TV-Kritik

Wenn Polizeisprecher langweilen

Tötungsdelikte, Überfälle, Grossbrände, schwere Unfälle oder Schlägereien sind Alltag für die Polizei. Die Pressesprecher sind in diesen Fällen die Stimmen und Gesichter der Gesetzeshüter. Fast täglich sieht und hört man sie im Fernsehen. Manche von ihnen sind ihren Kantonen bekannte Figuren geworden – dank den Regionalsendern. Mitunter hat man den Eindruck, dass sie schon wegen einem umgefallenen Töffli vor die Kamera eines VJ's gezerrt werden. Bei grossen Ereignissen kommen sie auch mal zu einem Auftritt in «Schweiz aktuell» oder «Tagesschau».

Die Polizeisprecher sagen immer etwas – und doch nichts: «Die Ermittlungen gehen in alle Richtungen.» Oder: «Die Fahndung läuft auf Hochtouren.» Und: «Das ist Gegenstand der laufenden Untersuchung.» Ferner: «Es gingen erste Hinweise ein, wir sind am Abklären. Aus ermittlungstaktischen Gründen können wir nichts dazu sagen.» Viele (oft nervöse) Sprecher der Polizeien geben vor Mikrofon und Kamera einfach die auswendig gelernte Mitteilung wieder, die sie oder ihre Kollegen zuvor zuhanden der Medien verfasst und verschickt haben. Häufig könnte ebenso gut ein sprechender (uniformierter und krawattierter) Roboter die Communiqués ableiern. Wenn die Polizei ausnahmsweise mal Dienstchefs vor die Kameras schickt, erfahren die Zuschauer übrigens oft etwas mehr. Häufig trifft das auch für Medienleute von Staatsanwaltschaften zu.

Gewiss, auch Polizeisprecher haben es im Berufsalltag nicht leicht. Beispiel: Der Einfluss der Online-Medien hat massiv zugenommen. Wenn etwas passiert, verschicken Vorübergehende in kürzester Zeit Infos und Bilder mit dem Smartphone. In manchen Fällen schon, bevor die Polizei informiert ist. Von dieser werden dann rasch Informationen verlangt. Diese müssen neutral, wertefrei und vor allem verlässlich sein.

Aber etwas unkomplizierter, transparenter, flüssiger und charmanter dürfte es schon sein. Das geht. Der beste Beweis dafür ist Marco Cortesi, der Primus. Der Bündner ist Medienchef der Zürcher Stadtpolizei und der bekannteste Polizeisprecher der Schweiz. In der Limmatstadt kennt ihn jedes Kind. Auch der volksnahe Cortesi verrät nicht zu viel, beeinträchtigt oder gefährdet die Arbeit seiner Kolleginnen und Kollegen nie. Aber seine Sprache ist für jedermann klar verständlich. Er kommt immer ruhig und sympathisch rüber. Und häufig spürt der Zuhörer unterschwellig, wie er über eine schlimme Sache denkt.

Cortesi

Gut gefallen hat mir diesen Sommer auch der Ostschweizer Polizeisprecher Daniel Meili. Die Geschichte: Am 31. Juli wurde bei der Kantonspolizei Thurgau ein Ehering abgegeben – mit der Gravur «31. Juli 2017». Daraufhin schrieb Meili romantisch auf Facebook: «Wer schon etwas länger verheiratet ist, weiss: Der erste Hochzeitstag, das ist etwas ganz Besonderes! Darum wäre es toll, wir könnten den Ehering schon heute vermitteln.» Der Ring fand rechtzeitig zu seiner Besitzerin. Und Daniel bekam von der «Schweizer lllustrierten» für seine sympathische Aktion eine Rose. Verdient.


René Hildbrand
René Hildbrand ist Journalist, langjähriger Fernsehkritiker und Buchautor. Während 27 Jahren war er für «Blick» tätig, danach Chefredaktor von «TV-Star».

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