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Plädoyer für Kate

Wer momentan einen Fachkongress unserer Branche besucht, kennt das Programm bereits, ohne sich weiter informieren zu müssen: künstliche Intelligenz in all seinen Facetten. Es scheint, als hätte sich KI innerhalb weniger Monate ein Weltmonopol für alle Diskussionen und Tagungen geschaffen. Dies ist äusserst bemerkenswert; existiert der Begriff doch bereits seit 1955, wird also nächstes Jahr 70 Jahre alt. Von Metaverse – dem Toprenner des vergangenen Jahres – mag gar niemand mehr sprechen, was zumindest die alte Regel bestätigt: Es gibt nichts Vergänglicheres als den Hype von gestern. Zumindest verbal.

Doch nun zur KI. Mit zunehmenden Tagungen verliert auch die KI einen Teil ihres Schreckens. Man wird sozusagen KI-resistent. Aufgefallen ist mir dies bei der traditionellen SWA-Jahrestagung vergangene Woche. Präsident Roger Harlacher begrüsste von der Leinwand die Anwesenden makellos in verschiedenen Sprachen. Täuschend echt zwar, am Ende aber ein klassischer KI-Fake (was auch so kommuniziert wurde). Hergestellt in wenigen Minuten. «Nichts Neues», raunte mir ein Zuschauer ins Ohr. Beim Communication Summit habe man den Ogi gesehen, wie er seine legendäre Neujahrsansprache vor dem Tunnelportal in Kandersteg auf Japanisch gehalten habe. Selbstverständlich auch täuschend echt. Es macht fast den Anschein, als würde man solche «Verfremdungen» bereits heute schon als normal taxieren. Aber gerade diese Normalität, dieses Nichtmehrhinterfragen ist das Gefährliche. Schon bald wird Christoph Blocher absolut authentisch für einen sofortigen EU-Beitritt plädieren, Michelle Hunziker stilechtes Schaffhauserdeutsch sprechen und Marcel Odermatt seinen baldigen Rücktritt verkünden. Richtig stören täte dies niemanden mehr, man betrachtet es hingegen als neue Normalität. Vielmehr ärgert man sich über Prinzessin Kate, die noch – zugegebenermassen handwerklich ungeschickt – an ihren Familienbildern rumretuschiert. Vielleicht müsste man Kate aber gerade dafür die Krone aufsetzen; zeigt sie damit, dass man noch nicht für alles KI benötigt. Wir werden jedenfalls schon bald sehnsüchtig an die Zeiten zurückdenken, als eine Fotomontage noch als Fotomontage erkennbar war.


Matthias Ackeret ist Verleger und Chefredaktor von persönlich und persoenlich.com.

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