03.09.2001

"Wir brauchen neue Leser und neue Ideen"

Seit April leitet Gérard Geiger (Bild) Ringier Romandie. Der 41-jährige Walliser will in den kommenden Monaten die bestehenden Titel konsolidieren und optimieren - als gesunde Basis für künftiges Wachstum in der Westschweiz. Ein Thema ist dabei auch der Ausbau der redaktionsübergreifenden Zusammenarbeit mit SonntagsBlick oder neu auch TELE. Das Interview:
"Wir brauchen neue Leser und neue Ideen"

Gérard Geiger - welche Bilanz ziehen Sie nach etwas über hundert Tagen?

Ringier Romandie hat in den letzten Jahren viel Neues lanciert - u.a. die Frauenzeitschrift edelweiss und die Sonntagszeitung dimanche.ch sowie im Internetbereich Webdo aufgebaut und Fastnet gekauft. Jetzt gilt es als Erstes, alle diese Aktivitäten zu konsolidieren. Wir brauchen neue Leser, neue Ideen und neue Vertriebskanäle.

Sie haben während vielen Jahren für Edipresse SA - dem direkten Konkurrenten von Ringier in der Romandie - gearbeitet, zuletzt als Direktor des Bereichs Zeitschriften. Wie unterscheidet sich die Kultur der beiden Verlage?

Beide haben etwas gemeinsam: Sie investieren viel in die journalistische Qualität und sind stark erfolgsorientiert. Aber Edipresse ist in der Romandie viel grösser als Ringier und im Gegensatz zu uns im Tageszeitungsgeschäft tätig. Das bedeutet einen anderen Rhythmus, gleichzeitig aber auch grössere Redaktionsteams und langsamere Produktionsstrukturen. Im Zeitschriftenbusiness, in dem wir als Leader in der Westschweiz mit 50 Prozent Marktanteil tätig sind, arbeiten wir mit kleineren Teams. Dies ist ein Plus: kleine Teams sind kreativer, spontaner und können schneller reagieren... Besonders beeindruckt hat mich, wie jung die Leute bei Ringier Romandie sind: Das Durchschnittsalter der 333 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liegt bei 36 Jahren. Und sie sprudeln förmlich über mit Ideen - da ist ein unwahrscheinliches Potenzial vorhanden, das wir nutzen wollen. Überrascht war ich auch über den hohen Stellenwert des Marketings bei Ringier Romandie: Wir sind damit näher am Leser- und Anzeigenmarkt als die Konkurrenz.

Ihr Vorgänger, Gilles Marchand, sagte vor etwas über einem Jahr an dieser Stelle, dass eine selbständige Ringier Romandie noch besser im Westschweizer Markt auftreten könnte: Der Plan ist inzwischen auf Eis gelegt worden. Wie wird es weitergehen?

Die Idee ist nicht begraben. Eine selbständige Firma, eine Aktiengesellschaft, macht sicher Sinn, wenn es darum geht, Partnerschaft mit anderen Verlagen einzugehen. Dies kann aber warten. Unsere Prioritäten sind kurzfristig anders definiert: Zuerst wollen wir unsere bestehenden Objekte noch besser positionieren. Nachdem die "nouvelle formule" von L'illustré bereits erfolgreich gestartet ist, sind für den Herbst weitere grosse Events geplant: 80 Jahre l'illustré, 20 Jahre l'Hebdo, ein Relaunch von TV8 und ein neues grafisches Konzept für dimanche.ch.

Wo sehen Sie Verbesserungsmöglichkeiten für die Zusammenarbeit mit Zürich?

Der persönliche Kontakt mit den Leuten ist da für mich das A und O. Deshalb bin ich praktisch jede Woche mindestens einmal in der deutschen Schweiz, spreche mit den Kollegen über ihre Erfahrungen, Pläne und Probleme und diskutiere über mögliche Synergien zwischen den welschen und Deutschschweizer Titeln. Erste Möglichkeiten einer fruchtbaren Zusammenarbeit zeichnen sich bereits ab - zum Beispiel zwischen TELE und TV8 mit einem geplanten Anzeigenkombi Deutschschweiz/Romandie sowie einem redaktionellen Austausch. Ein weiteres Beispiel für eine redaktionelle Zusammenarbeit sind dimanche.ch und SonntagsBlick, die durchaus noch ausbaufähig ist. Daniel Pillard, der neue Chefredaktor, und ich haben in Zürich bereits mit SoBli-Chef Bernhard Weissberg und Verlagsleiter Bruno Blaser darüber diskutiert. Und Pillard hat eine ganze Woche beim SonntagsBlick hinter die Kulissen geschaut.

Sind Sie zufrieden mit der Umsatzentwicklung von Ringier Romandie im laufenden Geschäftsjahr?

(Lacht) Als Chef darf ich natürlich nie zufrieden sein... Im Anzeigenbereich liegen wir - trotz unsicherer Konjunktur - innerhalb der Erwartungen. Beim Abo- und Kioskverkauf liegen wir etwas unter dem Budget. Ein Trend, den alle Zeitschriften in der Romandie spüren. Budgetiert sind 79 Millionen Franken. Für uns ist es natürlich eine grosse Herausforderung, diese Vorgaben zu erreichen.

L'illustré feiert dieses Jahr den 80. Geburtstag und ist mit einer Reichweite von fast 380'000 Lesern immer noch die beliebteste Zeitschrift in der welschen Schweiz. Seit April kommt sie nach einem Redesign verjüngt daher. Wie ist die "nouvelle formule" angekommen?

L'illustré ist wirklich ein Wunder. Vor kurzem hat mir Michael Ringier erzählt, wie nahe er vor einigen Jahren war, die Zeitschrift einzustellen, weil sie damals Millionen von Franken im Jahr verlor. Und heute ist l'illustré ein Riesenerfolg. Das zeigt doch eindrücklich, wie man mit den richtigen Ideen und Massnahmen einen Loser in einen Winner verwandeln kann... Die neue illustré ist bei Lesern und Werbern toll angekommen. Das zeigen die Panels und Reaktionen - es gibt kaum negative Stimmen. Federico Camponovo und sein Team haben das neue Konzept mit sehr viel Feeling umgesetzt, und das Marketingteam von José Montero hat eine herausragende Werbekampagne produziert. Für die Redaktion war es eine positive Erfahrung, die allen viel Spass gemacht hat. Ich bin begeistert und zuversichtlich: Alle Zeichen stehen gut für L'illustré!

L'Hebdo wird im September 20 Jahre alt und stösst mit einer Auflage von etwas über 55'000 Exemplaren an seine Grenzen, ja ist sogar etwas rückläufig. Wo sehen Sie hier noch Wachstumsmöglichkeiten?

Im kleinen Markt der Romandie sind natürlich gewisse Grenzen gesetzt. Unser Ziel ist deshalb nicht Wachstum um jeden Preis. Der Challenge liegt vielmehr darin, dieses hohe Niveau und die bestehende Leserschaft zu halten - aber auch noch die Leader und Topleader dazu gewinnen - indem L'Hebdo noch kreativer, innovativer, aktueller und weltoffener wird. Dazu werden wir eine Rubrik zum Thema "Reisen" einführen, die in einer Zusammenarbeit zwischen L'Hebdo in Lausanne, L'Express in Paris und Le Vif L'Express in Brüssel produziert wird. Den Geburtstag werden wir im September mit einem Theaterstück über den Journalismus feiern, das von der Hebdo-Redaktion geschrieben wurde. Als Dankeschön für ihre Treue werden die Abonnenten in sieben verschiedenen Städten der Romandie eingeladen. Ausserdem wird l'Hebdo eine spezielle Geburtstagsausgabe produzieren, die aus zwei Teilen besteht: Der aktuellen Nummer ist die allererste Ausgabe von L'Hebdo beigeheftet, die vor 20 Jahren erschien. Als verbindendes Element wird in der Mitte ein grosses Interview stehen, in dem die heutige Chefredaktorin Ariane Dayer Jacques Pilet, Chefredaktor der ersten Stunde, interviewt.

Beim Fernsehmagazin TV8 ist für den 18. September ein Relaunch angesagt - warum?

Wir kämpfen gegen eine starke Konkurrenz. Edipresse gibt drei TV-Zeitschriften heraus, die als Beilage ihrer Tageszeitungen abgegeben werden. Diese sind alle gratis und gut gemacht. TV8 dagegen wird als einziges TV-Magazin der Romandie im Abo (46'000 Exemplare) und am Kiosk (6000) verkauft. Um attraktiv zu bleiben, werden wir unseren Lesern einen Mehrwert bieten: durch ein grösseres Format und 16 zusätzliche redaktionelle Seiten. Damit wird eine Neuausrichtung und Erweiterung in ein neues Segment möglich - ähnlich wie TELE wird TV8 künftig als Medienmagazin auch Bereiche wie Kino und Multimedia abdecken - und sich damit signifikant von der Konkurrenz der TV-Blätter abheben.

Künftig soll TV8 vermehrt Synergien mit TELE in Zürich nutzen - wie sieht dies konkret aus?

Wie bereits erwähnt, wollen wir gemeinsam mit TELE als Partner den Anzeigenkunden in der Deutsch- und Westschweiz ein Anzeigenkombi anbieten, mit dem sie z.B. nationale Werbekampagnen abdecken können. Diese Möglichkeit existiert bis heute nicht, und Ringier ist der einzige Verlag in der Schweiz, der eine solche Kombination überhaupt anbieten kann.

edelweiss macht Ihnen sicher Freude - stimmt es, dass dieses Jahr erstmals schwarze Zahlen geschrieben werden?

Dieses Ziel ist noch nicht ganz geschafft - ich bin aber zuversichtlich, dass wir Ende Jahr eine Flasche Champagner öffnen können... edelweiss hat sich seit der Lancierung 1998 trotz grosser Konkurrenz im Bereich Frauenzeitschriften im Luxusgüter-Segment im Anzeigenmarkt unglaublich erfolgreich entwickelt - fast alle Topkunden inserieren hier, und das Echo im Markt ist weiterhin positiv. Es gibt aber auch hier noch viel zu tun.

dimanche.ch hat heute eine Auflage von knapp 45'000. Damit können Sie doch nicht zufrieden sein?

(Schmunzelt) Ach, diese Ungeduld... dimanche.ch hat heute 115'000 Leser und somit 18 Monate nach der Lancierung geschafft, wofür Le Temps fünf Jahre brauchte - dies allerdings nur dank der Fusion des Journal de Genève und Nouveau Quotidien. Die Sonntagszeitung von Ringier hat damit viel erreicht, zufrieden bin ich aber selbstverständlich nicht. Mein Ziel ist es, die Auflage rasch zu erhöhen. Dazu haben wir uns einiges ausgedacht: Im September übernimmt Daniel Pillard als Chefredaktor die Zügel. Als neue Product Managerin stösst Veronique Brandon von le Temps dazu und Marino Trotta ist für ein neues Layout verantwortlich. Von September bis Dezember werden wir jede Woche ein Supplement anbieten; dimanche.ch wird neu neben Genf und Waadt auch im Abonnement im Wallis erhältlich sein. Gleichzeitig werden wir 1000 neue Verkaufsautomaten aufstellen und die Kioskpräsenz verstärken. Die Zusammenarbeit mit largeur.com wird zudem einen starken Webauftritt von dimanche.ch möglich machen.

Auf 1. August wurden die Marketing- und Verkaufsaktivitäten in Lausanne neu organisiert - was wurde geändert und was war der Grund dafür?

Ringier Romandie ist mit seinen neuen Titeln und mittlerweile 333 Mitarbeitern in den letzten Jahren stark gewachsen, die Struktur hat da nicht mithalten können. Und wir investieren viel Geld in Verkauf und Marketing. Um sicherzustellen, dass jeder Franken optimal eingesetzt wird, haben wir das "Département commerciale" geschaffen, das unter Carlos Sanchez für Marketing und Verkauf verantwortlich ist. José Montero übernimmt den Bereich Marketing-Management.

RR muss weiter wachsen, wo gibt es Wachstumsmöglichkeiten, haben Sie bereits Projekte in der Pipeline?

Natürlich sind wir nach wie vor daran interessiert, gute bestehende Titel zu kaufen, die in unsere Palette passen. Dann sehe ich durchaus auch noch Möglichkeiten für Neulancierungen in der Romandie: Warum z.B. nicht im Segment "Gesundheit". Da hat Gesundheit-SprechStunde in der Deutschschweiz mit dem Konzept des Medienverbundes den Weg aufgezeigt. Ich bin überzeugt: Es gibt Platz für eine französische Version. Ich könnte meine persönlichen Erfahrungen und Beziehungen auf diesem Gebiet einbringen; wir könnten die Synergien und Erfahrungen von Zürich nutzen und gleichzeitig unsere welschen Titel mit einbeziehen. Vorläufig liegt jedoch die Priorität von Ringier Romandie für mich darin, zu konsolidieren und mit den heutigen Produkten zu wachsen.

Ihr Chef Martin Kall hat ein Engagement von Ringier im französischen Markt nicht ausgeschlossen: Gibt es diesbezüglich bereits konkrete Projekte?

Sagen wir es mal so: Die Lust ist immer noch grösser als die Zahl der konkreten Projekte. Natürlich gibt es nach wie vor Visionen und eine Strategie, Ringier Romandie als Plattform für den französischen Markt zu nutzen. Natürlich sind wir offen für eine Expansion, diskutieren darüber und bleiben am Ball. Von konkreten Projekten zu sprechen - dafür ist es aber noch zu früh.



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