18.08.2019

Contexta

Kreativ neben Planschbecken und Springturm

Seit Anfang August ist die Werbeagentur Contexta im Zürcher Freibad Letzigraben stationiert – für zwei Monate, danach ziehen die 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter. Wie arbeitet es sich als kreative Nomaden nahe bei Wasser und Badigästen? Ein Augenschein.
Contexta: Kreativ neben Planschbecken und Springturm
Konzentriert bei der Arbeit in der Badi Letzigraben: Mitarbeiter der Kreativagentur Contexta. (Bild: zVg.)
von Michèle Widmer

23 Grad warm ist das Wasser, die Lufttemperatur liegt einige Grad darunter. Es ist ruhig an diesem Donnerstagmorgen in der Zürcher Badi Letzigraben – keine Badetücher liegen auf der Wiese, bloss eine Handvoll Schwimmer ziehen ihre Längen. Hier im Ausstellungsraum vom Max-Frisch-Archiv hat sich die Berner Werbeagentur Contexta für zwei Monate eingemietet. Vor knapp drei Wochen haben die 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier ihre extra angefertigten mobilen Arbeitsplätze aus Holz aufgebaut. 

«Der Auf- oder Abbau sollte nicht mehr als vier Stunden dauern», sagt Agenturinhaberin Nadine Borter beim gemeinsamen Gang durch die beiden Räume und fügt schmunzelnd an: «Wir werden damit wohl immer schneller werden.» Die Möbel wurden vom Atelier Oï auf Europapaletten-Format kreiert. Pult, Abtrennwand und ein kleiner Beistelltisch können zu einer Kiste zusammengesteckt werden. Mit roten Spannriemen wird alles befestigt. «Wir haben uns einen Handhubwagen angeschafft», sagt Borter und zeigt auf den Palettrolli gleich beim Eingang.

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Das ist eine von wenigen Anschaffungen, welche die Agentur in den letzten Monaten gemacht hat, ansonsten hat sie eher «Ballast abgeworfen», wie die Inhaberin sagt. Das bisherige Büro, in welchem die Agentur über zwanzig Jahre stationiert war, wurde aufgegeben. Die neue Anschriftsadresse ist an der Eigerstrasse 60 in Bern. Hier arbeitet ein kleines Team, welches hauptsächlich die Finanzen macht, der Rest pendelt nach Zürich – oder wohnt schon in der Region. Eigentlich seien die Räume im Freibad Letzigraben eher für Tagesvermietungen gedacht, erzählt Borter. Doch auf ihre Anfrage hin habe man sich offen gezeigt für eine längere Mietdauer.

«Chaos» hilft bei Kreation

Kreativchef Marius Lohmann gehört zu denjenigen, die nun von Bern nach Zürich pendeln müssen. «Halb so schlimm», sagt der Deutsche und vergleicht den Schweizer ÖV mit demjenigen seines Heimatlandes. Nach den Ferien werde es dann wohl schon wieder etwas enger im Zug, fügt er an. Generell findet Lohmann den Entscheid fürs kreative Nomadentum gut. «Die Welt und auch die Werbebranche wandeln sich so rasant. Davon bekommt man gar nichts mit, wenn man immer in den gleichen Räumen hockt», sagt er. Es täte gut, rauszukommen und einen anderen Tagesablauf zu haben. Doch was hilft ihm in der Badi besonders, kreativ zu sein? «Das Chaos», sagt er. Es sei inspirierend, den Laptop mal mit ins Badi-Restaurant zu nehmen und den Leuten in den Badehosen beim Fischknusperli essen zuzuschauen. 

Genau das sind die Vorteile, die Agentur-CEO Thomas Fresard zum Schwärmen bringen. «Wir sind vielleicht zum Teil geografisch etwas weiter weg vom Kunden, dafür aber näher beim Endkunden», sagt er. Erst kürzlich seien die Verantwortlichen vom Bundesamt für Gesundheit wegen der Organspendekampagne zu Gast gewesen, erzählt er. Beim Anblick, wo und wie Contexta hier arbeitet, sei dem Kunden sofort klar geworden, was für ein Vorteil die Nähe zu den Menschen sei. 

Team näher zusammengerückt

Menschen hat es zwar an diesem eher bewölkten Vormittag wenige im Freibad Letzigraben. Bei schönem Wetter ist das natürlich ganz anders. Bereits am Vormittag sind die Wiesen voll belegt, Jung und Alt spazieren an der Glasfassade von Contexta vorbei zu den Umkleidekabinen – und Kinder laufen vorfreudig schreiend zum Planschbecken. «Wir bekommen den Badialltag und das Wetter generell stark mit», sagt Borter und fügt an: «Wir haben uns einen Wäscheständer zugetan, um unsere Badehosen aufzuhängen.» 

Auch wenn heute aufgrund der kühlen Temperaturen eher Wolldecken statt Badehosen angesagt sind – die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind voll des Lobes über die Badi als Arbeitsplatz. «Wir haben am Nachmittag auch schon eine kurze kreative Pause eingelegt, um uns abzukühlen», sagt Berater Sandro Grossrieder. Er findet, dass das ganze Team durch den neuen Arbeitsort «zugänglicher» geworden ist. Das Projekt der Wanderjahre habe sie alle etwas zusammengeschweisst. Eine Herausforderung sei teils noch die Umstellung auf papierloses Arbeiten. Um möglichst wenig zügeln zu müssen, reduzieren die Mitarbeiter ihre Ablage auf das Nötigste. Mails und andere Texte sollen auf dem Bildschirm gelesen und Notizen auf dem Computer gemacht werden.

«Wunsch-Agentur geschaffen»

Nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren bei der Ankündigung des Nomadentums vor einigen Monaten begeistert. «Einige haben entschieden, Contexta aufgrund unseres neuen Konzepts zu verlassen», sagt Borter. Diese Stellen hätten sie neu besetzt mit Menschen, die ihre Vision teilen. Diese Vision von einer mobilen Agentur tragen Borter und Fresard schon lange mit sich herum. «Bei anderen Unternehmen reden Verwaltungsräte oder Mitbesitzer mit, wir sind unsere eigenen Chefs und können frei entscheiden», sagt Fresard. «Wir haben uns unsere Wunsch-Agentur geschaffen.»

Dazu gehört auch, bald schon wieder Möbel zu packen. Ende September zieht Contexta weiter. Als mögliche zukünftige Arbeitsorte nennt Fresard die ETH Zürich, die Pizzeria Dieci oder eine Jugendherberge. Entschieden ist aber noch nichts. Das Team will die neu gewonnene Freiheit und das Schwimmbecken in der Nähe zuerst noch etwas geniessen.



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Kommentare

  • Reinhard Vogel, 21.08.2019 00:01 Uhr
    Super Idee, Nadine! Da wird man ja schon fast "vergüschtig". En liebe Grüess, R.
Kommentarfunktion wurde geschlossen

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