TV-Kritik

Hat #MeToo etwas verändert?

Vor einem Jahr wurde der Weinstein-Skandal bekannt. Vorwurf an den Hollywood-Produzenten: Sexuelle Nötigung bis hin zur Vergewaltigung. Der Prozess beginnt im November. Mit einem Hashtag berichten seit 2017 Millionen von Frauen von Sexismus und sexueller und Gewalt. Die meisten Opfer hatten jahrelang geschwiegen. Aus Angst. Aus Scham. Was hat die weltweite MeToo-Debatte ausgelöst? Und hat sie etwas verändert? Darum ging es im «Club». Gebracht hat die von Barbara Lüthi moderierte Diskussion wenig. Aber sie war differenziert. Keinerlei Hysterie. Und das ist doch was.

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Nicht überraschend: Die Runde war sich ausnahmslos einig, dass die Diskussion bedeutsam ist. Publizistin Esther Girsberger: «Die MeToo-Debatte ist wichtig, hat aber viele Trittbrettfahrerinnen zur Folge.» Dem stimmte die in dieser Frage besonders engagierte «Tages Anzeiger»-Autorin Michèle Binswanger zu: «MeToo hat auch problematische Seiten.»

Über den Nutzen sagte Binswanger später: «Die Gesellschaft ist nicht mehr gewillt, Übergriffe hinzunehmen. Man kümmert sich darum. Ein gutes Zeichen.» Schauspielerin Melanie Winiger findet es wichtig, dass Frauen dank der Auseinandersetzung selbstbewusster wurden und den Mut fanden, zu berichten, was ihnen passiert ist.

Der Psychoanalytiker Jürg Acklin war vor einem Jahr kritischer gegenüber #MeToo. Jetzt sagte er im «Club»: «Es gibt fürchterliche Männer. Das hatte ich unterschätzt.» Positiv stimmt ihn hingegen: «Wir haben eine Dialogbereitschaft entwickelt. Wenn wir auf gleicher Ebene das Gespräch finden, auch ein erotisches Gespräch, dann ist das ein grosser Gewinn.»

Zu einem kurzen Disput kam es wegen einem Artikel über den Ringier-Journalisten Werner De Schepper. In einer ganzseitigen Tagi-Story hatte Michèle Binswanger geschrieben, dieser habe Mitarbeiterinnen sexuell belästigt (persoenlich.com berichtete). Binswanger wunderte sich, dass ihre Geschichte von anderen Medien nicht aufgenommen worden war und vermutet, dass De Schepper geschützt wurde.

Daran glaubt Esther Girsberger nicht: «Ich hatte Mühe mit dieser Geschichte. Wenn es zu Exzessen gekommen wäre, würde er sich nicht immer noch in einer Chefposition befinden. Auch glaube ich nicht, dass er von Michael Ringier oder anderen Verlegern gedeckt wurde.»

Single-Coach Janos Horvat meinte zum Schluss, dass die Männer durch #MeToo verunsichert worden sind, «vor allem die Feinfühligen». Doch die Männer sind nicht plötzlich anders. Aber manche von ihnen haben durch den globalen Aufschrei wohl erfahren, dass ihr Verhalten gegenüber Frauen inakzeptabel war – oder immer noch ist. Was im «Club» nicht diskutiert wurde: Auch gegen Männer gibt es bekanntermassen sexuelle Übergriffe. Und auch da muss vieles anders werden, wenn es besser werden soll.


René Hildbrand
René Hildbrand ist Journalist, langjähriger Fernsehkritiker und Buchautor. Während 27 Jahren war er für «Blick» tätig, danach Chefredaktor von «TV-Star».

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Kommentare

  • Ravena Frommelt, 24.10.2018 20:28 Uhr
    Aber Vergewaltigung ist Vergewaltigung und sollte nicht vorkommen, ob Mund dabei zugehalten wurde oder nicht ist nebensächlich. Einverstanden? Ereignisse mögen verzerrt erinnert werden, aber die Tatsache, dass - auch eine verzerrte - Erinnerung noch Jahrzehnte später belastet, macht das Ereignis nicht auf einmal okay. Guter Sex zeichnet sich doch auch darin aus, dass er das Leben nicht beeinträchtigt...
  • Kurt Oertli, 24.10.2018 18:17 Uhr
    "Die meisten Opfer hatte jahrelang geschwiegen". Oder sogar Jahrzehnte. Unter Hirnforschern aller Gattungen gilt als sicher, dass sich Erinnerungen verändern. Jedesmal wenn die Erinnerung auftaucht, gehen Einzelheiten verloren und neue, fehlerhafte, im Hirn entstandene, kommen hinzu. So kann über Jahre ein Zerrbild der ursprünglichen Wahrnehmung entstehen. Dass darüber nichts gesagt wurde, war ein Mangel.
  • Fibo Deutsch, 24.10.2018 16:26 Uhr
    Da reden sie in der Sendung «club» von SRF über #MeToo , ob man auch vergessen und verzeihen könnte. Und stellen einen Berufskollegen, der sich in der Tat daneben benommen hat - aber nicht kriminell wurde - noch einmal mit allen Details ins Fernsehen, an den grössten Pranger nach den social medias : rote Karte!
  • Ravena Frommelt, 24.10.2018 10:47 Uhr
    So viele Aussagen in so kurzer Zeit. Nachschauen empfohlen. #MelanieWinigerForBundesrötin am 15.11. geh ich ins Kino
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