23.08.2017

Umbau bei Tamedia

Zwei konzentrierte Tamedia-Redaktionen ab 2018

Paukenschlag bei Tamedia: Das Medienhaus setzt die kritisierten Sparpläne wie vermutet um. Arthur Rutishauser wird Chefredaktor der Redaktion Deutschschweiz, Ariane Dayer leitet die Redaktion in der Westschweiz. Die Gewerkschaften sind beunruhigt.

Die Mediengruppe Tamedia organisiert ihre Zeitungsredaktionen neu. Zwei neue Redaktionen beliefern die Zeitungstitel mit Inhalten aus Inland, Ausland, Wirtschaft und Sport. Start ist am 1. Januar 2018. Laut einer Mitteilung vom Mittwoch gibt es keine Kündigungen. In der Deutschschweiz und der Romandie entstehen zwei sogenannte Redaktionen Tamedia. In Bern, Lausanne und Zürich sind Kompetenzzentren vorgesehen.

Grund für die Neuorganisation ist laut Tamedia der starke Rückgang der Werbeumsätze. Die deutschsprachige Redaktion wird Arthur Rutishauser als Chefredaktor führen. Er bleibt daneben Chefredaktor der «SonntagsZeitung». Judith Wittwer übernimmt seinen Posten als Chefredaktorin des «Tages-Anzeigers». Die Redaktion Tamedia in der Romandie wird Ariane Dayer führen. Sie bleibt weiterhin Chefredaktorin von «Le Matin Dimanche».

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In ihrer Mitteilung schreibt Tamedia, dass die einzelnen Zeitungstitel ihre Redaktionen und Chefredaktoren behalten werden. Diese Redaktionen versorgen die Zeitungstitel mit einer Mantelberichterstattung. «Die Kompetenzzentren werden die einzelnen Titel zum Teil auch mit massgeschneiderten Artikeln beliefern», sagte Christoph Zimmer, Leiter der Unternehmenskommunikation bei Tamedia, gegenüber der Nachrichtenagentur sda.

In der Deutschschweiz werden alle Kompetenzen im Layout, in der Textproduktion, der Bildredaktion, die Fotografen, das Korrektorat sowie weitere unterstützende Prozesse im neuen Bereich Editorial Services zusammengefasst. Die Leitung übernimmt Simon Bärtschi, bisher Mitglied der Chefredaktion von «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung». Die Organisation der Bereiche Layout, Textproduktion, Bild, Fotografie, Korrektorat sowie weiterer unterstützender Prozesse in der Romandie ist noch offen.

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«Le Matin» und «20 minutes» gehören nicht dazu

Nicht Teil der Tamedia-Redaktion in der Westschweiz wird die erst am Dienstag zusammengelegte Redaktion von «Le Matin» und «20 minutes» (persoenlich.com berichtete). Die gemeinsame Redaktion mit dem Namen «20 minutes & Le Matin» wird dem Unternehmensbereich Werbung und Pendlermedien unterstellt. Einzig den Sport werden auch «20 minutes» und «Le Matin» aus der Tamedia-Redaktion für die Westschweiz beziehen. Bei den beiden Blättern wird auch der gemeinsame Newsexpress angehängt, der Inhalte für alle Newsportale der Tamedia-Titel in der Romandie produziert.

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Ebenfalls am Dienstag wurde Claude Ansermoz als neuer Chefredaktor von «24 Heures» angekündigt. Er folgt auf Thierry Meyer, der bis Ende Jahr abtreten wird. Ansermoz war bislang stellvertretender Chefredaktor der Waadtländer Zeitung.

Gewerkschaften sind beunruhigt

Die Gewerkschaften Impressum und Syndicom sorgen sich um die Medienvielfalt in der Schweiz nach dieser Ankündigung «Die aktuelle Situation ist sehr schwierig», sagte die Zentralsekretärin von Impressum, Nathalie Weber, gegenüber der Nachrichtenagentur sda.

Für Impressum ist es fraglich, wie die Vielfalt bei einer faktischen Einheitsredaktion tatsächlich umgesetzt werden soll - dies bleibe auch nach den Informationsveranstaltungen für die Mitarbeitenden unklar, schreibt die Gewerkschaft in einer Mitteilung vom Mittwoch.

Um eine vielfältige Medienlandschaft aufrechtzuerhalten, genüge es nicht, den gleichen Inhalt über verschiedene Titel zu verteilen, schreibt Syndicom in einem Communiqué. Die Unabhängigkeit der einzelnen Titel müsse garantiert werden - auf allen Kanälen.

Der Ankündigung von Tamedia, dass es keine Kündigungen geben werde, begegnen beide Gewerkschaften mit Skepsis. Sie warnen vor einem schleichenden Stellenabbau: Dies bedeute einen weiteren «Aderlass» für die «zusammengesparten» Redaktionen und noch mehr Druck für die einzelnen Mitarbeiter.

Syndicom werde zusammen mit den Angestellten und ihren Personalvertretungen darüber wachen, dass es auch tatsächlich keine Kündigungen geben werde, auch bei den drei Druckzentren. Allen Betroffenen der Umstrukturierung müssten gleichwertige Tätigkeiten
angeboten werden. Zudem müsse Tamedia die am Dienstag ausgesprochenen sechs Kündigungen bei «Le Matin» zurücknehmen, fordert die Gewerkschaft.

Neue Finanzierungsmodelle gefordert

Grundsätzlich stellt Syndicom infrage, ob Tamedia überhaupt so viel sparen müsse. In den letzten zehn Jahren seien insgesamt 424 Millionen Franken an die Aktionäre verteilt worden sowie 100 Millionen Franken an die Unternehmensleitung und den Verwaltungsrat. Die Gewerkschaft fordert, dass ab sofort mindestens die Hälfte dieser Gelder im Unternehmen investiert werden, um Qualität und Vielfalt zu erhalten.

Der Journalismus sei auf komplett neue Finanzierungsmodelle angewiesen, schreibt Impressum. Das scheine Tamedia noch nicht realisiert zu haben; werde die Reorganisation doch mit wegbrechenden Werbeeinnahmen begründet. (sda/wid/eh)



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Kommentare

  • Fritz Suter, 24.08.2017 15:41 Uhr
    Einblick ins Tamedia-Innere: Auf Twitter, nämlich bei @inside_tamedia, lässt sich trefflich verfolgen, was Mitarbeitende von den einschneidenden Massnahmen halten. Und was Tamedia nicht öffentlich kommuniziert. Lesenswert!
  • Theo Maderthaner, 24.08.2017 10:10 Uhr
    Jetzt fehlt bloss, dass die Gewinnmaximierer auch noch "Presseförderung" vom Staat erhalten!
  • Philipp von Essen, 23.08.2017 17:10 Uhr
    Wie schön, «es gibt keine Kündigungen». Und wie genau wird der «starke Rückgang der Werbeumsätze» nun durch diese Massnahmen wettgemacht?
  • Traugott Amsler, 23.08.2017 16:15 Uhr
    Statt profilierter einzelner Redaktionen gibt es bei Tamedia künftig ein Zentralkomitee unter Führung eines Chefapparatschiks.
  • Oliver Rath, 23.08.2017 16:07 Uhr
    Mit dem Einheitsbrei verschwindet die Leserbindung an das Blatt - mithin wird die Zeitung auch für die Werbewirtschaft weniger attraktiv. Die Werbeeinnahmen werden noch weiter zurückgehen. Aus schierer Gier schadet man sich selber.
  • Petra Trachsler, 23.08.2017 15:57 Uhr
    Laut Medienverband Syndicom hat Tamedia in den letzten zehn Jahren insgesamt 424 Millionen Franken an die Aktionäre (ein kleiner Familienclan) verteilt sowie 100 Millionen Franken an die Unternehmensleitung und den Verwaltungsrat ausbezahlt. Und das alles trotz schwächer gewordener Werbemassnahmen. Sozialhilfebezüger werden die Verleger-Milliardäre also noch lange nicht!
  • Kurt Auensteiner, 23.08.2017 15:43 Uhr
    Es gab eine Zeit, da war der "Tages-Anzeiger" mein Leibblatt, weil er profilierte Journalisten hatte, deren Namen man kannte und schätzte. Davon ist er leider immer mehr abgekommen und immer anonymer geworden. Ausland-Korrespondenten teilt man sich neuerdings sogar mit deutschen Blättern. Was jetzt folgt ist nur die letzte Konsequenz einer jahrlangen schleichenden Entwicklung: statt persönlich geprägtem Qualitätsjournalismus der Einheitsbrei des Kollektivs. Der Coninx-Kapitalismus befolgt letztlich (aus unterschiedlichen Motiven) das Rezept der Ostblockpresse, und ein Chefrdaktor ohne Profil wacht an der Spitze, dass "his Masters" Kasse stimmt. Ich werde künftig auf das Blatt verzichten: Diese Art von Journalismus gibt es längst billiger im Internet.
  • Robert Weingart, 23.08.2017 15:36 Uhr
    Gut geschrieben, Olivier Brunner. Der Tages-Anzeiger darf sich langsam aber sicher aus der Liga der wichtigen Zeitungsstimmen abmelden. Auch die SonntagsZeitung. Diese unsäglichen Tagimagi-Edelfedern gehen einem auch auf den Geist, wenn nicht wie öfters fremdeingekaufte Texte. Der Niedergang wird mit dem Einheitsbrei weiter verschärft.
  • Olivier Brunner, 23.08.2017 14:54 Uhr
    Da wird nur nachvollzogen, was sich schon lange abzeichnete. Immer mehr 20min Texte im Tagi, Bund schon lange Tagi II. Für fundierten Journalismus hat man schon lange keine Zeit. Dafür immer mehr Blogs zu Kleinkinder, Sexualität und Schule, die einfach Meinung einer Person sind und selten bis nie recherchiert wird. Ich würde für so etwas nichts bezahlen. 20min ist ja auch gratis...
  • Gotthard Andermatt, 23.08.2017 14:20 Uhr
    Das Coninx-Supino-Imperium begründet alle seine - auf Kosten des Qualitätsjournalismus gehenden - Gewinnmaximierungs-Massnahmen stets mit den sinkenden Werbeeinnahmen. Das Wesentliche verschweigen die Grossverdiener von der Werdstrasse aber konsequent: 2015 erwirtschaftete Tamedia immerhin einen Reingewinn von 334 Mio. CHF; CEO Christoph Tognini erhielt einen Bonus von 6 Mio. CHF. Im letzten Jahr betrug der Reingewinn 122 Mio. CHF. Immer noch ein fettes Sümmchen für die Familienkasse!
  • Sebastian Renold, 23.08.2017 13:55 Uhr
    Supinos Einheitssuppe! Mit Gewinnmaximierung für die Verleger-Milliardäre kann man die Printmedien auch umbringen.
  • Christoph J. Walther, 23.08.2017 13:00 Uhr
    Die einzig interessante Frage in diesem Zusammenhang ist: Warum kam dieser Schritt nicht schon vor zehn Jahren? Dass solche Massnahmen unausweichlich sind, war schon damals klar. Man hätte die Reorganisation aus einer stärkeren Position aus angehen können und stünde heute bereits besser da. Die zweite Frage ist: Wie und wann werden die übrigen Zeitungsverlage reagieren und nachziehen?
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