18.12.2003

"René Lüchinger, warum sollte es die Bilanz noch brauchen?"

René Lüchinger (Bild) wurde per Anfang Dezember Chefredaktor der Bilanz. Im Gespräch mit "persoenlich.com" erzählt er, wie er das Wirtschaftsmagazin unentbehrlich machen will, warum bereits wieder ein Redesign nötig war und was es mit den Gerüchten im Zusammenhang mit den jüngsten Abgängen auf sich hat. Das Interview:
"René Lüchinger, warum sollte es die Bilanz noch brauchen?"

Sie sind seit zwei Wochen Chefredaktor der Bilanz. Wie haben Sie den Start erlebt?

Gut. Wir haben das Heft pünktlich herausgebracht, obwohl zwei Drittel davon in nur zwei Wochen komplett umgestellt wurden -- das ist eine reife Leistung! So haben wir nicht nur das Titelblatt neu gestaltet, sondern auch Struktur und Leserführung auf den ersten achtzig Seiten verbessert. Zudem wurden neue Rubriken wie etwa "Hier schreibt der Chef" eingeführt. Jetzt steht eine Überarbeitung des letzten Heftteils an. Überdies kann natürlich jedes Produkt inhaltlich verbessert werden.

Die optische Überarbeitung geschieht nur wenige Monate nach dem Relaunch. Wollten Sie den Führungswechsel unterstreichen?

Das war nicht das wesentliche Kriterium. Wichtiger war mein Eindruck, es fehle der Bilanz der optische und dramaturgische Rhythmus. Endziel ist, in der Februar-Ausgabe das gesamte Heft durchkomponiert zu haben.

Das letzt Redesign empfinden Sie demnach als Fehlschlag?

Zu der Vergangenheit will ich mich nicht äussern.. Ich will das Magazin, wie gesagt, rhythmisieren, zum Beispiel mit unterschiedlichen Textlängen oder indem mit der Optik gespielt wird. Das heisst beispielsweise weniger, dafür aber aussagekräftige Bilder, aber auch Texte, die nur über zwei bis drei Seiten gehen.

Wie wollen Sie das Heft inhaltlich verbessern?

Die Kernfrage lautet, wo ein Wirtschaftsmagazin mit monatlichem Publikationsrhythmus positioniert sein soll. Bei zwölf Auftritten im Jahr muss die Recherche viel dichter sein als in der Tages- und Wochenpresse. Dass allenthalben Geschwindigkeit und Sparen angesagt ist, wird für uns zum Vorteil, denn wir können unsere Journalisten zwei oder drei Wochen lang an einer Geschichte recherchieren lassen. Als zweiter wichtiger Punkt müssen genau diejenigen Themen getroffen werden, welche unsere Leserschaft, nämlich die bestehenden und potentiellen Entscheidungsträger, interessiert. Drittens kostet das Produkt im Einzelverkauf zwölf Franken. Dem muss in der Anmutung Rechnung getragen werden. Das klassische gehaltene Titelblatt der aktuellen Ausgabe ist da ein Schritt in die richtige Richtung: entrümpeln und gleichzeitig die Werthaltigkeit betonen.

Die Latte wurde mit Ihrer ersten Ausgabe hoch gelegt: Josef Ackermann, Bill Gates, eine Markenstudie. Wie wollen Sie dieses Niveau halten?

Indem wir genau auf dieser Strasse weiter fahren. Es ist richtig, dass die Latte hoch liegt, aber wir haben den Vorteil selber bestimmen zu können, welche Themen wir machen wollen. Pflichtstoff gibt es für uns nicht, wir picken die relevanten und interessanten Themen heraus. Wenn wir mit Restaurants vergleichen, so sind die anderen wie McDonald's, wo das Essen standardisiert und nicht grundsätzlich schlecht ist. Die Bilanz aber soll der Gourmet-Tempel sein.

Die Aktualität ist der natürliche Feind eines Monatsmagazins. Wie wollen Sie ihn bändigen?

Es gibt einen einfachen Weg, dem zu entgehen: Prospektive Geschichten, wie wir sie in der vorliegenden Ausgabe beispielsweise mit Joe Ackermann oder Klaus Schwab realisiert haben. Mit diesen Themen werden die Zeitungen im Januar voll sein. Anders, aber auch typisch ist der Fall Erb: Die Bilanz hat in der November-Ausgabe dank einer guten Recherche als erste über die Schwierigkeiten der Gruppe geschrieben. Bei einer längeren Geschichte über Erb zum jetzigen Zeitpunkt hingegen hätten wir uns sehr genau überlegen müssen, was wir zur laufenden Diskussion noch Neues beitragen könnten. Grundsätzlich müssen wir die tieferliegenden Zusammenhänge aufdecken, wie wir es vor Wochen mit Rainer Gut gemacht haben. -- Wichtig ist im übrigen, wie man „Aktualität“ definiert. Wenn man sie in grösser angelegte Geschichten übersetzt, kann man immer Zusatznutzen bringen. Und dabei hilft, wie gesagt, unser Erscheinungsrhythmus. Die Bilanz funktioniert im vorderen Heftteil als Wochenzeitung, wo sich auch in der neu erschienen Ausgabe einige Geschichten mit Neuigkeitswert finden.

Reicht dieses Konzept, um den wirtschaftlichen Turnaround zu schaffen?

Turnaround? Die Bilanz schreibt schwarz! Was wir tun müssen, ist die Profitabilität erhöhen, wobei wir uns da in guter Gesellschaft befinden. Für uns bedeutet das, dass der Inhalt unverzichtbar, dass das Heft in der anvisierten Lesergruppe zur Pflichtlektüre werden muss. Unsere drei Leserkreise sind Top-Entscheider in Wirtschaft und Politik; Leute, die in diese Positionen hineinwachsen wollen; und die Frauen, die im Blatt bisher zu wenig vorkommen. Wenn wir unsere Themen besser steuern, werden wir die Leserschaft auch ausweiten können.

Dennoch: Gemeinsam mit dem Rest der Wirtschaftspresse leidet auch die Bilanz. Warum sollte es den Titel überhaupt noch brauchen?

Wenn man es richtig macht, ist die Bilanz eine Publikation, die irgendwo zwischen wöchentlichenmMagazin und Buch angesiedelt ist -- und ein gutes Buch lesen Sie immer, vorausgesetzt es ist spannend wie ein Krimi. Wenn uns das gelingt und wir den richtigen Themen-Mix treffen, wird man das Blatt am Sonntagnachmittag wie ein Buch lesen. Damit hat die Bilanz für die kommenden 150 Jahre eine hervorragende Existenzberechtigung. Denn die Leute lesen ja nicht weniger, sondern selektiver.

Bezüglich der Stabsübergabe fragt man sich, warum die Verabschiedung Ihres Vorgängers Medard Meier durch den Verlag erst in der aktuellen Nummer stattfindet.

Das hat einen einfachen Grund: Ich selber war zu jenem Zeitpunkt noch nicht im Haus, verantwortlich für die "300 Reichsten"-Nummer war daher Medard. Er wollte sich auch persönlich von der Leserschaft verabschieden, die er 13 Jahre lang begleitet hat.. Das ist absolut verständlich. Daneben eine Verabschiedung zu plazieren des CEO der Jean Frey AG wäre stillos gewesen. Darum haben wir Letzteres in der Januar-Ausgabe getan.

Im Zusammenhang mit Ihrer Entlassung von Gerd Löhrer wurde spekuliert, es habe sich um einen Racheakt für früheren Loyalitätsmangel gehandelt. Ist dem so?

Glauben sie im Ernst, man trennt sich von einem Mitarbeiter wegen einer zehn oder fünfzehn Jahre alten Geschichte -- die nicht einmal stimmt? Die Trennung von Gerd Löhrer hat mit dem Hier und Heute zu tun. Die konkreten Gründe kommentiere ich jedoch nicht in der Öffentlichkeit.


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