Herr Thommen, was hat Sie veranlasst, vor 25 Jahren den HarbourClub zu gründen?
Andreas Thommen: Zur Jahrtausendwende arbeitete ich bei Wirz, also auf Agenturseite. Ich hatte damals den Eindruck, dass es in den Corporate-Communications-Abteilungen viele hochmotivierte und engagierte Mitarbeitende gab, die eigentlich gar nicht wussten, was sie machten. Meine Idee war es, deren Profil zu schärfen. Es gab in den Firmen zwar Pressesprecher oder Medienverantwortliche – nannte sich aber jemand Corporate Communication Officer, war er sicherlich nicht auf dem C-Level und durfte auch nicht an den Geschäftsleitungssitzungen teilnehmen. Die Professionalisierung des Jobprofils wie auch dessen Schärfung waren für mich die Initialzündung für die Gründung eines Berufsclubs, in dem man sich über solche Themen austauschen konnte.
Hatten Sie ein Vorbild für einen solchen Club im Ausland?
Thommen: Nein, mein Vorbild war am ehesten noch der ADC, doch dieser fokussierte ausschliesslich auf die Werbebranche.
«Wir wollten an den runden Tisch in der Teppichetage kommen»
Herr Vaterlaus, Sie wurden am 30. August 2000 zum ersten Präsidenten des HarbourClub gewählt. Sind Sie sogleich auf Andreas Thommens Idee angesprungen?
Walter Vaterlaus: Andreas hat bei mir mit seiner Idee offene Türen eingerannt. Dazu muss ich ein wenig ausholen: 1995 wurde ich von Clariant engagiert, um deren Börsengang zu begleiten. Bereits beim Einstellungsgespräch forderte ich, direkt dem CEO unterstellt zu werden, um an den Konzernleitungssitzungen teilnehmen zu können. Für einen Pressechef war das – im Gegensatz zu all seinen anderen Direktunterstellten – damals noch nicht vorgesehen. Um es trotzdem zu ermöglichen, hatte der CEO eine «gute Idee» und ernannte mich zum Sekretär der Geschäftsleitung. In dieser Funktion nahm ich an den Geschäftsleitungssitzungen teil, indem ich ihren Ablauf protokollierte.
Dann war der HarbourClub auch ein Druckmittel, um die Stellung des CCO zu verbessern?
Vaterlaus: Ja, eindeutig. Das Ziel unseres Clubs war klar: Wir wollten an den runden Tisch in der Teppichetage kommen. Für einen Kommunikationschef ist es unerlässlich, die Hintergründe eines Entscheids, den er zu kommunizieren hat, zu kennen. Dass der HarbourClub einem Bedürfnis entsprach, zeigte der rege Zulauf von qualifizierten, hochstehenden Kommunikationschefinnen und -chefs.
Wie hat Ihr Chef reagiert, als Sie Präsident des neuen Clubs wurden?
Vaterlaus: (Lacht.) Er war nicht begeistert und fragte: Hast du denn Zeit dafür? Daraufhin wusste ich, dass mein Entscheid richtig war. Dass ich Gründungspräsident wurde, hatte damit zu tun, dass die anderen Vorstandsmitglieder mir gerne den Vortritt liessen.
Frau Atzli, Sie kamen 2011 als erste Frau an die Spitze des HarbourClub. War dies wegen der berühmten Quote?
Corina Atzli: (Lacht.) Diese spielte bei uns nie eine Rolle, man war vielmehr froh, dass es jemand machte. Ich war bereits bei der Vereinsgründung im Jahr 2000 dabei. Damals leitete ich die Unternehmenskommunikation der Oettinger-Davidoff-Gruppe, war aber schon bei Geschäftsleitungssitzungen anwesend – und somit wohl jene berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt. Was mich am HarbourClub von Anfang an faszinierte, war die Möglichkeit, sich mit anderen Kommunikationschefs auszutauschen. Was man gerne vergisst: Obwohl gut vernetzt, sind sie meist auf sich allein gestellt und deswegen oft einsam. Für mich jedenfalls bedeutete der HarbourClub von Beginn an eine «emotionale» Stärkung.
Hans-Peter Nehmer: Dieser ehrliche Austausch an unseren Lunches auf Augenhöhe ist sicherlich ein Grund für den Zuspruch, den der HarbourClub bis heute hat. Ganz wichtig ist für uns zudem das alljährliche Symposium, das seit 2000 durchgeführt wird, aber auch die Sommerpartys in der Zürcher Frauenbadi.
«Die Qualität unserer Mitglieder ist sicherlich die DNA unseres Clubs»
Hat sich der HarbourClub im vergangenen Vierteljahrhundert stark verändert?
Nehmer: Nein, nur wenig, was zeigt, wie visionär und weitblickend unsere Gründer waren. Ich wurde bereits wenige Jahre nach dem Start Mitglied des HarbourClub, Walter Vaterlaus war mein erster Präsident. Damals musste man noch ein hartes Aufnahmeverfahren absolvieren, wurde von den Vorstandsmitgliedern befragt und anschliessend vor die Tür geschickt, um auf den Entscheid zu warten. Das ist längst nicht mehr der Fall. Trotzdem ist die Qualität unserer Mitglieder sicherlich die DNA unseres Clubs.
Was ist bei der Aufnahme entscheidend: die Firma, die man vertritt, oder die menschlichen Qualitäten?
Nehmer: Eindeutig die menschlichen Qualitäten. Bei der Gründung beschränkte sich die Anzahl Mitglieder statutarisch auf 50. Diese Zahl wurde im Laufe der Jahre wegen der grossen Nachfrage auf die magische Grenze von 100 erhöht. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir mehr Interessenten auf der Warteliste haben als freie Plätze. Wichtig für eine Mitgliedschaft ist aber, dass jemand aktiv seinen Job als CCO ausübt.
Vaterlaus: Bei der Gründung waren wir uns überhaupt nicht sicher, ob wir überhaupt 50 Mitglieder zusammenbringen. Gerade die Grossunternehmen waren anfänglich skeptisch, ob unsere Idee funktioniert und einem Bedürfnis entspricht. Das änderte sich aber sehr schnell.
Inwiefern hat sich das Berufsbild verändert?
Nehmer: Sollte eine Firma heute noch nicht wissen, was die Aufgabe eines Kommunikationschefs oder einer Kommunikationsabteilung ist, hat sie vieles nicht begriffen. Im Gegensatz zu früher brauchen wir uns heute nicht mehr zu erklären. Jedes grosse Unternehmen hat im Verlauf der letzten Jahre eine oder zwei grosse Krisen erlebt. Gerade in solchen Situationen sieht man, wie wichtig ein funktionierender Kommunikationsapparat ist. Fairerweise muss man auch betonen, dass sich das mediale Umfeld komplett verändert hat. Bei der Gründung des HarbourClub war das Internet noch in den Kinderschuhen, die Websites waren trivial, und soziale Medien mit ihren Shitstorms gab es noch nicht.
Ihre Bewährungsprobe war der Tsunami vor genau 20 Jahren.
Nehmer: Zweifelsohne. Ich arbeitete damals für Hotelplan, und wir mussten Ende 2004 ein schreckliches, noch nie dagewesenes Ereignis kommunizieren, von dem viele Schweizerinnen und Schweizer, auch Kundinnen und Kunden von Hotelplan, betroffen waren. Zahlreiche verloren ja sogar ihr Leben. Das war eine absolute Extremsituation, auch für viele Firmen und Daheimgebliebene. Bei einem solchen Ereignis ist gute und transparente Kommunikation matchentscheidend. Für mich war dies ohne Zweifel ein Schlüsselerlebnis.
Nochmals zur Stellung des Kommunikationschefs innerhalb eines Unternehmens: Ist es heute unbestritten, dass dieser Mitglied der Geschäftsleitung ist?
Nehmer: Ja, in vielen grossen Unternehmen ist dies der Fall. Oder er ist – wie ich bei Allianz – in der erweiterten Geschäftsleitung und kann an den wichtigen Sitzungen teilnehmen. Ein neuer Trend ist aber, dass die Kommunikationschefs zwar an Geschäftsleitungssitzungen teilnehmen können, zusätzlich aber noch Marketing- oder HR-Aufgaben zugeteilt bekommen.
«Ich befürworte die reine Lehre»
Befürworten Sie dies, oder sind Sie ein Verfechter der «reinen Lehre»?
Nehmer: Ich befürworte die reine Lehre. Ich erlebe es bei meiner Tätigkeit, dass ein Kommunikationschef einen 360-Grad-Blick benötigt, um alle Stakeholder miteinzubeziehen. Ein Marketingchef hingegen fokussiert nur auf bestimmte Gruppen. Es ist wichtig, dass der Entscheidungsträger sehr nah bei der Geschäftsleitung oder beim CEO ist, um ihn zu beraten oder zumindest alle Entscheidungen nachvollziehen zu können. Das schafft ein besonderes Vertrauensverhältnis, deswegen sind CEO-Wechsel nicht immer ganz einfach.
Ist das so?
Nehmer: Das ist so. Ich bin seit 13 Jahren bei der Allianz und erlebe nun den fünften CEO-Wechsel. Mittlerweile ist dies aber kein Problem mehr, da dem Management der meisten Unternehmen bewusst ist, welches Asset die Unternehmenskommunikation darstellt. Zudem ist heute eine neue Generation von CEOs am Ruder, die die aktuellen medialen Gesetzmässigkeiten auch kennen.
Herr Thommen, als Sie 2000 den HarbourClub ins Leben riefen, waren Sie bei Wirz, also gar nicht in der Unternehmenskommunikation. Warum haben Sie den Verein trotzdem gegründet?
Thommen: Das stimmt, ich kam aus dem Journalismus, war also selber nie Kommunikationschef eines Unternehmens. Das gab mir möglicherweise eine bessere Aussensicht auf die Corporate Communications. Ich kannte damals viele Kommunikationschefs, von denen ich den Eindruck hatte, dass sie sich unter ihrem Wert verkaufen. Wichtig ist die Aussage von Hans-Peter, wonach der Kommunikationsverantwortliche auch eine beratende Funktion hat. Dieser strategische Ansatz ist in unserer Tätigkeit zentral. Hier schliesst sich auch der Kreis zu Wirz: Früher hatten viele Unternehmen einen externen Berater eingestellt, der den Kommunikations- oder Pressechef nach den Geschäftsleitungssitzungen darüber orientierte, was dort diskutiert wurde. Nach meiner Ansicht war dies aber der falsche Weg und griff zu kurz. Gegen aussen entsteht oft der Eindruck, dass der Kommunikationschef «nur» die Stimme seines Herrn ist …
Atzli: Das ist nur die Aussensicht, obwohl dieser Eindruck berechtigt ist, schliesslich präsentiert ein Kommunikationschef ein Unternehmen auch. Gegen innen ist die Rolle jedoch vielfältiger. So benötigt ein CCO innerhalb eines Unternehmens Kontakte zu allen Beteiligten, zumal es unerlässlich ist, einen Entscheid umfassend zu kommunizieren. Ein Kommunikationschef sollte auch die Möglichkeit haben, einen CEO auf die Konsequenzen eines Entscheids hinzuweisen. Dies nicht zuletzt, weil er möglicherweise das politische und gesellschaftliche Umfeld besser kennt als die Geschäftsleitung.
Aber am Ende ist sowieso die Kommunikation schuld, wenn etwas falsch herauskommt …
Vaterlaus: (Lacht.) Das kann ich so nicht unterschreiben. Es gab auch Fälle, beispielsweise bei der Swissair, wo die Kommunikation gut, die Ausgangslage aber katastrophal war. In einem solchen Moment kann auch die beste Kommunikation nichts mehr ändern. Für mich ist es unerlässlich, dass bei Krisen der CEO hinsteht und nicht der Kommunikationschef. Wir mussten einmal einen grossen Stellenabbau kommunizieren, der auch ausländische Fabriken betraf. Der damalige CEO ist aufgrund meiner Empfehlung vor die Belegschaft getreten und hat unseren Schritt erklärt. Das kam erstaunlich gut an und löste viel Konfliktpotenzial auf. Die Gewerkschaften versicherten mir, dass sie es zum ersten Mal gesehen hätten, dass ein CEO persönlich vor die Belegschaft getreten sei.
Nehmer: Gute Kommunikation bedeutet mehr, als eine Pressemitteilung zu verfassen. Notfalls kann das auch die KI übernehmen. Gute Kommunikation ist vor allem eine Haltung – nur wer diese in sich trägt, kann unschöne Themen wie Stellenabbau oder Entlassungen so kommunizieren, dass es die Betroffenen und auch die Nichtbetroffenen verstehen.
«Ein guter Kommunikationschef sollte ein Monitoring entwickeln»
Sie haben vorhin das Thema Shitstorm erwähnt. Wann reagiert man auf diesen?
Nehmer: Wenn er da ist. Ein guter Kommunikationschef sollte ein Monitoring entwickeln, um festzustellen, wie gefährlich ein Angriff ist und wie man überhaupt darauf reagieren soll. Fragt mich jemand nach meiner Haupttätigkeit, sage ich jeweils: Reputation. Sobald ein Unternehmen «angegriffen» wird, sollte der Kommunikationschef die Gefahr einschätzen und sofort reagieren können. Es ist jener Moment, in dem alle nach der Kommunikation rufen und die Verantwortung weitergeben wie eine heisse Kartoffel.
Vaterlaus: Heute ist es der Shitstorm, früher musste sich der Kommunikationschef mit anderen Störfaktoren wie etwa einem «Kassensturz»-Beitrag auseinandersetzen. So gesehen hat sich zwar die Zahl der Medien verändert, unsere Aufgabe ist aber im Grossen und Ganzen die Gleiche geblieben: nämlich Schaden vom Unternehmen abzuwenden und bestimmte Sachverhalte zu erklären.
Gehen wir nochmals zum HarbourClub zurück. Warum haben Sie eigentlich diesen Namen gewählt?
Thommen: Weil wir anfänglich unsere Sitzungen im «Harbour House» abhielten, einer alten Villa direkt vor dem Hafen Wollishofen. Ich suchte nach einem Namen, der etwas Geheimnisvolles verkörperte. Corporate-Communication-Officer-Club oder Kommunikationschef-Vereinigung schien mir zu banal.
Und dagegen gab es nie Widerstand?
Thommen: Doch, doch. Aber als es zur Abstimmung kam, hatte sich der Name längst eingebürgert und konnte nicht mehr abgeschafft werden.
Das Interview ist zuerst in der persönlich-Printausgabe vom Januar/Februar erschienen.