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Bitte ganz tief durchatmen, Frau Leuthard

Das geplante Joint Venture zwischen SRG, Swisscom und Ringier hält die Medienbranche in Atem. Kurz bevor Doris Leuthard ihren Entscheid verkündet, ob dieser mit Abstand grösste Werbepool des Landes lanciert werden darf, gehen die Wogen immer höher. Hoch bezahlte Lobbyisten von beiden Seiten werfen alles ins Feld, um sich den Sieg zu sichern. Deshalb wäre es sinnvoll, dieses Vorhaben mit etwas Besonnenheit zu betrachten. Zum Beispiel mit einem Blick ins nahe Ausland.

In Deutschland entstand das duale Mediensystem, weil die öffentlich-rechtlichen Anstalten im Bereich der Werbung gezielt beschnitten wurden. Nach 20 Uhr dürfen ARD und ZDF keine Werbung ausstrahlen, was die unabdingbare Grundlage für das Entstehen einer relevanten privaten TV-Landschaft bildete.

In der Schweiz wäre ein solcher Ansatz unsinnig, der neuerdings sogar mit der Verleger-Forderung nach einem totalen SRG-Werbeverbot aufgekocht wurde. Die Werbemillionen würden in einem solchen Fall nicht in die sklerotischen privaten TV-Sender, sondern in die bei uns reich- weitenstarken ausländischen Privatsender fliessen. Deshalb wäre diese Massnahme ein Eigengoal der grotesken Art und sollte nicht einmal ernsthaft in Betracht gezogen werden. Die SRG muss deshalb weiterhin grosszügigere Werberegelungen als ARD und ZDF haben.

Das Joint Venture bringt nun aber neue Dimensionen ins Spiel – und auch hier lohnt sich der Blick über die Grenze. So will die SRG zusammen mit Swisscom und Ringier in Zukunft nicht nur regional gesplittete Werbung, sondern die noch viel weitergehende personalisierte Werbung anbieten. Dies ist in Deutschland aber neuerdings untersagt, und zwar nicht nur den öffentlich- rechtlichen Sendern, sondern sogar den in Werbefragen bevorzugten privaten Veranstaltern.

Dagegen will die ProSiebenSat.1-Gruppe nun rechtlich vorgehen und fordert eine Änderung des Staatsvertrags. Dieser hält fest, dass allein Regionalsender regionale Werbung ausstrahlen dürfen, weil dies den landesweiten TV-Programmen zum Schutz regionaler Medien untersagt ist. Seit dem 1. Januar 2016 heisst es in Artikel 7: «Die nichtbundesweite Verbreitung von Werbung oder anderen Inhalten in einem zur bundesweiten Verbreitung beauftragten oder zugelassenen Programm ist nur zulässig, wenn und soweit das Recht des Landes, in dem die nichtbundesweite Verbreitung erfolgt, dies gestattet.»

Die hauptsächlich über Gebühren finanzierte SRG möchte nun also zusammen mit ihren Partnern etwas tun, was in Deutschland ohne Zustimmung einzelner Bundesländer sogar jenen Privatsendern untersagt ist, die im Rahmen der Medienpolitik von besseren Werbebedingungen als die Öffentlich-Rechtlichen profitieren. Dies ist offenbar bei uns nur deshalb überhaupt denkbar, weil in der Schweiz keine entsprechenden gesetzlichen Bedingungen und Beschränkungen bestehen, wie sie Deutschland kennt.

Und deshalb stellt sich die Frage, ob in dieser heissen Joint-Venture-Diskussion die medienrechtliche Grundfrage genügend geklärt ist. Während Bakom und Uvek bei elektronischen Medien bis in die letzten Ritzen regulieren und der SRG nach massivsten Interventionen der Verleger die Onlinewerbung untersagt haben, scheint hier eine Gesetzeslücke zu bestehen, weil man sich bei uns mit dieser Problematik offenbar noch nicht eingehend befasst hat. Da es sich bei der regionalen oder gar personenbezogenen Aufsplittung von Werbung um neue, zum Teil noch nicht ausgereifte technische Möglichkeiten handelt, hinkt unsere Gesetzgebung in einem Bereich hinterher, der zu einer massiven Veränderung der werbemässigen Finanzierung der Medien führen kann, welche irreversibel wäre.

Deshalb sollten vor der Entscheidfassung die wichtigsten Grundsatzfragen geklärt sein, um sich nicht ohne Kompass in eine Richtung zu begeben, die man bestenfalls schemenhaft zu erkennen glaubt. Facebook und Google, gegen die das Joint Venture nach Angaben der Initianten in Stellung gebracht werden soll, lassen sich nur dann effizient bekämpfen, wenn man mit einem echten Konkurrenzangebot für die von diesen Anbietern geschaffenen neuen Werbeformen antritt.

Solange dies nicht zutrifft – und dies scheint zumindest kurzfristig nicht möglich zu sein –, handelt es sich vor allem um einen innerschweizerischen Verteilkampf in einem seit Jahren stagnierenden oder sogar rückläufigen Markt. Deshalb nochmals: Bitte tief durchatmen, alles gut analysieren und erst nach der Klärung aller offenen Fragen entscheiden, Frau Bundesrätin Leuthard.

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KOMMENTARE

Helmut-Maria Glogger
09.02.2016 18:02 Uhr
Irgendwann, irgendwie ging es doch mal bei uns allen um freien, unabhängigen, von keinem Milliarden-Erben kujonierten Journalismus. Und was schwafelst Du? Mon dieu – die Welt hat Dich überrundet, mein lieber Roger
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