21.10.2018

Die Schweiz spricht

«Kuscheldynamik» statt Streitgespräche

Die Schweiz hat gesprochen: Am Sonntag haben sich 700 Gesprächspaare mit unterschiedlicher politischer Einstellung getroffen und sich ausgetauscht. Das Fazit: Ganz so weit gingen die Meinungen nicht auseinander.
Die Schweiz spricht: «Kuscheldynamik» statt Streitgespräche
Die Teilnehmenden sprachen im Anschluss an ihre Debatte mit Moderator Sandro Brotz. (Bild: persoenlich.com)
von Anna Sterchi

Am Sonntagnachmittag haben sich knapp 1500 Menschen zur Aktion «Die Schweiz spricht» getroffen, um sich mit politisch Andersdenkenden auszutauschen. Ziel des schweizweiten Projekts war es, Menschen mit ganz unterschiedlichen Meinungen an einen Tisch zu bringen. Die Medienhäuser SRF, RTS, Tamedia, WOZ, «Watson» sowie «Die Zeit» organisierten die Aktion gemeinsam (persoenlich.com berichtete).

Mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen

Am Sonntagabend erzählten drei Paare im Bogen F in Zürich von ihren Gesprächserfahrungen. «Rundschau»-Moderator Sandro Brotz fühlte den fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf den Zahn. Dabei fiel auf: Bei allen Paaren waren die Differenzen deutlich kleiner als angenommen.

Larissa De Palézieux fand: «Die Aktion war lässig. Doch es war überraschend ‹unüberraschend›». Ihr Gesprächspartner, Philippe Hegner, pflichtete ihr bei: «Viel wichtiger als das ‹Ja› oder das ‹Nein› zu einer Frage ist der Hintergrund, warum man so geantwortet hat. Dort waren wir uns oft viel näher als erwartet.»

Marianne Roth und Clotilda Conrad fanden beide, dass der persönliche Austausch bereichernd war und den eigenen Horizont erweiterte: «Ich fand es interessant, den Hintergrund meines Gegegnübers kennen zu lernen. Wenn ich den Kontext meiner Gesprächspartnerin miteinbeziehe, kann ich ihre Sichtweise ganz gut nachvollziehen», so Roth.

Die 24-jährige Bettina Schnider lieferte eine Erklärung für die von Brotz als «Kuscheldynamik» bezeichnete Harmonie zwischen den Gesprächspartnern: «Vielleicht haben wir einfach typisch schweizerisch den Mittelweg gewählt und uns so gefunden.» Einstimmig befanden die Teilnehmenden, dass sie den Kontakt auch in Zukunft aufrechterhalten möchten.

Algorithmus hat Streitpaare ermittelt

Seit August hatten die Interessierten die Möglichkeit, bei den beteiligten Medien sechs politische Fragen zu beantworten. Danach suchte ein Algorithmus für jeden Teilnehmer eine Person, die in der Nähe wohnt und politisch möglichst anders denkt. Daraus ergaben sich 700 Streitpaare, die sich am Sonntag individuell an einem Ort ihrer Wahl verabredeten.

Folgende sechs Fragen bildeten die Grundlage, um die Diskussionspaare zu ermitteln:

Grafik zeit.de jpeg

Oft gleicher Meinung waren sich die Teilnehmenden bei der Frage, ob es den Einwohnern der Schweiz heute schlechter gehe als vor zehn Jahren. Hier gaben knapp 80 Prozent an, dass dies nicht der Fall sei. Eine andere Situation zeigte sich bei der EU-Frage. Hier fanden rund 53 Prozent der Befragten, dass sich die Schweiz stärker der EU annähern sollte. Die Schweiz scheint diesbezüglich gespalten zu sein.

Männliche Teilnehmer aus dem Mittelland

4172 Menschen sagten ihre Teilnahme an der Aktion «Die Schweiz spricht» zu, wie zeit.de schreibt. Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden lag bei 43,5 Jahren. Auffallend ist, dass über 70 Prozent der Gesprächspartner männlich und nur knapp 30 Prozent weiblich waren. Die meisten Teilnehmer kamen aus dem Mittelland. Rekordhalter war gemäss SRF der Zürcher Kreis 4: Über 80 Leute gaben die Postleitzahl 8004 an. Die lateinische Schweiz war bei der Aktion hingegen untervertreten.

Jpeg

Die Teilnehmenden des Schlusspodiums im Bogen F haben sich allesamt dafür ausgesprochen, dass der Anlass im kommenden Jahr wiederholt wird. Matthias Daum, Leiter des Schweiz-Büros der «Zeit», geht davon aus, dass die Aktion wieder stattfinden wird: «Es wäre blöd, den Anlass im Wahljahr nicht durchzuführen.» Zunächst würden die verantwortlichen Medienpartner aber die diesjährige Aktion auswerten und sich beraten, was sie am Format verbessern könnten.



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Kommentare

  • Benjamin Matthey-Doret, 22.10.2018 12:14 Uhr
    Ich war auch dabei, und ich bin auch auf jemanden getroffen, der mir politisch nicht so fernsteht. Eigentlich möchte ich einmal mit einem SVP-Hardlines oder einem linksextremen diskutieren. Aber ich hege den Verdacht, dass diese bei dieser Aktion untervertretensind oder überhaupt nicht vorkommen
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