14.11.2019

Unternehmenskultur

«Man sollte neben der Arbeit noch leben können»

Der Ruf nach Diversität habe der Chancengleichheit von Mann und Frau geschadet statt genützt, sagt Katja Rost. Die Soziologie-Professorin kritisiert, dass Diversity-Abteilungen «nur» von Frauen geleitet werden und sie macht Vorschläge für mehr Frauen in Führungspositionen.
Unternehmenskultur: «Man sollte neben der Arbeit noch leben können»
«Selbst wenn alle Frauen im Job totale Pflaumen wären, hätten sie trotzdem ein Anrecht am Arbeitsmarkt teilzuhaben und dort gleichberechtigt zu sein wie die Männer», sagt Katja Rost. (Bild: zVg.)
von Edith Hollenstein

Frau Rost, fast jede grössere Firma oder Organisationen hat eine Diversity-Abteilung. Das bringe jedoch den Frauen wenig, schrieben Sie in einem Artikel. Was ist schlecht an Diversity-Programmen? 
Prinzipiell sind diese Programme natürlich gut gemeint. Schlecht ist allerdings, dass Stereotypen dadurch stärker akzentuiert werden. Das heisst, es wird damit noch stärker auf benachteiligte Gruppen aufmerksam gemacht. Hinzu kommt, dass Diversity-Abteilungen fast nur von Frauen besetzt sind. Damit wird der Stereotyp «Die Frauen schaffen es nicht alleine, denn sie sind schwach» zusätzlich gestärkt. Problematisch ist auch, dass in vielen Unternehmen keiner so richtig weiss, was Diversity-Abteilungen genau machen. Andere Mitarbeiter, die «richtig arbeiten» das sind dann meist Männer nehmen solche Bestrebungen nicht ernst.   

Zielführender wäre also, wenn Diversity-Abteilungen auch von Männern geleitet würden? 
Mehr Männer in diesen Abteilungen wären sicherlich von Vorteil. 

Die international bekannte Gleichstellungsexpertin Iris Bohnet vertritt ja klar die Ansicht, dass Frauenförderung eher gelingt, wenn man dafür von «Diversity» spricht. Der Begriff «Frauenförderung» hingegen sei viel zu emanzipatorisch besetzt ist und werde daher in Unternehmen ungern gesehen.  
Ich bin der Ansicht, dass man von «Frauenförderungs-» oder noch besser von «Gleichstellungprogrammen für Mann und Frau» reden sollte. «Diversity» ist tatsächlich ein Modebegriff, der geschaffen wurde, um ein wenig abzulenken von dieser durchaus politisch geprägten Angelegenheit. Unter «Diversity» fallen mittlerweile auch Präferenzen für Sport, Ernährung, sexuelle Orientierung oder sonstige Gruppen, die überspitzt gesagt, aus drei, vier Leute bestehen und sich im Bereich XY diskriminiert sehen. Für mich hat es schlicht und einfach ein ganz anderes Gewicht, wenn wir über eine benachteiligte Gruppe sprechen, die 50 Prozent der Gesellschaft ausmacht. Es geht hier um ein demokratisches Prinzip: Selbst wenn alle Frauen im Job totale Pflaumen wären, hätten sie trotzdem ein Anrecht am Arbeitsmarkt teilzuhaben und dort gleichberechtigt zu sein wie die Männer.  

«Es darf nicht sein, dass Firmen glauben, gute Leute seien diejenigen, die 80-Stunden-Wochen arbeiten»

In einem anderen Text zitieren Sie jedoch eine Studie, deren zufolge sich jeder zweite Schweizer Mann auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert fühlt. Wie kann das sein? 
Frauenförderung ist politisch derzeit ein grosses Thema. Selbstverständlich fühlt sich da die Gruppe der Männer benachteiligt, denn sie hat ja bis anhin sozusagen «profitiert» und muss jetzt, wenn eine Angleichung herbeigeführt werden sollte, mit Einbussen rechnen. Man sollte aber auch sehen, dass es für die Frauen ebenfalls nicht einfach ist. So ist das Modell der Hausfrau gesellschaftlich immer weniger anerkannt. Die Frau darf also nicht nur arbeiten; sie muss dies heutzutage.

Noch immer gibt es sehr wenige beruflich erfolgreiche Frauen, die Kinder haben. Wie ist es bei Ihnen: Sind Sie kinderlos oder haben Sie einen Partner, der seine eigene Karriere zu Ihren Gunsten zurückstellt? 
(lacht) Ich habe nur ein Kind statt drei oder vier, insofern bin ich nicht ganz repräsentativ. Für mich reichte es nur zu einem Kind, weil ich es – wie viele Akademikerinnen – spät, mit 38 Jahren, bekommen habe. Zudem liess sich eine grössere Familie leider nicht mit meiner jetzigen beruflichen und privaten Lebenssituation vereinbaren.  

Was wäre denn Ihrer Meinung nach ein wirklich familienfreundliches Unternehmen?
Eine Firma, die Karrierewege anbietet, auf denen man auch dann weiterkommt, wenn man Kinder hat. Aus eigener Erfahrung kann ich über den Uni-Betrieb sprechen. Eine Person mit einem kleinen Kind, oft Frauen, publiziert im Vergleich zu einer Person, die sich nicht um Kinderbetreuung kümmern muss, oft Männer, meist nur die Hälfte. Das wird jedoch bei Beförderungsplänen überhaupt nicht berücksichtigt. Es heisst dann einfach, die Person mit Kinderbetreuungsaufgaben sei halt schlechter als der oder die kinderlose Berufskollege/in und damit nicht im gleichen Masse karrierefähig.  

«Netzwerke sind auch entscheidend für Karrieren und Macht»

Könnte es nicht sein, dass Frauen oder auch Männer sich entscheiden müssen: kinderlos bleiben und dafür Karriere machen, oder sonst eine Familie gründen und beruflich weniger rasch vorwärtskommen. Wenn jemand in einer bestimmten Lebensphase weniger leisten kann, ist das doch nicht das Problem der Firmen. 
Wichtig wäre, dass Qualität gemessen wird statt Quantität. Man sollte neben der Arbeit auch noch leben können! Es darf nicht sein, dass Firmen glauben, gute Leute seien diejenigen, die 80-Stunden-Wochen arbeiten. Entscheidend ist nämlich nicht nur der geleistete Aufwand, sondern der Erfolg hängt von anderen Faktoren ab – darunter auch vom Zufall.

Sie referieren am Donnerstag beim Harbour-Club über Netzwerke. Warum ist das ein Thema, das Kommunikationschefs interessieren sollte? 
Netzwerke sind das Transportsystem für Informationen. Die Qualität und die Reichweite von Information hat viel mit Netzwerken zu tun. Auch sind Netzwerke entscheidend für Karrieren und Macht. Gerade das Nicht-Sichtbar-Sein in Netzwerken ist ein grosser Nachteil. In Berufsnetzwerken sind Frauen – auch wegen ihres geringeren Vorkommens – oft weniger sichtbar als Männer.  

Wodurch zeichnet sich Macht in Netzwerken aus? 
Die Macht in Netzwerken steigt, je höher jemand in Politik oder Wirtschaft auf der Hierarchie-Leiter aufsteigt. Entscheidend auf dieser Stufe ist nicht mehr das Wissen einer Person, sondern ihr Netzwerk.  

«Es sollen Leute Machtpositionen besetzen, die den Rest der Belegschaft repräsentieren»

Einflussreich seien noch immer die «Old-Boys-Netzwerke», wie Sie im eingangs erwähnten Artikel weiter schreiben. 
Ja, denn solche Netzwerke sind praktisch, weil das Vertrauen zwischen den Beteiligten sehr hoch und die Entscheidungswege sehr kurz sind. Gewisse Anliegen kommen so rasch durch, denn dafür muss nicht einmal eine Sitzung einberufen werden. 
 

Was wäre hier eine Lösung, die Frauen helfen könnte? 
Das einfachste wäre, wenn es auf allen Ebenen mehr Frauen hätte. So wären logischerweise diese «Old-Boys-Netzwerke» weniger wirksam. Es gäbe Frauen an Machtpositionen, die dann vielleicht genauso vernetzt wären – etwa in «Old-Women-Netzwerken». (lacht) 

Es gibt mehrere Firmen, etwa auch Werbeagenturen, die gerne mehr Frauen hätten in Führungspositionen. Doch sie sagen, es sei schwierig, Frauen zu finden. Was wären denn zielführende Massnahmen für mehr Frauen in Machtpositionen?  
Diese Firmen sollten – wie ich eingangs erklärt habe – die Rahmenbedingungen schaffen, in denen sich Familie und Karriere vereinbaren lassen. Das ist trivialer gesagt, als getan. Denn es heisst vielmals «das geht nicht», «das können wir nicht» oder «diese Führungsposition ist nicht teilbar». Hier greifen halt eben die «Old-Boys-Netzwerke» noch sehr stark. Solange Firmen der Meinung sind, eine Führungsposition sei ein 80-Stunden-Pensum, das man im Alter von 30 bis 40 Jahren leisten muss, können sie Frauen nicht halten. Und diejenigen Frauen, die sie halten, sind dann nicht repräsentativ für alle Frauen, beispielsweise weil sie einen besonders verständnisvollen Partner haben, weil sie keine Kinder haben oder weil sie verbissen sind. Das ist für andere Frauen nicht gut, denn damit entstehen die falschen Rollenvorbilder. Es sollen einfach solche Leute Machtpositionen besetzen, die den Rest der Belegschaft repräsentieren.  



Katja Rost ist Soziologieprofessorin an der Universität Zürich. Sie referiert am Donnerstag beim Harbourclub-Symposium in Rüeschlikon.

 

 



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Kommentare

  • Dieter Widmer, 14.11.2019 09:10 Uhr
    «Selbst wenn alle Frauen im Job totale Pflaumen wären, hätten sie trotzdem ein Anrecht am Arbeitsmarkt teilzuhaben und dort gleichberechtigt zu sein wie die Männer», sagt Katja Rost. So einen dummen Satz habe ich noch selten gehört.
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