29.12.2024

Das war 2024

«Mit Bundesratsgeschäften ist Spontaneität schwieriger»

Franziska Ingold ist die Kommunikationschefin von Bundesrat Albert Rösti. Im Interview sagt sie, was sie am PR-Apparat der Bundesverwaltung stört und was gute Kommunikation ausmacht. Sie sagt auch, was die Corona-Leaks in Bern verändert haben.
Das war 2024: «Mit Bundesratsgeschäften ist Spontaneität schwieriger»
«Ich bin keine Aufpasserin»: Franziska Ingold ist Albert Röstis Kommchefin und «Mediensprecherin des Jahres». (Bild: zVg)

Franziska Ingold, Sie sind im Oktober von Medienschaffenden zur «Mediensprecherin des Jahres» gewählt worden. Was ist Ihr Rezept, um die beste Kommunikation zu bieten?
Ich probiere, einen unkomplizierten Zugang zu sichern. Der direkte Draht ist wichtig. Nicht nur für Journalisten, sondern auch für uns. Dass wir nicht alles per E-Mail machen, sondern auch telefonisch oder uns mal treffen. Wenn wir in der Wandelhalle sind, dass Journalisten meinen Chef nach wie vor direkt etwas fragen dürfen. Und ich versuche, die Antwort «wir geben keine Auskunft» zu vermeiden. Wir erklären, warum es jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt ist. Ich habe auch ein gutes Team im Rücken. Allein könnte ich das nie machen. 

Wo liegt die Stärke Ihres Teams?
Wir sind ein diverses Team mit unterschiedlichen Hintergründen und unterschiedlichen Meinungen. Das hilft, alle Aspekte zu beachten. Das ist mir wahnsinnig wichtig. Bei uns ist derzeit die Stelle der Mediensprecherin für die Westschweiz offen. Die Westschweiz ist eine andere Umgebung, so wie Zürich es auch ist. Deshalb brauchen wir jemanden aus dieser Region. Man kann nicht sagen: Das können wir übersetzen oder dieser Kollege spricht gut Französisch. Ich brauche diese Vielfalt auch, um die Bevölkerung zu spüren.

«Da kommt mir mein schnelles Handeln in den Weg.»

Ihr Chef Albert Rösti ist der beliebteste Bundesrat der Schweizer. Wie stark ist die Kommunikation an diesem Erfolg beteiligt?
Das kann man nicht für sich selbst in Anspruch nehmen. Ich denke nebst der Persönlichkeit des Bundesrats ist das Teamwork zwischen ihm und dem Kommunikationsteam entscheidend. Ich bin keine Aufpasserin. Wir lassen ihn nahbar sein, wir schotten ihn nicht ab, sondern wirken unterstützend. Wir haben im Büro eine Schweizerkarte und schauen, wo was stattfindet und wen es wo braucht. Wir haben zum Beispiel das Ziel, dass wir mit dem Chef alle Redaktionen besuchen.

In einem Interview sagten Sie, Sie müssten sich «besser an gewisse Verwaltungsabläufe gewöhnen». Was gibt Ihnen zu schaffen?
Wenn es um Bundesratsgeschäfte geht, ist Spontaneität schwieriger. Ich mag schnelle Entscheidungen, ich mag den direkten Zugang. Ich mag nicht in E-Mails fünf Leute im CC haben. Manchmal denke ich, das ist ein wichtiges Thema, da müssen wir was machen. Und dann realisiere ich: Man muss noch einen Referenten hinzuziehen, man muss noch ein Bundesamt hinzuziehen.

Haben Sie deswegen schon Ärger bekommen?
Ja, ja. Wenn ich vergessen habe, eine Aussage vor der Publikation der Bundeskanzlei vorzulegen, bei der eigentlich die Bundeskanzlei im Lead ist. Da kommt mir mein schnelles Handeln in den Weg.

Könnte man diesen ganzen Kommunikationsapparat vereinfachen oder reduzieren?
Reduzieren ist schwierig, weil jedes Departement anders organisiert ist. Es geht eher um Klarheit. Die Bundeskanzlei hat ihren Aufgabenbereich. Ich finde es gut, wenn die Bundeskanzlei den direkten Kontakt mit den Kommunikationschefs sucht. Und diese wiederum auf die richtigen Personen in ihren Teams zugehen. Manchmal sind alle auf dem Verteiler und es ist nicht klar, wer zuständig ist. Das ist meine Kritik und ich habe sie adressiert. Und ich habe den Eindruck, dass sie gehört wurde. Das ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung.

«Es gibt eine Zurückhaltung im Kontakt mit Journalistinnen und Journalisten.»

Journalisten wird der direkte Kontakt zu den Experten oft verweigert. Behindert dieser Kommunikationsapparat eine effektive Kommunikation?
Manchmal schon. Ich habe letztes Jahr eins auf die Finger gekriegt, weil ich einer Journalistin gesagt habe, wer für ein Hintergrundgespräch der Fachexperte ist. Ich denke die Kommunikation ist ein Dienstleister. Die Kommunikation muss unterstützen. Der Fachexperte seinerseits ist tief im Dossier drin. Es ist unsere Aufgabe, das richtig zu dirigieren.

Sie sagten auch: «Auch neue Wege können zielführend sein». Welche Wege gehen Sie?
Ich suche zum Beispiel einen verstärkten Austausch mit den Kommunikationschefs. Das ist vertrauensbildend und hilft, sich als ein Team zu verstehen. Bei einem Leak ist automatisch jedes Departement verdächtig. Das ist für alle mühsam.

Hat sich seit den Corona-Leaks viel verändert?
Die Kommunikationsleute sind viel vorsichtiger. Es gibt eine Zurückhaltung im Kontakt mit Journalistinnen und Journalisten. Und wir haben seit nicht allzu langer Zeit eine Registrierung bei verschlüsselten beziehungsweise vertraulichen Geschäften. Wenn ich sie anklicke, hinterlasse ich eine Spur im System. Und das ist auch gut so, weil es Leaks gibt – die finde ich absolut unnötig.

«Das kritische Hinterfragen findet oft nur bei emotionalen Themen statt.»

Und im Fall der Corona-Leaks?
Ich persönlich war damals in einer anderen Situation. Ich war für die Kommunikation eines Spitals zuständig. Wir mussten so viel gleichzeitig vorbereiten: Maskenpflicht ja, Maskenpflicht nein, dann der Kanton ... Ich war froh um jede Information, die ich ein bisschen früher hatte.

Im vergangenen Jahr wurden in vielen Redaktionen Stellen abgebaut. Es gibt weniger Journalisten, und diejenigen die noch da sind, haben weniger Zeit für Recherchen. Spüren Sie das in der Kommunikationsstelle vom Uvek?
Ich merke es, weil Aussagen, die publiziert werden, teilweise von den anderen Medien abgeschrieben werden. Früher hat man nachgefragt: Stimmt das eigentlich? Und bei Recherchen kommen statt drei gezielter Fragen, zehn Fragen, um alles abzudecken. Man merkt auch, dass die Zeit fehlt, um nachzuschauen, was im Parlament gesagt wird. Und was auch durch Corona verschuldet ist: Das Gespräch nach einer Medienkonferenz ist verloren gegangen. Die Bundesräte sind froh, wenn sie gleich nach der Konferenz wieder gehen können, und viele Journalisten sind nicht mehr im Medienzentrum, weil sie streamen können.

Mit weniger Journalisten wird die Arbeit der Behörden auch weniger kritisch hinterfragt. Eigentlich ein Segen für Kommunikationsfachleute, nicht wahr?
Das kritische Hinterfragen findet oft nur bei emotionalen Themen statt, nicht bei komplexen. Der Wolf ist ein einfaches Thema: erschiessen, nicht erschiessen? Die Strasse ist ein einfaches Thema: bauen, nicht bauen? Dort ist man schon kritisch.

Setzen dann Journalisten vermehrt auf diese einfachen Themen und vernachlässigen aus Zeitmangel die komplexeren?
Das ist jetzt ein bisschen pauschal zusammengefasst. Ich kann es nicht so sagen, das müsste man anschauen. Aber ich habe schon manchmal das Gefühl, dass die eigentlich spannenden Themen, die wir beim Uvek haben, in den Medien zu kurz kommen. Diese sind zukunftsträchtiger aber einfach zeitlich viel weiter weg. Wir bauen nicht heute für morgen. Wir planen heute für 2040, das braucht einen etwas weiteren Horizont.

«Da sind wir in der Verwaltung einfach immer ein bisschen langsamer.»

Probieren Sie beim Uvek auch über andere Kanäle die Bürgerinnen und Bürger direkt zu informieren?
Ich würde das vermehrt tun, wenn ich nicht im Uvek wäre. Aber wir haben so viele Themen. Selbstverständlich informieren wir auch auf den Social-Media-Kanälen und auf dem Web. Wir haben Web-Dossiers zum Beispiel. Ich hoffe, Bürgerinnen und Bürger gehen davon aus, dass stimmt, was auf der Uvek-Seite steht. Aber das ist unsere Sicht. Die Journalisten haben die Aufgabe auch das zu hinterfragen.

Das wäre aber in Ihrem Interesse, wenn Ihre Botschaft genau beim Bürger ankommt, wie Sie es wollen, nicht wahr?
Es ist in unserem Interesse, dass wir korrekt informieren. Aber es gehört zur Demokratie, dass auch kritisch hinterfragt wird. Ich denke, wenn Sie als Journalistin kritisch in Bezug auf ein Thema sind und sich überzeugen lassen von uns, dann haben beide mehr gewonnen, als wenn man gar nicht erst fragt. Sie haben den Job als Journalistin gut gemacht, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger informieren und mit den kritischen Aspekten auseinandersetzen können. Ich kann das Material zur Verfügung stellen und eben die Kommunikation vorbereiten. Dieser Dreiklang, das wäre das Optimale.

Das Optimale ist also nicht, dass Sie zum Beispiel über einen Uvek-TikTok-Kanal kommunizieren?
Das muss man sich vielleicht für die Zukunft schon überlegen, denn 50 Prozent der Leute informieren sich gar nicht mehr auf den gewohnten Kanälen. Oder gar nicht mehr. Auch die Abstimmung zum Autobahnausbau hat gezeigt, dass sich viele Frauen über die sozialen Medien informiert haben. Da sind wir in der Verwaltung einfach immer ein bisschen langsamer.

Würden Sie jetzt die Kommunikation im Abstimmungskampf anders gestalten?
Ich weiss nicht, ob wir etwas anderes hätten machen können. Der Departementschef hat sich nach Kräften eingesetzt, aber der Bundesrat darf keine Kampagne machen. Diesen Vorwurf haben wir aber auch gehört.

«Ich verkaufe nicht meine Werte.»

Wenn Bundesrat Rösti Interviews gibt, um für ein Ja zu werben, ist es eigentlich schon eine Kampagne, nicht wahr?
Es ist eine Informationskampagne des Bundesrats, aber wir geben kein Geld aus für Kampagnen, wir machen keine Kampagne mit Plakaten. Ich finde, mehr hätten wir in diesem Fall fast nicht tun können. Wir waren im Tagi präsent, im Blick, wir waren in der Weltwoche, wir waren im ganzen Spektrum präsent.

Und eben mehr auf die sozialen Medien den Fokus legen?
Das ist nicht ganz einfach, weil man sich extrem kurzfassen muss. Der Bundesrat hat den Auftrag im Abstimmungsbüchlein auch die Argumente des Gegenkomitees aufzuführen. Wenn wir die Medienkonferenz zur Abstimmung haben, weisen wir darauf hin, wo die Informationen der Gegenkampagne zu finden sind.

Sie waren früher Journalistin bei SRF und haben die Seite gewechselt. Viele Journalisten, sagen, sie könnten sich diesen Schritt nur überlegen, wenn sie voll und ganz hinter der Institution stehen, die sie vertreten. Sie waren früher bei der SP und arbeiten bekanntlich für einen SVP-Bundesrat. Fällt Ihnen das schwer?
Normalerweise nicht, aber es gab auch schon herausfordernde Themen. Aber ich mache keine Politik und ich lüge nicht. Ich verkaufe nicht meine Werte.

«Mich reizt das Politische, das Strategische.»

Aber durch Ihre Kommunikation bringen Sie Themen durch, wofür Sie vielleicht nicht unbedingt stehen.
Mein Auftrag ist, eine gute Kommunikation zu machen. Mein Auftrag ist, zu sagen, wo Stolpersteine sein könnten. Mein Auftrag ist, mitzuhelfen, dass Bürgerinnen und Bürger informiert sind. Mich reizt das Politische, das Strategische. Wie kommt man am Schluss zu einem guten Konsens? Und deshalb mache ich das auch sehr gerne, wenn ich einzelne Inhalte persönlich anders beurteile.

Und zuletzt noch eine Frage zum Thema der Stunde: KI verbreitet sich rasant. Haben Sie Tools, die Sie in Ihrem Kommunikationsalltag brauchen?
Ich hole mir Inspiration über KI. Zum Beispiel wie ich den Titel einer Medienmitteilung allenfalls kürzer oder knackiger formulieren könnte. Sehr interessant finde ich Perplexity, weil man immer eine Quellenangabe hat. Da könnte ich zum Beispiel fragen: «Hat Bundesrat Rösti schon einmal in einem Interview etwas zur KI gesagt?» Perplexity gibt mir die Quellen. Aber es muss ja immer ein Mensch dahinterstehen, der eine Ahnung hat. Ich finde die Entwicklung interessant. Unsere diesjährige Weihnachtskarte ist mit KI gemacht – und auch so deklariert. Für mich ist es wichtig, dass man weiss, welches die Quelle ist.

In der Serie «Das war 2024» greifen wir die grossen Themen des Jahres in kompakter Form nochmals auf. Hier finden Sie die Übersicht


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