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Google zum Anfassen

Tabea Höllger

Im Juni hat Google sein erstes physisches Geschäft eröffnet. Mit Pop-up-Stores hat der Internetriese schon öfters experimentiert und sich nun für eine dauerhafte Lösung entschieden. Womöglich inspiriert von den anderen digitalen Techgiganten wie Amazon und Apple, die schon lange Shops betreiben.

Dabei geht es allerdings um viel mehr als nur darum, mit einem zusätzlichen Vertriebskanal die eigenen Produkte an den Mann oder die Frau zu bringen. Mit reinen Vertriebszielen lässt sich so ein Investment schwer begründen. Es geht dabei vielmehr um die Interaktion mit den Kunden und die emotionale Bindung an die Marke. Denn die echte Experience schlägt die User Experience, wenn es um Markenbindung geht.

Google kann mit seinem Store eine Hürde überwinden, die digital nicht zu nehmen ist. Das Unternehmen kann nämlich alle Sinne ansprechen: Wie sieht es bei Google aus, wie fühlt es sich an, wie riecht es? Studien beweisen, dass Multisensorik-Branding nicht nur hilft, im Gedächtnis zu bleiben, sondern auch die Produktloyalität erhöht. Ziele, die Google sicherlich auch mit seinem Store verfolgt.

Die Marke Google löst eine hohe Faszination aus. Man hört von einer spielerischen Unternehmenskultur, von Rutschbahnen und einer Start-up-Mentalität in einer bunten Welt, die trotz der Unternehmensgrösse bestehen bleibt. Mitarbeiter bekommen 10 Prozent ihrer Arbeitszeit für eigene Projekte zur Verfügung gestellt und erreichen eine hohe Kreativität und Innovationskraft. Das alles sind Dinge, die ich in einem Google Store gerne erleben würde.

Ich habe mir einen Abenteuerspielplatz für Erwachsene vorgestellt, im typischen bunten Google-Design. Wer aber die Fotos des Stores ansieht, ist vielleicht etwas überrascht – oder wie ich gar enttäuscht. Der Store sieht clean aus, wenige bunte Akzente, hochwertig eingerichtet mit viel Holz – eigentlich wie ein Apple Store, aber mit dem Versuch nachhaltig zu wirken. Google und nachhaltig? Passen nur bei mir diese Assoziationen nicht zusammen? Also google ich «Seit wann ist Google nachhaltig?», die Antwort, die mir ausgespuckt wird: seit 2007. Seit 2007 ist Google zumindest klimaneutral und ein paar Klicks weiter erfahre ich von der Bewegung der «Greengler». Mitarbeiter von Google, die ihre freien 10 Prozent Arbeitszeit für Nachhaltigkeitsinitiativen nutzen, regelmässige Austauschrunden haben und mit unterschiedlichsten Aktionen das Thema im Unternehmen verankern. So was würde ich gerne im Google Store erfahren, Austauschrunden mit den Greenglern, mehr empathische Nähe zum Unternehmen. Gerade nach Corona sehnt man sich wieder nach mehr zwischenmenschlicher Interaktion – und zwar der nicht digitalen. Der Zeitpunkt der Eröffnung ist also klug gewählt.

Prinzipiell kann ich den Versuch verstehen, mit dem Store das nachhaltige Image zu stärken, aber es sollte in einem Google-typischen Stil sein, sonst wirkt es schnell unglaubwürdig. Als Markenenthusiast frage ich mich auch immer noch, wie das Thema des «Findens», der Kern der Marke im Store erlebbar wird?

Fazit: Stores sind eine tolle Möglichkeit, die eigene Marke multisensorisch erfahrbar zu machen. Beim Google Store in New York sehe ich aber durchaus noch Potenzial.



Tabea Höllger ist Brand Consultant bei der Managementberatung BrandTrust und begleitet renommierte Unternehmen in der Konsumgüterbranche. Sie ist Dozentin an der Quadriga Hochschule, Berlin.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

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