Von Michèle Widmer und Edith Hollenstein
Anfang Januar hat die Schweizerische Depeschenagentur (SDA) angekündigt, innert zwei Jahren 40 von 150 Vollzeitstellen abzubauen (persoenlich.com berichtete). Nun geht offenbar alles schneller als angekündigt. Wie der «Tages-Anzeiger» schreibt, werden 90 Prozent der Kündigungen noch in diesem Monat ausgesprochen. Laut mehreren Quellen soll SDA-CEO Markus Schwab dies an einer internen Informationsveranstaltung am Montag gesagt haben. Welche Mitarbeiter betroffen sind, ist allerdings noch nicht klar.
Nun organisiert die Redaktion einen Widerstand. Laut Tagi haben am Dienstagabend 135 Redaktionsmitglieder der Redaktionskommission den Auftrag erteilt, Kampfmassnahmen wie Streiks auszurufen, sollte die SDA-Direktion ihre Forderungen nicht erfüllen. Das Mandat sei mit «überwältigender Mehrheit» beschlossen worden, schreibt die Zeitung. Diese Informationen bestätigt Sebastian Gänger. Er ist eines von zehn Mitgliedern der SDA-Redaktionskommission. Auf Anfrage von persoenlich.com sagt er am Mittwoch: «Dass die Kündigungen so rasch erfolgen sollen, schockiert uns. Das ist zu wenig durchdacht, eine Hauruck-Übung». Bevor das Unternehmen Kündigungen ausspreche, sollte es eine Strategie über die künftigen Produkte festlegen – nicht umgekehrt. Gänger weiter: «Wir fordern ein Konzept statt einen Kahlschlag!»
«Zitrone ist ausgepresst»
Um politischen Druck auszuüben hat die Redaktion einen offenen Brief an den Bundesrat, die Präsidenten von Stände- sowie Nationalrat, den Bundeskanzler sowie Vertreter der Kantonsregierungen geschickt. «Ein wichtiger Pfeiler der Schweizer Medienlandschaft ist in Gefahr. Die Zitrone ist ausgepresst», heisst es darin. Die SDA verbreite nicht einfach Vorhandenes. Sie beschaffe Information und ordne diese ein. In den Parlamenten verfolge sie auch Debatten, die nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stünden – zuweilen als einzige. Andere Journalistinnen und Journalisten könnten auf ihre Arbeit aufbauen. Die Dienste in den Sprachen Deutsch, Französisch und Italienisch würden gleichwertig angeboten, obwohl einzig der deutschsprachige Dienst profitabel sei. Damit leiste die SDA einen wichtigen Beitrag zum Austausch zwischen den Sprachregionen.
Die Redaktion informiert die Empfänger darüber, dass diese Restrukturierung nicht einfach hinzunehmen sei. «Die Einnahmeausfälle sind hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass den Kunden ein genereller Rabatt von 10 Prozent gewährt und ein kostenloser Videodienst geliefert wurde», schreibt die Redaktion in dem offenen Brief. Für sie ist klar, dass die Restrukturierung auch im Zusammenhang mit der Fusion von SDA und Keystone steht, welche derzeit von der Wettbewerbskommission (Weko) geprüft wird (persoenlich.com berichtete).
Darüber hinaus zählt die SDA-Redaktion die Forderungen auf, mit welchen sie an die Geschäftsleitung und den Verwaltungsrat gelangt sind.
- auf einen Stellenabbau im angekündigten Ausmass zu verzichten
- der Redaktionskommission mehr Zeit zu gewähren, um Vorschläge zu unterbreiten
- der Redaktionskommission die dafür nötigen Unterlagen auszuhändigen
- das künftige Angebot zu definieren und den Eigentümern und Kunden
- mitzuteilen, was die SDA mit weniger Ressourcen noch leisten kann
- keine vorgezogenen Massnahmen mit Blick auf die Fusion zu beschliessen bevor diese genehmigt ist
- auf Rabatte an die Kunden und Gratisangebote wie den Videodienst zu verzichten
- eventuelle Frühpensionierungen und Entlassungen mit einem Sozialplan abzufedern, der diesen Namen verdient.
Chef-Löhne seien zu hoch
Unter den SDA-Redaktoren ist die Unzufriedenheit gross. «Wir fordern, dass solidarisch gespart wird. Es sollen nicht nur die Redaktoren betroffen sein, sondern auch die Mitglieder der Geschäftsleitung. Wir sind der Meinung, dass ihre Löhne nicht einfach nur marktgerecht sind, sondern höher liegen und sie sich weitere nicht dringend nötige Privilegien gönnen», sagt Gänger von der Redaktionskommission gegenüber persoenlich.com.
Zudem kritisiert er die Vorgehensweise. «Damit wir ernsthafte Vorschläge machen können, benötigen wir Einblick in die konkreten, bereits ausgearbeiteten Pläne. Diese liegen vor, uns werden sie jedoch vorenthalten».
Führung ist anderer Meinung
Die SDA-Führung sieht das anders. «Einzelne Mitglieder der Geschäftsleitung haben letztes Jahr Kürzungen bei ihrem eigenen Lohn vorgenommen», erklärt Christian Winiker, von der SDA beauftragte Kommunikationsexperte auf Anfrage von persoenlich.com. Die SDA-Geschäftsleitung leiste sich keinen Luxus; im Gegenteil: «Sie hat einfache Büros und reist kostenbewusst.»
Auch in Sachen Mitsprache sei das falsch: «Die SDA gibt im Vergleich zu anderen Unternehmen sehr offen Einblick in ihre Zahlen, aber auch das hat seine Grenzen. Detaillierte Informationen zum Geschäftsjahr 2017, wie sie die Redaktionskommission haben möchte, haben wir selbst dem Verwaltungsrat noch nicht vorgelegen können», sagt Winiker. Abgesehen davon sei die Abgabe solcher Informationen schon rein rechtlich nicht erlaubt.
Und bei den Kündigungen bereits bis Ende Monat handle es sich nicht um eine überstürzte Handlung. Die SDA habe während vielen Jahren dank verschiedener Sparmassnahmen Kündigungen verhindern können. «Diese Zitrone ist jetzt aber ausgepresst», sagt Winiker und benutzt dabei exakt dieselbe Formulierung wie die Belegschaft in ihrem Brief an den Bundesrat. Und Winiker weiter: «Jetzt müssen leider auch wir Stellen abbauen». Die SDA wolle rasch bekannt geben wen es betrifft, damit diese Mitarbeitenden nicht lange im Ungewissen blieben. Bis alle diese Massnahmen umgesetzt sind und die Einsparungen im ganzen Umfang wirksam würden, werde es jedoch bis zu zwei Jahre dauern – etwa bei Frühpensionierungen.
Syndicom spricht von «Alibiübung»
Unterstützung erhält die SDA-Redaktion von der Mediengewerkschaft Syndicom und dem Berufsverband Impressum. In einer Mitteilung bezeichnen sie das Konsultationsverfahren, in dem die Arbeitnehmenden das Recht haben, Vorschläge zu machen, wie Kündigungen vermieden, deren Zahl beschränkt und wie die Folgen aufgefangen werden sollen, ist bis anhin eine «Alibiübung».
Sollte die Direktion die Forderungen weiterhin ignorieren will die Redaktion «Kampfmassnahmen» ergreifen. Weitere Informationen dazu gibt sie nicht preis, damit sich die Direktion nicht darauf vorbereiten kann. SDA-CEO Markus Schwab zeigt sich in der SRF-Radiosendung «Rendez-vous» wenig beeindruckt von den Drohungen. «Eine Ansage eines Streiks heisst noch nicht, dass er gemacht wird», sagt er. Das gehöre vielleicht jetzt zur Begleitmusik dieses Prozesses.
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19.01.2018 11:48 Uhr
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