30.05.2023

Viertagewoche

So versuchen Medien als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben

Somedia bietet den Angestellten neu eine Viertagewoche an. Das Medienhaus in Chur liegt damit im Trend: Viele Verlage haben in den letzten Jahren flexiblere Arbeitsmodelle eingeführt. Das gehe in die richtige Richtung, reiche aber nicht, mahnen Personalorganisationen.
Viertagewoche: So versuchen Medien als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben
Der Südostschweiz-Newsroom in Chur (v. l.): Somedia-CEO Thomas Kundert, Syndicom-Vizepräsidentin Stephanie Vonarburg und Impressum-Geschäftsführer Urs Thalmann. (Bild: Südostschweiz/Olivia Aebli-Item)

Im vergangenen Jahr haben so viele Journalistinnen und Journalisten den Beruf verlassen wie noch nie in den letzten sieben Jahren; um die hundert waren es nach Zählung der Republik. Und in diesem Jahr haben auch schon mehr als 30 den Dienst quittiert.

Als Grund für ihren Entscheid nennen die ehemaligen Medienleute immer wieder die Arbeitsbedingungen und insbesondere die schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.

Dass sich daran etwas ändern muss, wissen inzwischen auch die Arbeitgeber der Medienbranche. «Der Wunsch nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf, Freizeit und Familie ist grösser geworden», liess sich kürzlich Thomas Kundert, CEO von Somedia, in einem Interview mit der Südostschweiz zitieren. Die Zeitung führte das Gespräch mit ihrem Geschäftsführer, weil er für das Medienhaus in Chur eine konkrete Massnahme verkünden konnte.

Weniger Tage, aber längere Arbeitstage

Seit Anfang Mai bietet das Bündner Medienunternehmen Somedia seinen Angestellten die Option einer Viertagewoche an. Wer bisher in einem Vollzeitpensum an fünf Tagen gearbeitet hat, kann die geforderten Arbeitsstunden neu auf vier Tage verteilen. Was aber auch heisst: Der einzelne Arbeitstag wird länger, durchschnittlich elf Stunden. «Das muss sich jede Person bewusst sein, die sich für dieses Modell entscheidet», so Somedia-CEO Kundert.

Insofern handelt es sich nicht um eine «echte» Viertagewoche, bei der auch die Arbeitszeit reduziert würde bei gleichbleibendem Lohn, sondern einfach um eine Flexibilisierung des bestehenden Pensums.

Auf Anfrage von persoenlich.com erklärt Thomas Kundert, dass es sich bei der Viertagewoche nur um «eine von mehreren Anpassungen unserer Arbeitsbedingungen» handle. So habe Somedia per Anfang Jahr die Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden reduziert, biete neu ein Jahresarbeitszeitmodell und stelle ein zeitgemässes Instrument für die Arbeitszeiterfassung bereit.

Ein paar Wochen, nachdem sie eingeführt wurde, nutzten erst wenige Angestellte die Möglichkeit der Viertagewoche, sagte Somedia-Chef Kundert seiner Zeitung. Das mag auch daran liegen, dass noch gar nicht alle Angestellten davon erfahren haben, wie Erkundigungen von persoenlich.com gezeigt haben.

«Das ist grundsätzlich schon mal positiv»

Bei der Mediengewerkschaft Syndicom kommen die Neuerungen von Somedia gut an. «Die Arbeitgeber in der Medienbranche merken, dass sie bei den Arbeitsbedingungen etwas machen müssen, um attraktiv zu bleiben», sagt Syndicom-Vizepräsidentin Stephanie Vonarburg auf Anfrage. «Das ist grundsätzlich schon mal positiv.»

Die Gewerkschafterin sieht aber auch heikle Punkte, etwa beim Gesundheitsschutz. «Bei einer Verdichtung der Arbeitszeiten rückt der Gesundheitsaspekt in den Vordergrund», gibt Stephanie Vonarburg zu bedenken. «Wer über neun Stunden am Tag arbeitet, muss diese gemäss Gesetz mit einer Pause von mindestens einer Stunde unterbrechen.» Umso wichtiger sei es deshalb, dass das Ganze freiwillig bleibe und die Angestellten ihre Arbeitszeit genau erfassen können, damit der Umgang mit Überstunden sauber geregelt sei.

Auch der Berufsverband Impressum sieht das so. Urs Thalmann, Geschäftsführer des Verbands, erinnert deshalb daran, dass ein fortschrittliches Arbeitszeitmodell, wie jenes von Somedia, nur dann funktioniere, wenn der Arbeitgeber eine Arbeitszeiterfassung anbiete, welche die Journalistinnen und Journalisten dazu motiviere, die reale Arbeitszeit einzugeben.

Anzeigen wegen ungenügender Arbeitszeiterfassung

Das sahen die Gewerkschaft Syndicom und der Journalistenverband Impressum in der Vergangenheit nicht erfüllt. Sie zeigten deshalb 2014 die grossen Verlage bei den Arbeitsinspektoraten an wegen ungenügender Arbeitszeiterfassung. Den Anzeigen gingen teils Proteste des Personals voraus. In einzelnen Fällen dauern die rechtlichen Auseinandersetzungen bis heute an. Doch das Gros der Verlage hat in der Zwischenzeit moderne und leicht zu bedienende Instrumente zur Arbeitszeiterfassung eingeführt, so auch Somedia in Chur. Auf der Redaktion der Südostschweiz zeigt man sich zufrieden damit. Das System sei einfach zu handhaben, hört man.

Nun ist die Erfassung der Arbeitszeit kein Selbstzweck, sondern schafft zuerst einmal Transparenz über geleistete – und insbesondere zu viel geleistete – Arbeitszeit. Aus Sicht des Personals interessiert dann vor allem der Umgang des Arbeitgebers mit Überstunden und Überzeit; in der Medienbranche ein strukturelles Problem, weiss Urs Thalmann von Impressum. «Journalismus birgt die Tendenz zur Selbstausbeutung, weil man sich mit seinem Namen in der Öffentlichkeit exponiert und darum möglichst gute Qualität abliefern will. Darum ist man eher bereit, Überzeit und spontane Einsätze zu leisten.»

Bei Somedia habe man das Problem erkannt, versichert CEO Thomas Kundert und erklärt: «Der Umgang mit Überzeit ist Teil unserer neuen Führungsausbildung.» Ein Ampelsystem solle frühzeitig zu erkennen helfen, wenn Mitarbeitende zu viele Stunden arbeiten. Trifft das ein, dann thematisierten das die Vorgesetzten mit den Angestellten und treffen entsprechende Massnahmen. «Insofern glaube ich, dass wir das Thema sehr aktiv angehen und uns den Herausforderungen bewusst sind und diesen auch mit konkreten Lösungen entgegenwirken wollen», so Kundert gegenüber persoenlich.com.

Was die Verlage schon alles unternehmen

Wie Somedia haben auch die grossen Schweizer Medienunternehmen in den letzten Jahren ihre Arbeits(zeit)modelle flexibler ausgestaltet, um im «Wettbewerb um Talente» attraktiv zu bleiben. CH Media bietet ihren Mitarbeitenden «grosse Flexibilität bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeit und ein individuelles Zeitmanagement». Eine Viertagewoche bei 100 Prozent Arbeitszeit sei hingegen nicht geplant, heisst es auf Anfrage. Bei Tamedia können in Absprache mit dem Vorgesetzten flexible Arbeitszeitmodelle vereinbart werden, bei Ringier gilt nur noch für 40 Prozent der Arbeitszeit Anwesenheitspflicht im Büro und die NZZ hat ein neues Arbeitszeitreglement, das besser den Bedürfnissen der Mitarbeitenden entspricht.

Ob das reicht? Gewerkschafterin Stephanie Vonarburg hegt bei aller Anerkennung der getroffenen Massnahmen grosse Zweifel. «Gerade mit Blick auf die Arbeitsbedingungen in der Telekom-Branche stehen die Medien vergleichsweise schlecht da.» Der Vergleich kommt nicht von ungefähr. Immer mehr Tätigkeitsfelder überlappen sich, sodass die beiden Branchen zunehmend um das gleiche Personal buhlen.

Wohl auch nach 20 Jahren kein neuer Medien-GAV

Erst kürzlich hat Swisscom mit seinen Sozialpartnern, unter anderem mit der Gewerkschaft Syndicom, einen neuen Gesamtarbeitsvertrag GAV abgeschlossen. Damit wurden unter anderem flexible Arbeitsmodelle und Teilzeitarbeit weiter ausgebaut, der Mutter- und Vaterschaftsurlaub auf 20, respektive vier Wochen erhöht oder der Mindestlohn angehoben.

Davon befinden sich Angestellte der Medienbranche weit entfernt – sowohl was die Bedingungen an sich angeht als auch vom Abschluss eines Gesamtarbeitsvertrags. Zwar verhandeln Syndicom und Impressum seit 2017 mit dem Verlegerverband Schweizer Medien über branchenweit verbindliche Standards. Wie es aktuell aussieht, werden sich die Sozialpartner aber nicht auf einen neuen Medien-GAV für die Deutschschweiz einigen können. Der letzte Vertrag ist vor genau 20 Jahren ausgelaufen und wurde seither nicht erneuert. In so zentralen Punkten wie der Frage eines Mindestlohns, der Dauer des Vaterschaftsurlaubs oder der Entschädigung von Nacht- und Sonntagsarbeit sind sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht einig.

Auch wenn die Verlagsbranche gerade vor etlichen anderen grossen Herausforderungen steht, sollte es in ihrem ureigenen Interesse liegen, die Arbeitsbedingungen so anzupassen, dass sie bei der Suche nach passendem Personal konkurrenzfähig bleibt. Erste Schritte haben die Unternehmen unternommen. Doch die werden kaum reichen.


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