09.10.2001

"Liberalisierte Werbevorschriften sind nicht marktentscheidend für privates TV"

Der Privat-TV-Sender Tele24 wird aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt. Roger Schawinski macht für das Scheitern die gesetzlichen Rahmenbedingungen verantwortlich. Und was sagen die Marktanalysten? Dr. Josef Trappel (Bild), Medienwissenschafter beim Beratungsunternehmen Prognos*, zum Zuschauer- resp. Werbemarkt, der Verteilung der Werbevolumen und dem Wettbewerb zwischen der Mediengattungen. Das Interview:
"Liberalisierte Werbevorschriften sind nicht marktentscheidend für privates TV"

Herr Trappel, wo sehen Sie gesetzliche Hindernisse für die Marktchancen des privaten Fernsehens in der Schweiz?

Auf europäischer Ebene haben wir eine Reihe von Vorschriften, welche für die unternehmerische Freiheit der Fernsehveranstalter Minima festlegen. Das ist die "Fernsehrichtlinie der Europäischen Union, Fernsehen ohne Grenzen", das ist die Konvention des Europarates. Die Konvention ist auch für die Schweiz verbindlich. Dort sind Schranken gesetzt, welche für die Schweiz wie für das Ausland gelten. Die Schweiz hat via ihre Gesetzgebung für privates Fernsehen kaum restriktivere Schranken eingezogen. Die Wettbewerbsbedingungen sind für schweizerische und ausländische Veranstalter also nahezu gleich. Es gibt unwesentliche Unterschiede, zum Beispiel die Werberegelung für alkoholische Getränke. Diese hat Herr Schawinski als Einschränkung genannt. Ich glaube aber nicht, dass diese Einschränkung wirtschaftlich eine wesentliche Rolle spielt.

Von einer rein ökonomistischen Analyse her betrachtet: Wie sieht der Medienmarkt Schweiz denn aus?

Man muss auch hier die absoluten Schranken zur Kenntis nehmen. Da ist die Marktgrösse, welche für die Schweiz und die Sprachregionen sehr klein ist. Für die Deutschschweiz müssen wir also fragen, in welchem Umfang Ressourcen zur Verfügung stehen, um Fernsehen auf privater Basis überhaupt durchführen zu können. Es geht ja um eine betriebswirtschaftliche Analyse. Und Unternehmen, welche sich mit Privatfernsehen beschäftigen wollen, müssen diese Schranken zur Kenntnis nehmen. Die zweite Überlegung muss sein: Was ist von öffentlichem Interesse? Wenn wir beschränkte Ressourcen haben, also Marktgrösse – Zahl der Haushalte und der ZuschauerInnen –, dann die absolute Menge des zur Verfügung stehenden Werbegeldes – das sich auf verschiedene Medien verteilt –, und die Zuschauerminuten, – wieviel Zeit verbringen die Leute mit Fernsehen –, wenn wir diese drei Bedingungen anschauen, muss ich mich fragen: Wie wird diese Knappheit so verteilt, dass für die Öffentlichkeit ein optimales Resultat herauskommt?

Ich sage: Man muss sich fragen, welche Rolle spielt der öffentliche Rundfunk, und welche Rolle kann dann der private Rundfunk noch spielen. Innerhalb des begrenzten Marktes gibt es den grossen Akteur öffentliches Fernsehen, der eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen hat und der öffentlichen Kontrolle unterliegt. Daneben kann ein privater Sektor entstehen, wenn das private Fernsehen eine raison d’être Þndet, also in der Lage ist, ein bestimmtes Bedürfnis, das durch die Öffentlichen nicht abgedeckt ist, ihrerseits abzudecken. Da kann der Wettbewerb dann trotz der Kleinheit des Marktes spielen.

Es gibt so zwei getrennte Märkte, jener der SRG und jener im Privatsektor. Aber bei der Werbung konkurrenzieren sie sich auf dem gleichen Feld.

Zwei Märkte ja, aber anders: Der Zuschauermarkt und der Werbemarkt, welche nach unterschiedlichen Mechanismen funktionieren, und auf beiden Märkten sind die privaten und die Öffentlichen tätig.

Ist der Markt durch die begünstigten Startbedingungen der Öffentlichen nicht verzerrt?

Die Öffentlichen leisten ja einen Dienst an der Öffentlichkeit, der in den gesetzlichen Vorgaben deÞniert ist. Und diese Leistungen werden abgegolten durch die Gebühren der ZuschauerInnen.

Wäre die Aufteilung "Gebühren für die Öffentlichen, Werbegelder nur für die Privaten" eine oekonomisch sinnvolle Lösung?

Dieses Modell wird in vielen Ländern Europas tatsächlich praktiziert, zum Beispiel in Grossbritannien. Es ist aber für Kleinstaaten nicht anwendbar. Denn die Fixkostendegression, die aller Medienproduktion zugrunde liegt, verursacht bei der Herstellung des Programms so hohe Kosten, dass eine Mindestzahl von Haushalten im Verbreitungsgebiet erforderlich ist. Die Deutschschweiz mit ihren 4.5 Millionen Bewohnerinnen ist viel zu klein, um ein solches Modell Þnanzieren zu können.

Die Gebühren wären dann einfach zu hoch?

Für ein gesetzlich vorgesehenes Vollprogramm müsste man diese Gebühren dann sosehr anheben, dass es für die Haushalte nicht zumutbar wäre.

Könnte denn beim heutigen Modell des gemischten Finanzierungssplits die Finanzierungsbalance durch Liberalisierungen zugunsten der Privaten verbessert werden?

Der restriktivere Anteil in der schweizerischen Gesetzgebung gegenüber der europäischen Minimalregelung ist nicht ausschlaggebend für den Erfolg oder Misserfolg für privates Fernsehen in der Schweiz. Mit den "europäischen" Bestimmungen könnten die privaten Veranstalter zwar etwas mehr an Werbegeldern akquirieren, das ist aber nicht marktentscheidend, nicht entscheidend für das Überleben eines solchen Senders. Man könnte das medienpolitisch zwar zugestehen – an der grundlegenden Marktsituation ändert das nichts.

Wenn man also ökonomische und politische Faktoren in die Marktanalyse einbezieht – was bleiben den privaten Veranstaltern auf dem Rest-Markt denn noch für Möglichkeiten?

Die Entscheidung, ob ich privates Fernsehen machen will oder nicht, muss eine ganze Reihe von Kriterien in Betracht ziehen: Die medienpolitische Grundlage – die sind in der Schweiz so geschaffen, dass Privatfernsehen ermöglicht wird. Dann: Wie sieht die Konkurrenzsituation aus und wie kann ich mich mit meinem Programm hinreichend differenzieren, um eine erforderliche Zahl von ZuschauerInnen zu erreichen. Und dort ist wohl das Hauptproblem auszumachen. Denn die Möglichkeit der Differenzierung mit schweizerischen Programmen gegenüber bestehenden Programmen – in über 80% der Haushalte der Schweiz kann ich 30 deutschsprachige Sender empfangen, – diese Möglichkeit also ist so gering, dass kaum Spielraum bleibt, um ein genuin eigenes Programm erstellen zu können. Das kann man bei TV3 und zum Teil auch bei Tele24 im Programm sehen: das sind oft Programmformate, Filme, Serien, die in anderen Programmen so oder ähnlich schon gelaufen sind. Und es gibt keinen vernünftigen Grund, warum Haushalte eine solche Serie ausgerechnet bei TV3 oder einem anderen Schweizer Anbieter konsumieren sollen. Vor diesem Hintergrund ist die Marktpositionierung vor allem eine Frage der Programmpolitik. Und hier liegt eines der grossen Probleme.

Und die dritte Frage, die ich bei der Veranstaltung von Privatprogrammen beantworten muss: Gelingt es mir, die Zuschauerminuten, die ich für die Vermarktung bei der Werbewirtschaft brauche, auf mein Programm zu lenken – und gelingt es mir, diese Menge zu steigern. Es gibt einen kleinen Effekt der Neuheit: Die SchweizerInnen schauen ein bischen länger fern seit der Einführung des Privat-Fernsehens, aber nicht ausreichend mehr, um das auch zu Þnanzieren. Diese Reihe von Restriktionen haben Privatveranstalter bei der Planung zu beachten. Und bisher ist kein Rezept gefunden worden, kostendeckend zu wirtschaften.

Wenn die Privaten die Publikumsminuten steigern könnten, würde die Werbung dann von der SRG abgezogen. Oder wäre ein zusätzliches Werbevolumen zu gewinnen?

Der Schweizer Werbemarkt ist im Vergleich zu andern deutschsprachigen Werbemärkten relativ gut entwickelt: Das pro Kopf Werbeaufkommen ist höher als in Deutschland und Österreich. Die Frage ist also, wie wird dieses Werbevolumen auf die einzelnen Medien verteilt. Die Werbewirtschaft hat klare Kriterien, und daran misst sich dann der Erfolg von Privatfernsehen. Diese Kriterien sind: Was ist die Reichweite, die ich mit einer Schaltung zu bestimmten Kosten erreichen kann. Und diese Reichweite gewährleistet im Moment die SRG mit ihren Programmen am besten – und am zweitbesten die ausländischen deutschsprachigen Programme. Eine Reichweite von 3 bis 5% ist nicht attraktiv, wenn ich auf anderen Sendern deutlich höhere Reichweiten erzielen kann. Vor diesem Hintergrund stehen neue private Anbieter hinten in der Reihe. Ob es ihnen dann gelingt, hinreichende Reichweiten zu erzielen, ist eine Programmfrage.

Der Geschäftsleiter der Mediahaus.Seefeld AG sagte kürzlich im Tages-Anzeiger, von der Mediaplanung, der Werbewirtschaft her brauche es Tele24 eigentlich nicht.

Dem würde ich zustimmen – es ist aus Sicht der werbetreibenden Wirtschaft nicht notwendig, dass in der Schweiz Privatfernsehen besteht. Es gibt genügend Möglichkeit, Werbeplätze zu buchen. Es wird aber in dem Moment interessant, wo es einem Schweizer Privatanbieter gelingt, eine grössere Reichweite zu erzielen als zum Beispiel die deutschen Privaten.

So, wie Sie argumentieren, darf ein Unternehmen seine Marktanalyse nicht unabhängig von einer gesellschaftspolitischen Analyse machen. Sind die Medien als Teil des Marktsystems immer auch Teil eines Politik-Systems?

Absolut. Medien spielen in einer demokratisch verfassten Gesellschaft eine zentrale Rolle. Die Medienleistung ist deshalb für das Funktionieren der Demokratie von besonderer Bedeutung. Wenn ich die Bedeutung von Fernsehen für die gesamte Gesellschaft analysiere, muss ich die Perspektive aus der Ökonomie hinaufheben auf die Medienpolitik und die Gesellschaftspolitik. Diese Aspekte ziehen wir bei unseren Analysen immer mit ein – auch die für das Mediensystem gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen.

Im Extremfall bleibt neben dem gesetzlich regulierten Bereich dann aber gar kein Markt mehr übrig?

Der Markt existiert ja unabhängig von der Regulierung, denn es gibt den Wettbewerb zwischen den Mediengattungen – Zeitungen, Radio, TV – und jenen zwischen den Fernsehanbietern in der Schweiz und im Ausland. Der Grundgedanke der politischen Vorgabe bezieht sich auf Vielfalt, auf Pluralismus und auf Qualität. Diese drei Bereiche sind dem Gesetzgeber besonders wichtig. Und von einer gesellschaftspolitischen Sicht her sollte man an diesen drei Kriterien den Erfolg eines bestimmten Mediensystems messen. Wie kann es medienpolitisch gelingen, diese gesellschaftlichen Leistungen möglichst optimal zu erfüllen? Gelingt das besser durch ein rein öffentliches System, durch ein rein privatwirtschaftliches System oder durch ein Mischsystem?

Wie in den meisten anderen europäischen Ländern hat man sich in der Schweiz für ein Mischsystem entschieden und steht jetzt vor dem Problem, dass sich der private Sektor nicht so entwickelt, wie sich das dessen Protagonisten gewünscht haben. Es ist eine Frage der Zeit, um Lösungen für die Etablierung dieses dualen Systems zu Þnden. Die Schweiz hat neben den privaten Vollprogrammen eine für die europäische Fernsehlandschaft ungewöhnliche, spannende Schiene geöffnet: Das Einmieten von privaten Programmen auf einem öffentlichen Sender, – das Presse-TV bei SF DRS. Die Veranstalter können sich damit die Grundkosten für ein Vollprogramm mit der SRG teilen, und mit diesen zusätzlichen Stimmen wird die Vielfalt der Angebote und der politische Pluralismus breiter.

Die Privaten müssen ihre Nische neben der SRG binden. Gibt es diese überhaupt?

Umgekehrt gesagt: Es gibt Felder, in welchen die Erfolgschancen für die Privaten sehr klein sind, zum Beispiel die Information, weil die SRG hier sehr stark ist. Aber es gibt Nischen, welche die SRG nicht abdeckt – zum Beispiel lokale oder regionale Zusatzprogramme, auch im Hinblick auf die Herausbildung von neuen Kommunikationsräumen wie dem Mittelland. Auf sprachregionaler Ebene ist das eher schwierig – das deckt sich auch mit dem Prognos-Gutachten von 1998.

Wenn die SRG geschickt ist, kann sie durch ihre Stärke neue Marktnischen jeweils vor den Privaten besetzen. Deshalb sprechen die Privaten von Marktverzerrung.

Den privaten Veranstaltern bleibt es unbenommen, solche Marktnischen zu identiÞzieren und sie dann auch zu besetzen. Es liegt allerdings im Wesen des Wettbewerbs, dass auch Imitationen von Programmen erfolgreich sein können, wenn diese das Publikumsinteresse stärker auf sich ziehen als das Original. In dieser Hinsicht kann ich keine Marktverzerrung, sondern eher einen anregenden Qualitätswettbewerb erkennen.

Wohin werden denn jetzt die 20 Mio. Werbegelder von Tele24 gehen – bieten sich da anderen Privaten neue Chancen?

Der Marktmechanismus ist klar: Die Gelder gehen dorthin, wo die Reichweiten angeboten werden, die bisher Tele24 angeboten hat. Und das sind weder zwingend TV3 noch zwingend die SRG, das können auch deutsche Sender sein.

Sie argumentieren mit einer "gesellschaftlich notwendigen Leistung". Kann ein Teil dieser Leistung im dualen System nicht auch durch den Markt erbracht werden? Und sollte dann zur Aufrechterhaltung des dualen Systems nicht auch der Markt gestützt werden, zum Beispiel durch Gebührengelder?

Ich halte von der Aufteilung des Leistungsauftrages und auch von einem weitergehenden Splitting der Gebührengelder nichts. Es ist für einen kleinen Fernsehmarkt wie den der Schweiz erforderlich, einen starken Anbieter zu haben, der in der Lage ist, ein umfassendes Vollprogramm für die ganze Bevölkerung zu bieten. Erforderlich, um die gesellschaftlich nachgefragten Leistungen erfüllen zu können, um das Publikum an inländische Veranstalter zu binden, und auch um die Nachfrage nach Werbeplätzen mit grosser Reichweite im Inland zu befriedigen. Diese oekonomische Funktion, Werbeleistung, soll mit einem starken nationalen Anbieter gesichert werden. Der private Sektor soll sich in den erwähnten Nischen etablieren.

Für die politische Zielvorgabe des Pluralismus könnte doch eine zweite oder dritte private Fernseh-Stimme durch Stützung der Privaten gesichert werden?

Längerfristig würden dadurch zu grosse Widersprüche entstehen. Privates Fernsehen soll sich nach den Konzepten der Veranstalter und im Spannungsfeld von Angebot und Nachfrage entwickeln. So ist privates Fernsehen auch in der Lage, diejenigen Programmbereiche abzudecken, die vom öffentlichen Fernsehen willentlich oder auch unabsichtlich vernachlässigt werden. Diese Tätigkeit soll durch private Gelder, also durch Werbeeinnahmen Þnanziert werden. Der Zuþuss von öffentlichen Mitteln würde den erwünschten Effekt wieder neutralisieren. Im Grunde wäre eine solche öffentliche Subvention auch nicht im Sinne der privaten Veranstalter, weil diese dann eine Gegenleistung zu erbringen hätten, die in aller Regel nicht aus Programmen bestehen würde, die sich gut an die werbungtreibende Wirtschaft verkaufen lassen. Daher würde eine Subventionierung des privaten Fernsehens dem Grundkonzept eines dualen Systems zuwiderlaufen.

* Die Prognos AG hat verschiedentlich Marktstudien zum privaten Fernsehen gemacht, unter anderem: 1998 "Werbemarkt Schweiz, Abschätzung der wirtschaftlichen Tragfähigkeit für das Fernsehen", 2001 "Fernsehmarkt Österreich, Prognos untersucht wirtschaftliche Folgen von ordnungspolitischen Optionen." Dr. Josef Trappel arbeitet als Marktfeldleiter bei der Prognos AG Basel im Bereich Medien und Kommunikation.



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