16.03.2023

Gislerprotokoll

Das Klischee dominiert noch immer

Die Stereotypen-Analyse geht in die zweite Runde. Analysiert wurden 319 in der Schweiz ausgestrahlte Spots. Es zeigt sich: Männer werden häufiger stereotyp dargestellt als Frauen. Doch im Vergleich zur ersten Analyse gibt es mehr Diversität in den Rollenbildern.
Gislerprotokoll: Das Klischee dominiert noch immer
Das Gislerprotokoll führt eine jährliche Stereotypen-Analyse durch. (Bilder: zVg)

Die agenturübergreifende Initiative Gislerprotokoll setzt sich für die facettenreiche Darstellung der Geschlechter in Marketing, Kommunikation und Werbung ein. Der Verein führt eine jährliche Stereotypen-Analyse durch. Darin werden die im entsprechenden Jahr in den Fachmedien publizierten Bewegtbildwerbungen (TVC und Digital) analysiert, in denen mindestens eine Person vorkam.

Der Fokus der Analyse liegt laut einer Mitteilung auf der Präsenz und Darstellung von weiblich und männlich gelesenen Personen. Als Raster dienen die vom Gislerprotokoll identifizierten zehn Stereotype, die am häufigsten in der Werbung verwendet werden. Die Stereotypen sind aufgeteilt in sechs männliche und vier weibliche Stereotype. Die Stereotypen werden im beiliegenden Dokument detaillierter beschrieben.

Die wichtigsten quantitativen Ergebnisse

Analysiert wurden 319 in der Schweiz publizierte Bewegtbildwerbungen aus dem Jahr 2022. Die Datengrundlage bildeten alle Werbungen, die 2022 via Branchenmedien kommuniziert wurden. In 245 Werbungen kommen weibliche gelesene Personen vor, 81 Mal sprechen diese Personen auch. In 266 Werbungen kommen männlich gelesene Personen vor, 103 Mal sprechen diese Personen auch.

In den 319 Werbungen kommen 114 männliche Stereotype und 44 weibliche Stereotype vor. Es zeigt sich: Männlich gelesene Personen werden häufiger stereotyp dargestellt als weiblich gelesene Personen. In 150 Werbungen wurden keine stereotypen Darstellungen verwendet.

In 168 Werbungen kam mindestens ein Stereotyp vor, in 54 davon mehr als ein Stereotyp.

Der mit Abstand beliebteste männliche Stereotyp (46 Mal): «That One Funny Guy» – der lustige Mann:


Mit einigem Abstand folgt auf Platz zwei der Stereotyp «Ein wahrer Held» (24 Mal):


Ausserdem gibt es folgende männliche Stereotypen:

3 Dudes haben Spass
«Drei Männer, die was erleben. Freunde fürs Leben, Bros oder einfach nur zufällig ausgewählte Männer. In der Schweiz sehr beliebt wegen unseren 3 (4) Landessprachen.»

Ein wahrer Held
«Wie Odysseus kämpft sich unser Held durch alle Widrigkeiten, reüssiert aber natürlich am Ende heldenhaft. Gern ist der wahre Held auch ein bekannter Sportler. Wir sind beeindruckt. Was für ein Mann.»

Der Meister bei der Arbeit
«Der Meister – gerne ü50 – verfügt über grosse Expertise. In Sachen Schokolade, verkalkte Spülen oder Käse. Nur er weiss, wie es richtig geht. Dazu muss er nicht mal viel sagen, alleine seine meisterliche Aura flösst uns grössten Respekt ein.»

Mr. Mansplainer
«Wie der ‹Meister bei der Arbeit› hat auch unser Mr. Mansplainer grosse Expertise in seinem angestammten Fachgebiet. Und ist meistens über 50. Anders als der stumme Meister, erklärt uns Mr. Mansplainer sehr gerne die Welt.»

A Man‘s gotta do what a man’s gotta do
«Eine Sammelkategorie, für alles, was Männer halt so tun. Und eben auch nur sie. Sie steuern gekonnt Autos, grillieren in Perfektion und schwitzen dabei männlich.»

Beliebtester weiblicher Stereotyp ist «Die Kümmerin» (18):


Auf Platz zwei folgt «Die stille Geniesserin» (13):


Ausserdem gibt es folgende weibliche Stereotypen:

Die Räklerin
«Zum Glück eine schon fast ausgestorbene Kategorie. Ausser in Parfüm- und Kosmetikwerbungen. Da erfreut sich die Räklerin nach wie vor grosser Beliebtheit. Immer mit halboffenen Mund, das Stöhnen auf den Lippen, räkelt sie sich lasziv um Parfümflakons, Mascaras oder Antifaltencremes.»

The Cool Girl
«Das Cool Girl ist nicht wie jede andere typische Frau. Das Cool Girl isst gerne Burger, spielt Fussball, flucht und ist auch sonst einfach eher so cool wie ein Mann und nicht so bieder wie eine Frau. Gerne ist das Cool Girl auch äusserlich etwas ‹edgier› und trägt damit ihren verrückten Charakter nach Aussen zur Schau.»

In 21 der analysierten Werbungen kümmert sich eine männlich gelesene Person explizit um Kinder, den Haushalt oder die Mitmenschen. In 41 Werbungen wurden weiblich gelesene Personen als Expertinnen dargestellt, in zwölf Werbungen besetzten weiblich gelesene Personen lustige Rolle, wie es weiter heisst.

70 Werbungen bestanden den durch das Gislerprotokoll eingeführten «Topfpflanzentest». Besteht eine Werbung diesen Test, bedeutet das, dass eine weiblich gelesene Person oder eine Minderheit in einer rein dekorativen Rolle dargestellt wird.

Stereotype Darstellungen scheinen sich aufzulösen

Die Stereotypen-Analyse wurde dieses Jahr zum zweiten Mal durchgeführt. Die erhöhte Anzahl analysierter Werbungen (319 vs. 149 in 2021) ergibt sich daraus, dass nun jedes Bewegtbild-Asset pro Kampagne einzeln ausgewertet wurde.

Die folgende Einordnung arbeitet aus diesem Grund zum Teil mit prozentualen Angaben: Die Ratio zwischen stereotypen und nicht-stereotypen Darstellung hat sich im Vergleich zu 2021 nicht verändert. Während 2021 51 Prozent der analysierten Werbungen Stereotypen enthielten, waren es 2022 52 Prozent. Auch der Umstand, dass männlich gelesene Personen häufiger stereotyp dargestellt werden als weiblich gelesene Personen, hat sich nicht verändert (2021: 95 vs. 53; 2022: 114 vs. 44).

Der beliebteste männliche Stereotyp ist auch 2022 der «That One Funny Guy». Der beliebteste weibliche Stereotyp ist 2022 nicht mehr das «Cool Girl», sondern «Die Kümmerin».

Positiv zu werten ist, so heisst es in der Mitteilung weiter, dass sowohl männlich als auch weiblich gelesene Personen häufiger in Rollen dargestellt werden, die ansonsten dem anderen Geschlecht vorbehalten sind: Männlich gelesene Personen, die sich kümmern, weiblich gelesene Personen, die als lustig, als Heldinnen oder als Expertinnen dargestellt werden. Stereotype Darstellungen der Geschlechter scheinen sich also langsam aufzulösen, was mehr Diversität in den Rollenbildern zulässt.

Das Gislerprotokoll ist eine agenturübergreifende Initiative, die sich laut eigenen Angaben «für die facettenreiche Repräsentation der Geschlechter in Kommunikation und Marketing und insbesondere in der Werbung einsetzt». 2021 gegründet, vereint das Gislerprotokoll mittlerweile über 126 Vereinsmitglieder (Stand März 2023). Das Gislerprotokoll ist Doris Gisler Truog gewidmet, einer Werberin, die ab 1969 mit ihrer Kampagne bedeutend zur Einführung des Schweizer Frauenstimmrechts beigetragen hat. (pd/cbe)



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