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Ein Plädoyer für «20 Minuten»

Die Design-Ausgabe von «20 Minuten» musste viel Kritik einstecken (persoenlich.com berichtete). Ein veritabler Shitstorm von empörten Lesern setzte ein, für NZZ-Medienredaktor Rainer Stadler war damit die «Grenze des Erträglichen» überschritten, wie er am Samstag schrieb (persoenlich.com berichtete).

Mit dem Risiko, mich unbeliebt zu machen, mir hat die Design-Ausgabe gefallen. Störend wäre nur, hätte man einzelne Texte wegen der Kunstflecken nicht lesen können, doch dies wäre ein technisches Problem. Grundsätzlich stellt sich die Frage: Wie viel Werbung ist überhaupt noch erlaubt, ohne dass die Moralkeule der Medienkritiker und -beobachter ins Schwingen gerät?

Das Beispiel der Design-Ausgabe zeigt, dass die Toleranzgrenze, aber auch das Verständnis für neue Werbeformen, sehr klein ist. Und dies selbst in Zeiten der Anzeigenflaute. Gerade ein Blatt wie «20 Minuten» hat mit seiner spielerischen Ausgestaltung sicherlich einen anderen Anspruch als die noble NZZ.

Meines Erachtens war diese Design-Ausgabe nicht nur kreativ, sondern auch absolut unproblematisch. Für den Leser ist ersichtlich, dass es sich um eine bezahlte Aktion handelt. Dies im Gegensatz zu vielen PR-Texten, die in den redaktionellen Teilen der Zeitungen auftauchen. Gleichzeitig ist es eine Tatsache, dass der Druck der Auftraggeber stärker geworden ist. Rainer Stadler dürfte – obwohl er es nicht kommentiert hat – auch das ganzseitige Porsche-Inserat vor einigen Monaten auf dem Titel seiner Zeitung bemerkt haben.

Es ist ein weiterer Fakt, dass Werbeeinnahmen auch Journalistenlöhne und damit guten Journalismus garantieren. Dies mag vielen Medienkritikern nicht gefallen, falsch ist es deswegen nicht. Es bleibt wirklich zu hoffen, dass das «Projekt R» funktioniert. Als mögliche Alternative. Wir alle anderen «Normalsterblichen» müssen – oder dürfen – bis dahin weiterhin von Werbung leben. Was aber keineswegs schlecht sein muss.

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KOMMENTARE

Roman Widmer
03.05.2017 21:54 Uhr
Sind wir doch mal ehrlich: Würde es in der Schweiz nur noch 20 Minuten geben als Medium - die Demokratie wäre am Ende, die Gesellschaft würde verdummen. Schlimm genug, dass es heute schon Leute gibt, Dich sich einzig durch 20 Minuten informieren. Aus dieser Perspektive gesehen, können zugekleisterte Artikel keinen grösseren Schaden anrichten, als wenn diese nicht mit Farbe zugekleistert sind.
Marianne Wernli
03.05.2017 15:20 Uhr
Naja, sehr geehrter Herr Ackeret, sie machen sich nicht gleich unbeliebt, weil sie ihre eigene Meinung vertreten. Aber m.E. hat Rainer Stadler völlig recht. Mehr noch: 20 Minuten erreicht sehr oft die Grenze des Unerträglichen auch ohne solch eine Kampagne. 20 Minuten ist der Prototyp des unerträglichen, tief gefallenen Journalismus, dem doch so viele Journalisten nachtrauern. Schmuddeljournalisus hoch drei. Und das kann man nun mal über die NZZ nicht sagen. Es gibt immer noch gut gemachten Journalismus, aber dieser kommt nicht aus dem Hause Tamedia AG. Aber vielleicht haben Sie dazu auch eine andere Meinung.
Nico Herger
02.05.2017 15:52 Uhr
Herr Briner, links-grüner Journalismus ist ja auch eine Art Werbung. Andernfalls wären die Sponsoren bald weg. Von wegen Unabhängigkeit.
Tom Briner
02.05.2017 09:10 Uhr
Ja,Herr Lehmann, bei Ihnen muss man sich nicht fragen, ob Sie aus der Werbebranche kommen. Ein neues Produkt auf dem Medienmarkt, das sich nicht um die Werbung kümmert, das können Sie sich nicht vorstellen. Aber vielleicht lernen sie bei diesem Projekt auch etwas.
Ueli Custer
02.05.2017 08:05 Uhr
Das Problem ist nicht, ob diese Aktion noch tolerierbar ist oder nicht. Mit solchen Aktionen macht man dem Leser viel mehr klar, dass der redaktionelle Text einer Zeitung sowieso zweitrangig ist. Er verkommt im wahrsten Sinne des Wortes zum "Werbeträger", der nur noch die Funktion hat, die Werbung zu transportieren. Der Inhalt ist unwichtig.
Andy Lehmann
02.05.2017 07:37 Uhr
Danke für diese vernünftigen und gelassenen Worte. Wir brauchen Werbung und auch das Project R wird das hoffentlich noch rechtzeitig merken.
Rodolfo Keller
01.05.2017 22:58 Uhr
Lieber Herr Ackeret. Hier haben Sie sich aber völlig vergaloppiert. Natürlich müssen Medien sich durch Werbung finanzieren, auch durch kreative Aktionen. Der Phantasie sind hier wirklich keine Grenzen gesetzt – ausser durch den Respekt vor dem Leser. Was sich 20 Minuten hier erlaubt hat, ist eine grandiose Missachtung (am Stammtisch würde man sagen: Verarschung) des Lesers. Sie können mit der Zeitung machen was Sie wollen, Prospekte einkleben, zusätzliche Umschlagseiten, Beilagen bis zum gehtnichtmehr, tausend andere Sachen – aber wenn Sie mir einen redaktionellen Beitrag zukleistern, dann werde ich zum Tier. Das ist so schlimm wie Fakenews. Ich hoffe, Sie schämen sich ganz intensiv für diesen Fauxpas; notfalls schäme ich mir Sie. Sie haben bis jetzt mit «persönlich» ein ganz respektables Blatt gemacht – wollen Sie das wirklich mit ihrem Kotau vor der Tamedia mit ein paar unüberlegten Zeilen zunichte machen? mit kollegialen Grüssen Rodolfo Keller
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