16.02.2023

#MeToo

Wie Werbeagenturen mit Sexismus umgehen

Die Medienbranche scheint ein strukturelles Problem mit Mobbing und Sexismus zu haben. Wie sieht es bei den Kreativen aus? Ist bei Agenturen das Arbeitsklima besser? Eine Umfrage bei führenden Frauen von Inhalt und Form, Jung von Matt, Rod Kommunikation, Ruf Lanz, Serviceplan Suisse und Wirz.
von Michèle Widmer

Nina Bieli

Wie schätzen Sie das Arbeitsklima punkto Sexismus und Mobbing in der Werbebranche ein?
Das Klima hat sich vor allem in den vergangenen zwei, drei Jahren verändert. Hin zu mehr Sensibilität und der direkten Ansprache von solchen Missständen – und damit auch hin zu mehr Chancengleichheit und Respekt im Umgang miteinander. Es geht also in die richtige Richtung. Das Ziel ist aber noch lange nicht erreicht. Das zeigt auch eine Umfrage des Ad Girls Club aus Deutschland, an der auch einige Schweizerinnen und Schweizer aus der Werbebranche teilgenommen haben. Die Anzahl Personen, die der Werbebranche ein Sexismusproblem attestieren, ist von 2020 bis 2022 zwar zurückgegangen, bewegt sich aber immer noch auf hohem Niveau.

Was machen Sie in Ihrer Agentur, um die Kultur unter den Mitarbeitenden zu verbessern und Sexismus und Mobbing vorzubeugen?
Zunächst einmal profitieren wir von einer Unternehmenskultur, die Vielfalt nicht nur duldet, sondern wertschätzt und fördert. Das zeigt sich auch in unserem Umgang miteinander. Diesen Umgang regeln wir aber auch ganz explizit mit klaren Guidelines gegen Mobbing und sexuelle Belästigung und internen sowie externen, unabhängigen Anlaufstellen. Und: Dank einer zunehmenden Anzahl Frauen in Führungsfunktionen hat das «männliche Dominanzgebaren», das Inken Rohweder von Trotha beschreibt, zumindest bei uns keinen Platz mehr.



Petra Dreyfus

Co-CEO Wirz

Wie schätzen Sie das Arbeitsklima punkto Sexismus und Mobbing in der Werbebranche ein?
Als ich anfing, war die Werbewelt sehr «macho», die grossen Männer-Egos dominierten. Heute empfinde ich ein Miteinander mit flacheren Hierarchien. Ich hoffe sehr, dass das den Mitarbeitenden mehr Selbstvertrauen gibt, offen alles anzusprechen und so Mobbing oder Sexismus keinen Nährboden zu geben.

Was machen Sie in Ihrer Agentur, um die Kultur unter den Mitarbeitenden zu verbessern und Sexismus und Mobbing vorzubeugen?
Wir haben als Arbeitgeberin und Geschäftsleitung eine starke Verantwortung und Verpflichtung, unsere Mitarbeitenden vor Übergriffen jeglicher Art zu schützen. Natürlich gilt absolute Nulltoleranz bei Mobbing, Diskriminierung, Sexismus und sexueller Belästigung. Die Mitarbeitenden erhalten auf allen Stufen viel Entscheidungsbefugnis und damit hoffentlich auch das Vertrauen in die Geschäftsleitung, dass sie bei Missständen jederzeit angehört werden. Stichwort Selbstvertrauen: Mit dem Mentorinnen-Programm «Wirz Women» bieten wir allen Wirzlerinnen die Möglichkeit, sich mit einer Vertrauensperson in regelmässigen Treffen auszutauschen oder an Vorträgen teilzunehmen.


Karin Estermann

Executive Creative Director und Mitinhaberin Inhalt und Form

Wie schätzen Sie das Arbeitsklima punkto Sexismus und Mobbing in der Werbebranche ein?
Wir sind sicher schon weiter als andere Branchen, was wohl damit zu tun hat, dass bereits viele junge, equal-denkende Mitarbeitende in den Agenturen arbeiten. Ich begegne dem Thema Sexismus aber immer mal wieder in der Geschäftswelt und als Unternehmerin.

Was machen Sie in Ihrer Agentur, um die Kultur unter den Mitarbeitenden zu verbessern und Sexismus und Mobbing vorzubeugen?
Was mich wirklich stört aus meiner Sicht als Chefin und Frau: Viele Frauen verkaufen sich immer noch unter ihrem Wert und befeuern somit die Geschlechterklischees und Gender Pay Gaps. Männliche Bewerber verkaufen sich generell viel besser und auch mal über ihren Wert. Ich wünschte mir von den Frauen deshalb ein bisschen mehr Mut und Selbstvertrauen. Go for it Girls. Als Unternehmerin sehe ich es als meine Aufgabe, im Arbeitsalltag solche gefestigten Rollenverhalten auszugleichen. Alle gleich zu behandeln. Gender Pay Gaps sind kein Thema bei uns, es geht um gute Leistung, Motivation, Teamspirit, Toleranz und nicht um das Geschlecht. Der Fisch stinkt am Kopf, daher müssen wir als Vorgesetzte selbst eine gleichberechtigte Kultur in den Arbeitsalltag einbringen und vorleben. Wir haben in der Agentur einen hohen Frauenanteil, dem ich persönlich täglich vorzeigen kann, wie man einander unterstützt und weiterbringt.



Regula Fecker

Strategin und Gründungspartnerin Rod Kommunikation

Wie schätzen Sie das Arbeitsklima punkto Sexismus und Mobbing in der Werbebranche ein?
Ich arbeite seit 25 Jahren in der Werbebranche und habe in meinen Anfangsjahren einige Dinge erlebt, die heute klar nicht mehr tolerierbar wären. Zum Glück haben sich die ganze Arbeitswelt und damit auch die Werbebranche sehr verändert, sind diverser und über den medialen Diskurs auch sensibilisierter auf Themen wie Sexismus und Mobbing geworden.

Was machen Sie in Ihrer Agentur, um die Kultur unter den Mitarbeitenden zu verbessern und Sexismus und Mobbing vorzubeugen?
Wir haben grundsätzlich eine offene Gesprächskultur, sind auf diese Themen sehr sensibilisiert und hinterfragen uns oft selbst. Und dennoch: Auch bei uns gibt es Dinge im Alltag, die besprochen und verbessert werden müssen. Anderes musste auch aufgearbeitet werden. Wir sind als Führungskräfte heute mehr denn je gefordert, ständig vorzuleben, was okay ist und was nicht. Ich glaube, Sexismus und Mobbing dürfen als Themen nicht in einem Code of Coduct verstauben, sondern müssen laufend in Bezug auf konkrete Situationen beobachtet, diskutiert und beurteilt werden. Und, wenn sich etwas nicht richtig anfühlt, braucht es das Rückgrat, auch unangenehme Dinge anzusprechen.


Pam Hügli

CEO und Partner Serviceplan Suisse

Wie schätzen Sie das Arbeitsklima punkto Sexismus und Mobbing in der Werbebranche ein?
Einerseits sind wir ja in einer sehr toleranten Branche tätig, welche viel Freiheit und Akzeptanz für Diversity hat, Vielfalt ist akzeptiert oder wird sogar als cool wahrgenommen – in so einem Umfeld findet Mobbing vielleicht weniger schnell statt. Andererseits bietet auch gerade diese Freiheit viel Raum für derbe Witze, anzügliche Komplimente und ironische Bemerkungen – die Grenzen, wo aus Spass Unwohlsein wird, verlaufen wahrscheinlich unschärfer als in anderen Branchen. Ich denke nicht, dass es in der Werbebranche mehr oder weniger Sexismus gibt als in anderen Branchen, aber wahrscheinlich sind die Grenzen etwas verwischter.

Was machen Sie in Ihrer Agentur, um die Kultur unter den Mitarbeitenden zu verbessern und Sexismus und Mobbing vorzubeugen?
Da hilft wohl schon ein bisschen die Tatsache, dass ich ein weiblicher CEO bin und wir in der Geschäftsleitung einen ausgewogenen Frauen-Männer-Anteil haben. Wir fördern Frauen, genauso wie Männer – für uns zählt der Mensch und seine Leistung, nicht das Geschlecht. Zudem nehmen wir das Thema immer wieder aktiv auf. Im März findet bei uns in der internationalen Agenturgruppe eine Diversity & Inclusion Week unter dem Motto «Allyship» mit Vorträgen zu Female Leadership, Anti-Racism and LGBTQIA+ statt. Jeder Mitarbeitende kann daran teilnehmen und wir werden zudem lokale Gesprächsrunden organisieren.


Danielle Knecht-Lanz

Creative Director und Mitinhaberin Ruf Lanz

Wie schätzen Sie das Arbeitsklima punkto Sexismus und Mobbing in der Werbebranche ein?
Ich bin 1985 als Grafiklehrling in diese Branche eingestiegen. Die Sprüche, die damals in der lockeren Atmosphäre von Kreativagenturen fielen, kann man nicht mit der heutigen Sensibilität beurteilen. Wie das Klima heute generell in der Werbebranche ist, kann ich nicht beurteilen, weil ich seit 2001 zusammen mit Markus die eigene Agentur führe.

Was machen Sie in Ihrer Agentur, um die Kultur unter den Mitarbeitenden zu verbessern und Sexismus und Mobbing vorzubeugen?
Wir müssen die Kultur unter den Mitarbeitenden nicht verbessern, weil sie bereits gut ist. Sonst würden talentierte Menschen nicht so lange bei uns bleiben. Zudem wirken zwei Faktoren präventiv: 1. Gleichberechtigung liegt in unserer DNA, denn Ruf Lanz wurde 2001 von einer Frau und einem Mann mit je 50 Prozent Aktienanteil gegründet. 2. Wir sind eine Kreativboutique, kein unüberschaubarer Grossbetrieb. Wenn sich bei uns tatsächlich einmal jemand so bizarr verhalten würde, wie man es aktuell hört, würde dies sofort auffallen – und nicht zu einer HR-Stelle führen, sondern ins Büro von Markus und mir.



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Kommentare

  • Hans Peter Mauchle, 17.02.2023 16:02 Uhr
    Ich bin ein älteres Semester und habe mein Berufsleben hinter mir. Ich sehe einen grossen Widerspruch unserer Gesellschaft inbezug auf die Sexualität. Zum einen sind wir viel offener geworden und zum andern tun sich viele Menschen immer noch schwer damit. Ich habe noch die Zeit erlebt, wo die Geschlechter in der Schule und in der Badi getrennt waren und z.B. Bikinis verboten waren. Zum Glück ist diese Zeit vorbei. Es gibt und wird weiterhin Männer gegeben, die sich Frauen gegenüber daneben benehmen. Aber im Zeitalter der Emanzipation könnte man von Frauen erwarten, dass sie sich direkt wehren, wenn sie den Eindruck haben, dass sich ein Mann daneben benommen hat. Ich habe auch Frauen erlebt, die selber derbe Witze von sich geben oder zumindest darüber lachen können. Das Thema wird meiner Meinung nach aufgebauscht. Und es ist sicher nicht richtig, wenn einzelne Branchen erwähnt werden, wo angeblich mehr Verstösse vorkommen. Und zum Tagi-Magi-Fall kann ich nur sagen, dass die Äusserungen dieser Frau gegenüber ihrem früheren Chef nach so vielen Jahren sehr zweifelhaft sind und an Ehrverletzung grenzen. Ich würde diese Frau gerichtlich belangen. Und den Männern, die ihre Triebe nicht im Zaum haben und meinen, sie könnten sie am Arbeitsplatz ausleben, ist zu raten, dass sie dies an Orten tun, wo dies möglich ist. Und solche Möglichkeiten gibt es ja heute viele und gar legal in der Schweiz.
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