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The Big Idea

Thomas Ruck

Er ist gerade in aller Munde, und seit Neuestem hat die grösste Bank unseres Landes auch einen: der «Purpose» – ein übergeordneter Unternehmenszweck, eine Absicht, eine Bestimmung, die grösser ist als der positive Abschluss der betriebswirtschaftlichen Erfolgsrechnung zum Jahresende.

Das macht Sinn, denn Konsumenten suchen heute nicht nur nach Services und Produkten; sie fordern auch Haltung ein. Sie wollen wissen, was Unternehmen über Dinge denken. Sie wollen nicht nur «value for money», sondern «values for money».

Ist da ein Purpose Statement und eine Ansammlung meist komplett austauschbarer «guter Taten» genug?

Mitnichten. Warum?

Ein Unternehmen kann nicht alles für alle Menschen sein. Es muss klar erkennbar für etwas stehen. Es braucht eine Idee, die gross ist. Eine «Big Idea».

So lautet die Gretchenfrage vielmehr: Was haben wir, das es wert ist, sich uns anzuschliessen? 

Eine «Big Idea» muss vier Dinge tun: Erstens muss sie das Unternehmen für die Konsumenten wertvoll machen – indem sie echte Bedürfnisse der Menschen erfüllt, sowohl die von heute als auch die von morgen, sowohl die praktischen als auch die emotionalen. Zweitens muss sie das Unternehmen klar von anderen abheben – dies ist entscheidend, wenn Kunden von ihm kaufen und Mitarbeiter dafür arbeiten sollen. Drittens muss sie Menschen verbinden – ein Gefühl der Zugehörigkeit sowohl für Kunden als auch Mitarbeiter schaffen. Und viertens muss sie die Verschiedenartigkeit der Menschen feiern – eine «Big Idea» schafft nämlich Einigkeit über die Idee, aber niemals Uniformität derer, die sich ihr anschliessen.

Es gibt sie, die «Big Ideas»

Ein gutes Beispiel ist Nike, das als Sportartikelhersteller für die grössere Idee «Winning» steht. Die Seele der Marke dreht sich ums Gewinnen. Ein anderes Beispiel ist Amazon, das vordergründig Bücher (und viele andere Dinge) verkauft, aber in Wirklichkeit für «Completeness» steht – die Idee, dass jeder alles bekommen kann. Darum geht der Pfeil in seinem Logo vom «A» zum «Z» von «Amazon». Oder Ikea, das nicht einfach nur Einrichtungsgegenstände herstellt, sondern für «Democratizing Design» sowie «a better everyday life for the many people» steht. Oder die BBC, die für «Authoritativeness» steht und einen Standard bei der Glaubwürdigkeit von Nachrichten setzt. Oder Starbucks, wo es mehr um «Sociability» als um Kaffee geht – darum, einen Ort zu bieten, an dem sich die Menschen wohlfühlen, während sie Kaffee trinken, sich unterhalten oder ihre Zeitung lesen.  

«Big Ideas» können auch emotional sein, wie Disney mit «Fun» oder Orange mit «Optimism». Erinnern Sie sich noch an «the future is bright, the future is Orange» als vor etwas mehr als 20 Jahren der Schweizer Telekommunikationsmarkt liberalisiert wurde? Eine «Big Idea» kann auch ethisch oder politisch sein, wie Amnesty International mit «Human Rights» oder, früher, Benetton mit «Humanity». Oder sie kann fast schon spirituelle Anmutungen haben, wie Bang & Olufsen es mit «Poetry» macht.

Aber «Big Ideas» sind schwer in Worte zu fassen. Sie sind wie Schönheit: Sie verflüchtigen sich, wenn man versucht, sie zu definieren; aber wie Schönheit sind sie sofort erkennbar, wenn man ihnen begegnet. Das ist der Grund, warum «Big Ideas» so mächtig sind. Wichtig ist: Diese Ideen sind nicht nur Wischiwaschi-Gefühle. Sie sind klare Standpunkte. Sie stehen für manche Dinge, und positionieren sich gegen andere.

Was macht eine Idee zur «Big Idea»?

Eine «Big Idea» hat drei wesentliche Eigenschaften:

1. «Big Ideas» sind radikal. Es gibt zwei Möglichkeiten, mit der Realität fertigzuwerden – entweder passt man sich ihr an oder man stemmt sich gegen sie. «Big Ideas» wollen die Welt verändern. Sie sind gegen den Status quo. Sie wollen die Dinge im Kern verändern, anstatt nur einige Stellschrauben zu drehen. «Big Ideas» sind nonkonformistisch: Sie brechen mit dem konventionellen Denken.

2. «Big Ideas» sind sozial. Eine «Big Idea», die nie aus dem Kopf eines Gründers oder CEOs herauskommt, ist keine «Big Idea». Die «Big Idea» von Ikea gehörte nicht Ingvar Kamprad, sondern all den Menschen auf der ganzen Welt, die bei Ikea einkaufen oder dort arbeiten. Sie verbindet somit alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem sozialen Status oder ihren sonstigen Haltungen.

3. «Big Ideas» sind greifbar. «Big Ideas» werden ausgedrückt durch das, was getan wird – und nicht durch das, was gesagt wird. Sie werden also mit Produkten und Dienstleistungen geschaffen, nicht mit Visionen und Werten. Eine «Big Idea» sollte daher auch nicht anhand von Worten, sondern anhand von Taten beurteilt werden.

Idee schlägt Produkt

Der wichtigste Marktplatz ist heute der Marktplatz der Ideen. Der Kampf um die grössten und besten ist eröffnet: Anstelle von Apple vs. Microsoft, Swiss vs. Virgin, Sony vs. Bang & Olufsen geht es heute um einen Wettstreit der Ideen. Apple steht für «Difference», Microsoft für «Ubiquity». Womit identifizieren Sie sich? Swiss bietet ein «Feeling of Reassurance», Virgin einen «youthful Iconoclasm». Welche Idee kann mehr Passagiere begeistern? Bei Sony geht es um «Miniature Perfectionism», bei Bang & Olufsen um «Poetry». Was finden Sie überzeugender?

«Big Ideas» schaffen eine besondere Art der Bindung an das Unternehmen: Sie führen dazu, dass sich Menschen mit ihm identifizieren. Wer ein Produkt oder eine Dienstleistung eines Unternehmens mit einer «Big Idea» nutzt, konsumiert nicht einfach nur, sondern hat das Gefühl, damit zum Teil einer grösseren Idee zu werden. Die Firma ist somit nicht allein «unternehmerische Institution», sondern eine Art «Verein». Nicht eine «Organisation», sondern eine «Gemeinschaft». Und kein exklusiver Kreis von «Insidern» und «Outsidern», sondern ein gedanklicher Ort, der offen für alle Menschen mit derselben Überzeugung ist.

Aber: Wenn sich eine «Big Idea» zu geschmeidig anfühlt, ist sie wahrscheinlich noch nicht gross genug. Eine «Big Idea» erfordert den Mut, im Abseits zu stehen und nicht ein Auffangbecken für alle möglichen Überzeugungen und Einstellungen zu sein. Die Belohnung ist die Mühe wert: Ist die Strahlkraft der «Big Idea» erst einmal gross genug, wird teure Werbung nebensächlich.

Was ist Ihre «Big Idea»?


Dieser Beitrag ist inspiriert von vielen Gesprächen mit Robert Jones und seinem lesenswerten Buch zum Thema.



Thomas Ruck ist Managing Director bei Accenture Interactive.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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