Die These ist ebenso eingängig wie oft gehört: Die grosse SRG steht den privaten Medien vor der Sonne. Und im Umkehrschluss: Wäre die SRG kleiner, ginge es den Privaten besser. Nur: Stimmt diese These auch? Wer sie anzweifelte, musste sich bisher mit der Analogie zu anderen Medienmärkten behelfen. So gab es etwa Untersuchungen aus Norwegen, die zeigten, dass dort ein starker öffentlicher Rundfunk den Erfolg von Zeitungen und Nachrichtenwebsites nicht schmälert – und die Zahlungsbereitschaft für Informationsmedien sehr hoch ist.
«Die Verdrängungsthese greift nicht»
Nun gibt es auch eine Studie zur Situation in der Schweiz. Mark Eisenegger fasste das Ergebnis in vier Worten zusammen: «Die Verdrängungsthese greift nicht.» Damit eröffnete der Direktor des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög) am Montag eine Podiumsdiskussion an der Uni Zürich anlässlich der Präsentation des Jahrbuchs «Qualität der Medien» (persoenlich.com berichtete). Gemäss den Fög-Forschenden korreliert die Nutzung von SRG-Angeboten positiv mit der Nutzung privater Medienangebote. Sprich: Wer SRG-Angebote nutzt, konsumiert häufiger Abo- oder Gratismedien der Privaten als SRG-Abstinente. Deshalb gebe es «keine empirische Evidenz, dass die SRG SSR private Informationsmedien im Publikumsmarkt oder in Bezug auf die Zahlungsbereitschaft verdrängt», steht im Jahrbuch.
Bei den Verlegern löste der Befund indes Kopfschütteln aus. Nicht dass sie ihn grundsätzlich anzweifeln, aber «die Studie greift zu kurz», sagte Michael Wanner auf dem Jahrbuch-Podium. Der CEO von CH Media kritisierte daran, dass die entscheidende Frage nicht gestellt worden sei. Nämlich: «Was wäre, wenn …?». Wohin würde sich die Mediennutzung bewegen, wenn es die SRG nicht gäbe? Wanner ist überzeugt: «Wenn sich die SRG einschränken würde, dann hätten Private mehr Spielraum.» Als Beleg für die starke Stellung im Markt nannte er die grosse Reichweite der Onlineangebote.
Die Frage, die Wanner lieber beantwortet gesehen hätte, wurde zwar nicht in der Schweiz, aber in Österreich gestellt. Welchen Einfluss hätte ein Verschwinden von orf.at, der Website des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, auf die kostenpflichtigen Nachrichtenangebote der privaten Verlage? «Es zeigte sich, dass nur geringe Zugewinne für private Angebote zu erwarten wären. Vielmehr profitierten die grossen Internet-Intermediäre», hielten die Autoren zusammenfassend fest.
«Wir haben ein Reichweitenproblem»
Nathalie Wappler, Direktorin von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), sieht angesichts der wissenschaftlichen Befunde keinen Grund, weshalb sich ihr Unternehmen weiter einschränken sollte. Ausserdem sei der Onlinebereich bereits reguliert mit einem Werbeverbot, mit dem erforderlichen Sendebezug von Onlinebeiträgen, sowie der Umfangbeschränkung für Texte ohne Bezug zu einem Radio- oder TV-Beitrag. Wappler betonte in der Podiumsdiskussion denn auch die Probleme, die alle Medien teilen, egal ob privat oder öffentlich finanziert. «Wir haben ein Reichweitenproblem», so die SRF-Direktorin. Damit meint sie den wachsenden Teil der Bevölkerung, der gar nicht mehr aktiv Nachrichtenmedien nutzt. Gemäss aktuellem Jahrbuch «Qualität der Medien» wuchs der Anteil der sogenannten News-Deprivierten innert 15 Jahren von 21 auf heute 46 Prozent.
Unterstützung erhielt Wappler von Min Li Marti. Die SP-Nationalrätin arbeitet als Chefredaktorin und Verlegerin der Zürcher Wochenzeitung P.S. Auch sie kenne die Probleme der privaten Medien wie überlastete Leserschaft oder geringe Zahlungsbereitschaft. Es störe sie aber, dass die «Branche sich selbst gegenseitig bekämpft, anstatt gemeinsam die Probleme zu lösen». Als positives Beispiel erwähnte Marti die Kooperationen zwischen SRG und Privaten – und lieferte Wappler eine Steilvorlage, die dann sagte: «Es gibt in Europa kein anderes öffentliches Medienhaus, das so viele Kooperationen hat mit Privaten wie wir.»
Michael Wanner hält nicht sonderlich viel von dieser Kooperation. «Solange die SRG bestimmt, was eine Kooperation ist, braucht es klare Regeln.» Überhaupt sprach sich der CH-Media-Chef im Laufe der Diskussion immer wieder für «klare Regeln» aus, wobei er damit auch eine Schrumpfung der SRG meint, insbesondere im Onlinebereich.
Müller möchte SRG auf «Kernauftrag» beschränken
Ins gleiche Horn stiess auch Matthias Müller. Der Präsident der Jungfreisinnigen vertrat auf dem Podium die Position der sogenannten Halbierungsinitiative, die er mitlanciert hat. Damit soll das Budget der SRG auf rund 700 Millionen Franken (plus Werbung) gekürzt werden mit einer Reduktion der Haushaltsabgabe auf 200 Franken pro Haushalt und Jahr. Müller möchte die SRG auf einen «Kernauftrag» bestehend aus Information, Bildung und Kultur beschränken. «Amateurhafte Trash-Sendungen, mit denen man 3+ kopieren will», hätten da nichts zu suchen, so der Jungpolitiker. Wanner, der bei anderer Gelegenheit auch schon seine Sympathie für die Halbierungsinitiative geäussert hatte, gab auf die entsprechende Frage von Moderator Matthias Ackeret keine direkte Antwort. Er wolle am dualen System festhalten, doch sei es aus der Balance geraten. Das wieder ins Lot zu rücken, «wäre mir lieber als eine radikale Kürzung» – sprach sich Wanner dann doch einigermassen deutlich gegen die Initiative aus.
Die wissenschaftlichen Befunde zur Verdrängungsthese waren da schon längst kein Thema mehr auf dem Podium. Das brachte Mark Eisenegger zur Aussage, dass die Debatte – von Seiten Wanner und Müller – «evidenzbefreit geführt» werde. Der Medienforscher erinnerte daran, dass der Druck auf das gesamte Mediensystem vor allem von aussen komme, sprich: von den grossen Tech-Plattformen, die den heimischen Medien in grossem Masse Nutzungszeit und Werbegeld absaugen. Es befremde ihn, «dass die Debatte immer noch so geführt wird, also ob die Probleme gelöst wären mit einer kleineren SRG.»
Zum Schluss fand man dann doch noch irgendwie zu Positionen, die sich zumindest nicht direkt widersprechen. So wünscht sich Michael Wanner ein starkes Schweizer Mediensystem. Matthias Müller will zwar der SRG ans Budget, attestiert ihr aber doch eine gesellschaftliche «Klammerfunktion». Und Nathalie Wappler will zusammen mit den Privaten die Vielfalt sicherstellen.