15.02.2023

Künstliche Intelligenz

Wie Werbeagenturen KI-Tools für sich nutzen

Wie werden ChatGPT oder Midjourney die Kreativbranche verändern? Und welche Programme setzen die Agenturen bereits ein? persoenlich.com hat bei Wirz, TBWA\Zürich, Farner, Heimat, Sir Mary, Notch und auch bei Galaxus nachgefragt.
von Michèle Widmer

Sascha Fanetti, Creative Director bei Notch

«KI kommt bei uns schon seit längerer Zeit im Bereich Media und Plattformen zum Einsatz. Bei Media vor allem, um Werbemittel zielgruppengerecht mit höchster Performance auszuspielen. Auch Predictive Advertising setzen wir ein, welches auf Basis aller Daten den idealen Werbemix über den gesamten Funnel berechnet, vereinfacht gesagt. Wir nutzen im Bereich Media die klassischen KIs von Google und Meta. Im Bereich Kreation ist KI in letzter Zeit ein ernst zu nehmendes Thema geworden. Hier nutzen wir zum Beispiel Midjourney, Dall-E 2 und weitere KIs. Aber nicht, um Werbung oder fancy Visuals zu generieren, sondern um beispielsweise den Erstellungsprozess in der Art Direction effizienter zu gestalten.

2023 wird gerade in diesem Bereich sowohl sprachlich, audiotechnisch, aber vor allem für Bewegtbild ein spannendes und vielversprechendes Jahr. Denn diese Tools entwickeln und verbessern sich in rasantem Tempo. Da heisst es, dranzubleiben und ihre Intelligenz uns zunutze machen. KI wird in naher Zukunft keine Werber ersetzen. Denn Insights generieren und diese in eine einzigartige Idee und Umsetzung bringen, kann KI ohne die Unterstützung des Menschen nicht. KI reiht bestehende Bauteile aneinander, kombiniert und/oder verknüpft diese. Das reicht aber noch nicht, um selbstständig was Neues, was Einzigartiges zu gestalten. Denn die feine Klinge der Kommunikation mit dezentem textlichen oder visuellen Humor beispielsweise beherrscht sie nicht und wird sie meiner Meinung nach die nächsten Jahre auch nicht beherrschen. KIs sind sehr gute Tools. Deshalb ist das Zauberwort: kollektive Intelligenz.»


Tino Elsener, Strategy Director Digital und Partner bei Sir Mary

«Der Einsatz von KI in der Agentur hat in der jüngsten Zeit sehr stark zugenommen. Aber gerade auf Media-Seite sind (immer smartere) Algorithmen bereits eine ganze Weile in Gebrauch, um die Kampagnenperformance zu optimieren. Wo täglich eine grosse Anzahl strukturierter Daten anfällt, liegt der Einsatz entsprechend nahe. Das geht aber durchaus über das Optimieren von Platzierungen hinaus. So haben wir schon vor mehreren Jahren angefangen, Modelle einzusetzen, die Eye-Tracking-Analysen simulieren, um noch in der Umsetzungsphase erste Hinweise darauf zu bekommen, welche Werbemittelvarianten im Hinblick auf vorab definierte Ziele besser performen. Seit etwa einem Jahr setzen wir auch im kreativen Prozess immer mehr künstliche Intelligenz ein, um schneller kreative Visionen umzusetzen. Das hat damit zu tun, dass die Angebote einen enormen Sprung in Qualität und Zugänglichkeit gemacht haben.

Aktuell testen wir eigentlich fast wöchentlich neue KI-Angebote, wobei sich die überwiegende Mehrheit als (noch) nicht tauglich für den Agenturalltag herausstellt. Immer wieder stossen wir aber auf sehr spannende Ansätze. KI-Bildgeneratoren setzen wir zum einen für Visualisierungen von Konzepten und Storyboards ein. Aber auch für personalisierte Kommunikation. So haben wir beispielsweise unsere Neujahrskarten von einer KI gestalten lassen. Insgesamt über 5000 Bilder haben wir dafür mit KI erstellt. Die besten 792 haben es dann auf eine der Karten geschafft. Eine Menge, die wir auf konventionelle Weise niemals neben dem normalen Agenturalltag hätten stemmen können. Auch einzelne Kundenprojekte sind bereits mit KI-Bildern live. Daneben bauen wir vermehrt KI in unseren internen Prozessen ein. So erleichtert uns KI bereits aktiv die Bildretusche. Im Audiobereich experimentieren wir mit Musik und Text-to-Speech-Generatoren. Und natürlich sind einige von uns auch ins ChatGPT-Rabbithole abgetaucht und loten da fleissig Grenzen aus, was beispielsweise das Longcopy-Writing angeht.

KI wird die Grenzen des Mach- und Finanzierbaren in Zukunft verschieben, insbesondere wenn es darum geht, sehr viele und mitunter höchst personalisierte Inhalte zu generieren. Auf Agenturebene und mit Blick auf unsere Branche setzen wir aber vor allem darauf, dass KI eine tragende Rolle spielen kann, um einige der grössten Marketing Challenges unserer Zeit zu lösen. So führen die immer neuen Kanäle und vielschichtigen User Journeys dazu, dass die Ansprüche an die Creatives immer weiter steigen. Und plötzlich werden nicht mehr hunderte Werbemittel für eine grosse Kampagne benötigt, sondern weit über tausend. Dies alles notabene, während die Umsetzungszeiträume immer kürzer werden und Produktionsbudgets unter Druck geraten. Hier können KI-unterstützte Produktionsprozesse Mitarbeiter entlasten und dafür sorgen, dass diese sich wieder mehr auf ihre Kernkompetenzen fokussieren können.»



Michaela Burger, Chief Creative Officer, Mitinhaberin von Wirz

«Künstliche Intelligenz nutzen wir heute immer wieder in Phasen der Exploration und der Hypothesenüberprüfung. Im Strategie- und Kreativprozess funktioniert sie für uns ähnlich wie ein Thesaurus, der datenbasierte Vorschläge macht und Assoziationen liefert, die uns inspirieren und weiterbringen. Und manchmal vergleichen und verifizieren wir Konzepte mit dem, was die Maschine ausspuckt. Zukünftig wird die KI vor allem für das Kundenerlebnis einen Unterschied machen. Sie wird helfen, noch besser die richtigen Botschaften in der richtigen Art und Weise und zur richtigen Zeit am richtigen Ort auszuspielen. Neben der höheren Effektivität wird sie auch eine höhere Effizienz erlauben, denn bereits heute werden zum Beispiel Produktbeschriebe auf grösseren Onlineportalen automatisch generiert und ermöglichen so eine andere Geschwindigkeit und ein anderes Kostengefüge.»


Flurin Spring, Creative Director Galaxus

«Es freut uns, dass die Galaxus-Kampagne mit skriptgenerierten Sujets inspiriert, aber KI war hier keine am Werk. Wir haben ein Machine-Learning-Team im Product Development und nutzen AI in der Sortimentspflege und für die automatisierte Übersetzung unserer Contents (da vor allem DeepL). Mehr Zeit für fundierte Konzeptarbeit, weil ChatGPT meine Interviewfragen beantwortet: ‹Eine mutige, aber kritische These wäre, dass KI in Zukunft in der Werbung dazu beitragen kann, dass Werbung noch invasiver wird, indem sie Verbraucherdaten sammelt und verwendet, um sehr gezielte Werbung zu schalten, die möglicherweise Ihre Privatsphäre beeinträchtigt. Es ist jedoch auch möglich, dass KI dazu beitragen kann, die Überfülle an irrelevanten Werbeanzeigen zu reduzieren und eine bessere Benutzererfahrung zu schaffen, indem sie personalisierte und relevante Werbung bereitstellt.›»


Simon Rehsche, Partner Strategie bei Heimat

«Bis heute hat (soweit ich weiss) keiner unserer Kunden für eine Idee oder eine Umsetzung bezahlt, die durch ein KI-Tool generiert wurde. Fürs Leaden, Coachen, Guiden und speedflexinspirative Collaboraten nutzen wir auf absehbare Zeit noch Tools, die auf natürlicher Unvernunft basieren: Brot, Spiele und gelegentlich über den Wasserspender verabreichte geschmacklose Halluzinogene. Für Problemanalysen oder die strategische und konzeptionelle Ideenfindung nutzen wir teilweise die neuen Möglichkeiten von zum Beispiel ChatGPT und uncreative.agency. Wenn man die Resultate abstrahiert und als Kreativstrategie beziehungsweise Briefing nutzt, kann dies schnell zu interessanten Dingen führen. Die diversen KI-basierten Bildgeneratoren nutzen wir zunehmend für Moodboards, Briefings und voraussichtlich bald für die Produktion von visuellem Content. Die Unterstützung in Arbeitsabläufen ist offensichtlich. Künstliche Intelligenz wird unsere Branche aber in vielen Aspekten viel tiefgreifender verändern. Ich hoffe, dass wir als Industrie die folgenden Potenziale für uns nutzen können:

  1. Mut: Maschinen haben keine Emotionen und kennen damit auch keine Angst, Dinge vorzuschlagen, die auf Ablehnung stossen. KI wird unsere Branche wieder mutiger machen.
  2. Attraktivität für Talente: Kreativität fängt bekanntlich nicht bei der Antwort, sondern beim Fragen an. Weiss man seit immer, lebt man in Werbeagenturen aber kaum. Wenn uns KI-Tools zwingen, stärker in Fragen (oder Briefings beziehungsweise Prompts) als direkt in Lösungen zu denken, wird die Branche für intelligente und kreative Menschen wieder spannender.
  3. Wachstum: Die Kreativität von Agenturen kann sich mit neuen Tools viel breiter entfalten. Agenturen versuchen schon lange, Kreativität als Ressource breiter zu monetarisieren als über Kampagnen. KI öffnet uns dafür neue Welten.


Matthias Kiess, CEO von TBWA\Zürich

«KI ist bei uns noch eher in den Kinderschuhen und entsprechend sind wir in der Sandbox unterwegs. Erste Krea-Ideen haben wir im letzten Jahr bereits mit Dall-E lanciert, doch ist KI noch nicht Teil eines strukturierten Prozesses. Es eröffnen sich selbstverständlich neue Perspektiven und zahlreiche Inspirationen, doch letztendlich zählt unser Handwerk, auf welches unsere Kunden bauen und welches wir auch entsprechend kapitalisieren. Und so kommt schnell die Frage auf, inwiefern KI in der Wertschöpfungskette monetarisiert werden soll und wo welche Rechte liegen. Mit Interesse habe ich erst gerade das Interview der Chefredaktorin von ‹Nature› (einer der renommiertesten Wissenschafts-Publikationen) in der NZZ zum Thema Nutzen und Kontroverse von ChatGPT gelesen, und auch hier geht deutlich hervor, dass der Herkunftsnachweis immer ein entscheidender Faktor bleiben wird.

Wir bei TBWA sind noch im Prozess des Ausprobierens und des Verstehens, wo welcher Nutzen generiert werden soll. So probieren wir die gängigen Plattformen, wie Midjourney, Dall-E oder ChatGPT aus. Da sehen wir bis jetzt die besten Resultate. Wir haben auch schon Chatbots in Bannern und Kampagnen genutzt – und testen auch Tome für die Erstellung von Präsentationen oder Solid Draft für die E-Mail-Automatisierung.

In Zukunft wird KI nochmals die Geschwindigkeit erhöhen und selbstverständlich auch die Personalisierung und individuelle Adressierung optimieren. Die Content-Generierung wird sich vereinfachen und ebenfalls verschnellern. Letztendlich wird die KI von menschlicher Intelligenz gefüttert und folgt dieser zum einen, disruptiert diese aber auch und bildet dadurch unerwartete Konstellationen. Insofern kann man sie durchaus als bereicherndes Element sehen, welches einen kreativen Prozess ergänzen wird. Aber ob sie strategieorientiert die menschliche Kreativität, gespiesen aus Emotionalität, Intuition und Erfahrung, in Bälde vollständig ersetzen wird, wage ich zu bezweifeln. In der Zukunft wird auch Bewegtbild von KI beeinflusst werden und was wir nicht ausser Acht lassen dürfen: Der Umgang mit KI wird neue Kompetenzen in unserer Branche benötigen und entsprechend die heutigen Berufsfelder ausweiten.»


Markus Gut, Head of Branding & Change und Partner bei Farner

«Wir haben als Erste eine Kundenkampagne für die Cantina Al Mulinetto mit KI gemacht. Die Idee war ‹Sehen, wie der Wein schmeckt›. Unser CD Fabian Bertschinger hat mit der KI-Künstlerin Grit Wolany mittels künstlicher Intelligenz die Sujets erarbeitet. Wie bei allen Aufträgen ist die gute Idee, das klare Briefing und die Projektführung auch bei einem Computer wichtig. Zurzeit nutzen wir für Text to Image die Tools Dall-E 2, Midjourney, Stability und DiffusionBee. Für Copy setzen wir auf Jasper, Writesonic und ChatGPT. Im Bereich Video arbeiten wir mit Synthesia oder D-ID, NeuraLoom. Und für Ad Creative und Optimization mit den Tools CreativeX, Pencil, AdCreative.»



Lesen Sie zum Thema auch das Interview über künstliche Intelligenz mit Luitgard Hagl, Managing Partner und Agency Lead Jung von Matt Limmat.



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