Herr Eugster, wie fest beeinträchtigt die ganze Krise Ihren Alltag?
In diesen Tagen lese ich in den meisten Interviews an dieser Stelle: «Sowas habe ich in der Form noch nie erlebt …» Hört damit auf! Wir alle nicht. Ja, alles ist anders, aber auch spannend. Als Familienbetrieb trifft sich bei uns während der Woche eh die halbe Belegschaft am Frühstückstisch. Wobei wir jetzt nach fünf Wochen @stayhome vermehrt darauf achten, dass wir wenigstens in aller Herrgottsfrüh etwas aneinander vorbei kommen (lacht). Bei mir selber hat sich nicht so viel geändert, habe ich bereits vor Covid-19 viel Zeit im Homeoffice oder bei Kunden verbracht.
Sie haben eine Werbeagentur in Altenrhein. Wie fest tangiert jetzt die ganze Situation das ganze Geschäft?
Ja, wie soll ich das sagen? Es hat uns der «Schweiz» näher gebracht? Unsere Kunden und Partner interessieren sich kaum für unseren Standort, da wir dieselben schnellen Leitungen für Teams, Zoom, Hangout und Co hier am Bodensee haben wie unseren Kollegen in Zürich. Ganz klar sind wir hier aber im Vorteil was «Physical Distancing» anbelangt. Unsere Agentur am Flughafen bietet für zehn Mitarbeitende eine Grundfläche von 700 Quadratmetern. Zudem unterscheidet sich das Leben hier auf dem Land etwas von dem in den grossen Städten. Wurde doch ein Landwirt aus dem Nachbardorf von einer Lokaljournalistin zu Social Distancing befragt, meinte er, dass er nichts merke, er treffe auch sonst höchstens ein bis zwei Menschen im Tag und winke denen aus der Ferne zu. Vielleicht sollten wir daraus grad eine Kampagne machen und den Ort als das Sommerurlaubsziel «wo garantiert nix läuft» bewerben?
Wie gross sind die Rückgänge?
So genau kann ich das noch nicht beziffern, da wir – vor allem im Bereich Data inspired/based Marketing – sehr viele langfristige Kunden und strategische Projekte betreuen dürfen. Einiges wurde situationsbedingt jedoch schon gecancelt oder auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Onboarding gewonnener Mandate zieht sich etwas in die Länge, und die Neukundenrate hält sich im Moment in äusserst bescheidenem Rahmen. Lassen Sie mich im Herbst eine erste, aussagekräftige Bilanz ziehen.
Wie schätzen Sie die Situation für dieses Jahr ein? Wird es nochmals zu einer Erholung kommen?
Obs für dieses Jahr noch reicht, weiss ich nicht. Da müssen wohl den Kollegen Shiva fragen (was macht der eigentlich?). Ich gehe davon aus, dass es ziemlich zeitnah erst mal zu einer Bereinigung und erneuten Schlankheitskur in unserer Branche führt. Auf der Auftraggeberseite glaube ich nach wie an die volkswirtschaftlichen Mechanismen: Wir werden in ganz vielen Märkten massiven Angebotsüberhang haben. Daher wird es immens wichtig die klaren Wettbewerbsvorteile der Unternehmen und Marken herauszuschälen sowie wirkungsvoll und handlungsauslösend zu kommunizieren. Und da das Geld nicht mehr so locker sitzen wird, das heisst, «jeder Schuss ein Treffer» sein sollte, lohnt es sich einen Spezialisten für aktivierende Werbung einzuspannen. Man lässt ja auch nicht den Kieferorthopäden am offenen Herz rumoperieren.
Haben Sie ihre Agentur aufgrund der ganzen Situation neu strukturiert?
Jein. Gedanken zur Infrastruktur (Mietkosten) und zum Personalbestand und Funktionen haben wir uns sicher gemacht, aber es wäre an dieser Stelle der falsche Zeitpunkt und der falsche Ort für konkrete Aussagen.
Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Tage?
Da gibts zwei: Einerseits, dass sich Max (24), Katie (22) und Alex (18) – trotz geschwisterlich ungewohnter Nähe während 24/7 – dazu entschieden haben, weiter mit mir, meiner Frau und den beiden Beardies Sir Henry und Sir Charlie unter einem Dach leben zu wollen. Andererseits, dass wir, wenn wir auf den Bodensee (internationales Gewässer) herunterschauen, auf der Schweizer Seite friedlich Boote von Fischern und Freizeitkapitänen rumtuckern sehen, wohingegen auf der deutschen und der österreichischen Seite niemand auf den See darf. Einmal mehr bin ich superglücklich, in der Schweiz zu leben.
Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.