Muss der Journalist den Gesprächspartner entweder persönlich getroffen oder am Telefon befragt haben? Oder sind auch Antworten, die per Mail eingereicht wurden der journalistischen Form des Interviews zugehörig? Handelt es sich nur dann um ein Interview, wenn die befragte Person, die Antworten selber gegeben hat oder kann auch die Kommunikationsabteilung Interview-Antworten autorisieren, die dann im Namen des Vorgesetzten publiziert werden? Um diese Fragen streiten sich derzeit die "Sonntagzeitung" und die "Neue Zürcher Zeitung". Entfacht hatte der Zwist ein auf dem "Bundesplatz"-Blog erschienener Kommentar. NZZ-Inland-Chef und stellvertretender Chefredaktor René Zeller wirft darin der "Sonntagszeitung" vor, sie habe ein nicht geführtes Interview mit Eveline Widmer-Schlumpf publiziert.

Frontanriss auf Interview mit der Bundesrätin
Wie Zeller schreibt, hatte er am Sonntag mit bewundernder Verblüffung festgestellt, dass die "Sonntagszeitung" es fertig brachte, mit der derzeit meistgefragten Interviewpartnerin der Schweiz ein Interview zu bekommen. In der Tat titulierte die "Sonntagszeitung" prominent auf der Frontseite: "Der Bundesrat könne den Steuerstreit nicht in eigener Regie lösen, sagt Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf im Interview."

Wenn eine Sonntagszeitung auf der Front mit den Worten "(...) im Interview" einen Beitrag ankündigt, erwartet der NZZ-Redaktor Texte von anderem Gehalt, als er sie von der SoZ serviert bekam. "Was uns Lesern dann aber auf Seite 3 der 'Sonntagszeitung' als Interview vorgesetzt wird, ist dürftig, wenn nicht gar ärmlich. Vier spröde Fragen, vier Antworten – als hätte Eveline Widmer-Schlumpf nicht mehr zu sagen zur Sache, welche zurzeit auf allen Kanälen rauf und runter diskutiert wird", kommentiert Zeller. Und er fragt: "Ist das, was uns der Sonntagstitel aus dem Hause Tamedia präsentiert, wirklich ein Interview?"

Vier Fragen in die Finanzdepartement-Inbox
Zeller lässt diese Angelegenheit nicht mehr los. Laut Beschreibung auf bundesplatz.blog.nzz.ch bestätigte ein klärendes Telefongespräch mit der Kommunikationsabteilung des Finanzdepartements seinen Verdacht: "Der Bundeshauschef der 'Sonntagszeitung', der den als Interview gekennzeichneten Beitrag unterzeichnet hat, führte gar kein Interview. Er hat einfach vier Fragen in die Mailbox des Finanzdepartement übermittelt."

In der SoZ fehlte ein Hinweis
Dass das Interview schriftlich geführt wurde, bestätigt Simon Bärtschi, stellvertretender Chefredaktor der Sonntagszeitung auf Anfrage von persoenlich.com. Er stellt aber klar: "Die Antworten wurden von Bundesrätin Widmer-Schlumpf am Samstagmorgen autorisiert. Das Kurzinterview enthält nichts anderes als die Worte der Finanzministerin." 

Die Sonntagszeitung sieht in ihrer Praxis keine Unsitte und glaubt auch nicht, die Kriterien, denen ein Interview in einer Sonntagzeitung genügen muss, anders zu interpretieren als die NZZ. Die SoZ gesteht lediglich ein, den Zusammenhang nicht richtig gekennzeichnet zu haben: "In der Zeitung fehlte der Hinweis 'schriftlich geführt'", so Bärtschi.

Unterschiedliche Interpretationen
"Was ist ein Interview?", diese Frage lässt sich trotz langen Definitionen in Lehrbüchern und ganzen Kursreihen nicht abschliessend beantworten. Denn je nach Trägermedium (TV, Radio, Print oder Online), Titel (Monats-, Wochen- oder Tageszeitung) oder je nach Ansprüchen, die ein Journalist oder eine Redaktion an sich selbst stellt, fällt die Antwort anders aus.

Glücklicherweise ist auch für die journalistische Textform "Blog-Text" keine abschliessende Definition vorhanden. Sonst hätte die Sonntagszeitung René Zeller vorwerfen können, dass er Denis von Burg, den SoZ-Bundeshauskorrespondenten und Autor des Interviews, nicht mit den Vorwürfen konfrontiert hatte, bevor er in die Tasten haute. So hätte Zeller erfahren, dass die Antworten von Bundesrätin Widmer-Schlumpf autorisiert worden waren.

Dies hätte ihn aber wohl nicht abgehalten, die Statthaftigkeit des SoZ-Interviews anzuzweifeln. (eh)

Bild: Keystone



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