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Lasst uns ohne Hetze nach Lösungen suchen

Roman Hirsbrunner

Das Wichtigste gleich zu Beginn: Ja, ich bin selbstverständlich gegen jede Art von Hassreden. Fake News ärgern mich grässlich, und Diskussionen im Stil von «Stammtisch on steroids» ertrage ich kaum, weder on- noch offline. Damit hört die Klarheit für mich leider auch schon auf.

Macht Facebook zu wenig gegen Hate Speech? Vielleicht schon. Aber wer von uns führt schon ein Unternehmen und eine Plattform mit so gigantischen Nutzerzahlen? Immerhin weist Facebook (laut eigener Darstellung) enorme Anstrengungen und beachtliche Fortschritte im proaktiven Erkennen und Entfernen von hate speech aus.

Das (kritisierte) Festhalten am Prinzip der Meinungsfreiheit würde ich nicht a priori als Ausdruck von übertriebenem Gewinnstreben abtun. Meinungsäusserungsfreiheit steht – zumindest theoretisch – am Beginn unseres westlichen Demokratieverständnisses.

Bringen Facebook-Boykotte von ein paar Grossunternehmen etwas, wie das jüngste Beispiel, StopHateForProfit? Wahrscheinlich nicht. Facebook macht den Grossteil seines Umsatzes mit kleineren und mittleren Unternehmen.

Die Vermutung liegt nahe, dass die Verzichtsleistung der Boykottierenden nicht allzu gross ist. Denn gerade Grossunternehmen haben ihre media spendings in den sozialen Medien im Zuge der Coronakrise massiv zurückgefahren. Aber: Ein Hashtag kostet nichts und gibt einem wichtigen Anliegen zumindest für einen kurzen Augenblick etwas mehr Öffentlichkeit.

Also was jetzt? Bin ich nun gegen Facebook oder gegen Hass? In erster Linie bin ich gegen billige Vereinfachungen.

Boykottieren ist nicht einfach nur gut. Wer boykottiert, schaut oft bloss weg und überlässt die Lösungssuche dem Boykottierten. Gerade Unternehmer und Unternehmerinnen wären prädestiniert, mit neuen Lösungsvorschlägen die Diskussion zu befruchten – und mit den Beschuldigten in Dialog zu treten.

«Gut zensurieren» ist nicht einfach. Dem Anspruch «Kuratieren statt zensurieren» lässt sich im Bereich von strafbaren Inhalten mit viel Aufwand einigermassen nachkommen. Im Spannungsfeld von moralisch-ethischen Positionen allerdings wird die Umsetzung zunehmend komplex und das Bestreben schnell selbst problematisch.

Eine einheitliche Definition von abweichender Meinung fehlt – und das ist auch gut so. Die Welt, besonders die Welt der Meinungen, ist divers. Und hat gerade deshalb so viel Potenzial.

#StopHateForProfit macht nichts Falsches. Und Facebook ist nicht das (alleinige) Problem. Also lasst uns bei den Fakten bleiben und ohne Hetze über Lösungen diskutieren.



Roman Hirsbrunner ist CEO der Kommunikationsagentur Jung von Matt/Limmat.

Dieser Kommentar ist zuerst in der Weltwoche erschienen.

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