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Ob’s der Wahrheitsfindung dient?

René Zeyer

Im Prozess gegen einen nicht unbekannten Wettermoderator sollte es darum gehen, mit juristischen Mitteln herauszufinden, ob der Angeklagte schuldig ist oder nicht. Durch die Beteiligung der sogenannten vierten Macht ist das aber längst in den Hintergrund gerückt. Selbst der «Spiegel» ist sich nicht zu schade, dem Privatleben eines Wetterfroschs viele Seiten zu widmen, während seine Gerichtsreporterin unverhohlen Partei für den Angeklagten ergreift. Und die ansonsten renommierte «Zeit» geht noch einen Schritt weiter. Sie mischt sich sogar in die Verteidigungsstrategie des Angeklagten ein, kritisiert seine Anwälte und insinuiert einen Wechsel. Damit hat sich, allein ihr Name sei hier genannt, die «Zeit»-Journalistin Sabine Rückert einiger journalistischer Todsünden schuldig gemacht. In ihrem grossen Beitrag «Schuldig auf Verdacht», einem seltenen Tiefpunkt der «Zeit»-Dosssiers, kritisiert sie den damaligen Anwalt des Angeklagten: «Ein Verteidiger, der für den Mandanten nicht zu den Waffen greift, läuft Gefahr, ungewollt die unausgesprochene fatale Botschaft zu vermitteln, der Vorwurf träfe zu.» Eine Pfeife, der Herr, aber Frau Rückert weiss Abhilfe. Nach ihrer öffentlichen Breitseite in der «Zeit» meldet sie sich privat per Mail beim damaligen Anwalt: «Wir können nur zusammenkommen, wenn Ihre Verteidigung in dem angedeuteten Sinne professionalisiert wird, dazu sollten Sie sich überlegen, einen Kollegen einzubinden, der Verfahren dieser Art auch gewachsen ist. Wenn Sie mein Buch gelesen haben, wissen Sie, wen ich in einem solchen Falle wählen würde.» Der damalige Anwalt des Wettermannes machte den Fehler, dieses Angebot abzulehnen, obwohl Frau Rückert nochmals nachlegte: Es «interessiert Sie vielleicht, wie die Zusammenarbeit zwischen Verteidigung und ZEIT in der ersten der beiden (im Buch beschriebenen) Wiederaufnahmen ausgesehen hat: Am Tage des Erscheinen der ZEIT lag den Richtern des Landgerichts Osnabrück der 300 Seiten starke Wiederaufnahme-Antrag Ihres Kollegen . . . vor.» Wir lesen richtig: Eine Journalistin, die in Zusammenarbeit mit einem sogenannten Star-Anwalt schon Bücher über dessen grossartiges Wirken geschrieben hat, kritisiert öffentlich den damaligen Verteidiger, legt ihm in einer nicht-öffentlichen E-Mail den Beizug ihres Spezis nahe und führt auch gleich an einem Beispiel aus der Vergangenheit vor, wie sie sich eine solche Zusammenarbeit zwischen «Zeit» und Verteidigung vorstelle. Ungeheuerlich, das hat natürlich mit der sofortigen Entlassung der Journalistin geendet? Aber nein, mit der Entlassung des harthörigen damaligen Verteidigers und seinem Ersatz durch den der Journalistin genehmen. Während Frau Rückert weiterhin über den neuen Anwalt sehr wohlwollende Artikel in der «Zeit» schreiben darf; eine Duftmarke: «(Name bekannt) steigt zwar spät ins Verfahren ein, aber nicht zu spät. Mit (seinem) Auftauchen dürfte der Prozess Fahrt aufnehmen. Für Richter und Staatsanwälte ist er eine Nervensäge. Kein Konflikt, dem er aus dem Weg ginge.» Der so ins Spiel geschobene neue Krawall-Anwalt fordert seinerseits die Durchsuchung der Redaktionsräume von seinem neuen Mandanten angeblich feindlich eingestellten Gazetten. Also gibt es inzwischen noch mehr Schuldige, denen allerdings mit juristischen Mitteln nicht beizukommen ist: Alle Journalisten, die sich, ob aus Dummheit, Unfähigkeit oder mit Absicht sei dahingestellt, für oder gegen den Angeklagten instrumentalisieren lassen. Allerdings gehen die meisten nicht so weit wie Frau Rückert: Statt Fakten beschreiben Fakten schaffen, statt Beobachtung Mitwirkung, ihr öffentlicher Journalismus wird durch das Wirken hinter den Kulissen ergänzt. Die Gerichtsberichterstatterin wird zum Akteur in eigener Sache, eine unglaubliche Verluderung der journalistischen Sitten. Nur eine Person, abgesehen von ihrer Zeugenaussage, schweigt: das mutmassliche Opfer. Sie ist die Einzige, die in diesem Schmierenstück Haltung bewahrt.
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