02.04.2018

Zattoo

«Auch eine Swisscom könnten wir stemmen»

Der Mobilfunkanbieter Salt nutzt für sein TV-Angebot die technische Plattform von Zattoo. Gründerin Bea Knecht sagt, was dieser Deal bringt. Zudem verrät die 50-Jährige, warum fast niemand ihre Targeted-Ad-Lösung nutzt – und weshalb es einfacher ist, ein Mann zu sein.
Zattoo: «Auch eine Swisscom könnten wir stemmen»
«Männer haben ein Teamverhalten, das einem Wolfsrudel gleicht», sagt Bea Knecht, Verwaltungsratspräsidentin von Zattoo. (Bild: Zattoo)
von Christian Beck

Frau Knecht, das Jahr hat gut angefangen: Der Mobilfunkanbieter Salt setzt für die TV-Lösung voll auf Zattoo (persoenlich.com berichtete). Was bedeutet dieser Auftrag?
Das sind Good News. In der Schweiz etwas weniger wahrgenommen wurde, dass in Deutschland auch der Anbieter 1&1 auf uns setzt. Das ist ein Riesendeal, der uns hoffentlich noch lange begleiten wird. Ich wage zu behaupten: Auch eine Swisscom könnten wir stemmen, wenn sie uns lassen würde. Der Auftrag von Salt bringt uns näher zu Apple. Apple zollt uns einen gewissen Respekt. Da haben einfach alle Puzzleteile zusammengepasst. Der Deal hat jetzt in der Telekommunikationsbranche Aufruhr verursacht. Ich sage schon lange, dass man auf Consumer-Boxen setzen müsste.

Warum?
Häufig sind solche Consumer-Boxen quersubventioniert, zum Beispiel von Amazon und Google. Zudem haben die Boxen meistens die neueste Technologie drin. Apple TV ist sensationell, läuft rund, weil gute Prozessoren verbaut sind. Und: Consumer-Boxen sind auf einfache Bedienung ausgerichtet und bieten mehr als eine einfache TV-Box, was schliesslich für den Konsumenten Mehrwert schafft. Sie sollen Spass haben mit dieser Box – deshalb wurde beim Launch auch an alle Teilnehmer eine solche Box verschenkt.

Dies wiederum werteten einige Journalisten als Bestechung…
Ein Journalist sagte, er nehme die Box an, schreibe einen Test, verkaufe die Box auf Ricardo und spende den Erlös für einen guten Zweck. Das war keine dumme Antwort. Es ging am Anlass darum, zu zeigen, dass Apple TV kein Spielzeug ist, sondern eine sensationelle High-End-Box, die nebst On-Demand-Inhalten auch Live-TV prima wiedergeben kann.

Was lässt sich Salt den Dienst von Zattoo kosten?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. In der Vereinbarung mit Salt sind einige Sachen geheim. Wenn ein Kabelnetzbetreiber das machen möchte, dann gibt unser B2B-Team gerne Auskunft zu den Kosten.

«Wir machen vieles einfacher, was früher noch kompliziert war.»

Es gibt Stimmen, die dem linearen Fernsehen den Tod voraussagen. Goldbach-CEO Michi Frank sieht jedoch grosses Potenzial…
…dafür braucht es Techniker wie uns, um dieses Potenzial zu heben. Wir machen vieles einfacher, was früher noch kompliziert war – zum Beispiel das Einstellen des Bildformats, das Darstellen von Untertiteln. Wir wollen auch genau markieren, wann eine Sendung beginnt und aufhört. So kann die Sendung beim zeitversetzten Fernsehen oder bei der Aufnahme genau dort starten, wo sie tatsächlich beginnt. Auch bei der Werbung wollen wir wissen, wann welche Werbung begonnen hat und in welchem Umfeld sie gezeigt wurde. Das ist nötig, wenn man Werbung mittels Dynamic Ad Insertion besser machen will.

Was ist in Sachen zielgerichteter Werbung bei Zattoo der Stand der Dinge?
Wir haben eine der besten Dynamic-Ad-Insertion-Lösungen, die jedoch in der Schweiz wenig genutzt wird – im Vergleich zu Deutschland. Weil wir unsere Stärke bei der Live-Verbreitung haben, ist es für uns ein Leichtes, Werbung sofort auszuwechseln. Wenn Sie jetzt Zattoo einschalten, merken wir das und können direkt die für Sie passende Werbung ausspielen.

Und warum nutzt die Lösung kaum jemand?
Ach, in der Schweiz sagt beispielsweise Goldbach dem Werbeauftraggeber: «Wenn du bei uns buchst, hast du Reichweite auf fast alle TV-Zuschauer – und obendrauf kriegst du noch acht Prozent weitere Coole und Hippe, die über Zattoo schauen.» TV wird als Massenwerbemedium vermarktet, und über die Reichweitenmessung erfolgt die Beweisführung. Weshalb also dieses Massenmedium zerstückeln in lauter Targeted Ads?

«Der Kunde will ein TV mit weniger Werbung.»

Alles hat also Angst vor Targeted Advertising, obwohl überhaupt noch nicht Realität…
Definieren wir den Begriff «alles»: Vielleicht haben die «Freiburger Nachrichten» Angst, wenn plötzlich Swisscom mit Admeira eine Aktion der Migros in der Region Freiburg verbreitet – diese Botschaft wird bislang via Zeitungsinserat kommuniziert. Also: «Alles» ist die Printbranche. Den Kunden juckt das nicht. Der will ein TV mit weniger Werbung – und diese Werbung soll dann nicht so undifferenziert und unpassend sein. Das Konsumentenerlebnis würde durch Targeted Ads massiv verbessert werden.

Wie kann man überhaupt Targeted Ads verkaufen, wenn die Zuschauer die Werbung ohnehin überspulen?
Gerade deshalb kann man es am besten. Wenn Werbung gut und relevant ist, wird sie geschaut. Vielleicht könnte man künftig einfach noch eine Spulbremse einbauen. Gewisse und vor allem passende Werbung würde so gezeigt – aber nicht mehr der ganze Block.

BeaKnecht

2005 gründeten Sie Zattoo als Mann, seit 2012 sind Sie eine Frau. Was ist einfacher in der Geschäftswelt – Mann oder Frau zu sein?
Eindeutig Mann.

Wie merken Sie das?
Männer können Sätze fertig reden. Und es gibt das Vorurteil, dass ein Mann etwas kann und die Frau sich zuerst beweisen muss. Männer haben ein Teamverhalten, das einem Wolfsrudel gleicht. Es gibt einen Alphawolf, dem die anderen Wölfe folgen. Die Alphawölfe haben sich die Position im Rudel erarbeitet durch Loyalitätsbeweise.

«Das ganze Dreckfressen ist Frauen komplett fremd.»

Und Frauen sind in diesem Rudel Fremdkörper?
Frauen denken anders. Das ganze Dreckfressen in einem Hazing-Ritual, um blinde Loyalität zu untermauern, ist Frauen komplett fremd. Viele Aufgaben im Männerleben sind in einer Grauzone zwischen ernsthafter Aufgabe und Testaufgabe. Männer fragen weniger nach dem Sinn, sondern fügen sich in die Prozesse ein. Frauen würden hier unterscheiden und den Sinn der Testaufgaben hinterfragen.

Woher kommt das?
Eine These: Da Frauen Leben spenden und dazu einen unversehrten Körper brauchen, machen sie eine Güterabwägung, bevor sie mit ihrem Körper etwas Gefährliches machen. Sollen sie sich wirklich mit dem Mountainbike Klippen hinunterstürzen? Für Männer liegt das Risiko einfach bei ein paar Knochenbrüchen. Und aus dieser natürlichen Güterabwägung heraus hinterfragt eine Frau auch im Geschäftsalltag viel häufiger.

Der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der grössten Schweizer Unternehmen ist im letzten Jahr auf sieben Prozent gesunken…
…nicht nur das. Häufig sind die Frauen in Funktionen wie HR oder Kommunikation. Das sind zwei Funktionen, die wenig mit Projekten oder Produkten zu tun haben. In den eigentlichen Projektteams arbeiten häufig nur Männer. Männer leisten ohne Frage gute Arbeit, aber das System ist von einer Beschaffenheit, das nicht auf Frauen ausgerichtet ist.

Braucht es deshalb eine Quote?
Früher dachte ich, dass dies eine heikle Massnahme sei. Frauen haben so gleich das Stigma, dass sie Quotenfrauen sind. Heute bin ich überzeugt, dass es die Quote braucht – auch wenn es schöner wäre, wenn es sie brauchen würde. Vor allem braucht es aber eine Auseinandersetzung mit dem Thema.

Verstehen Sie die Forderungen von Politikerinnen, dass auf SRF-Direktor Ruedi Matter eine Frau folgen muss?
Ich kann die Forderungen verstehen. Es ist das provokante Politisieren einer Neubesetzung. Dies, weil SRF eine Organisation ist, die nur dank Gebührengeldern überhaupt funktionieren kann und deshalb zur Projektionsfläche für solche Wünsche wird. Aber Headhunter sollen sich doch mal auf die Suche nach Frauen machen. Sie werden erstaunt sein, wie viele kompetente Frauen es gibt.



Bea Knecht ist Verwaltungsratspräsidentin und Gründerin des Streaminganbieters Zattoo. Die heute 50-Jährige lebte die ersten 45 Jahre ihres Lebens im Körper eines Mannes. Während einer Auszeit vollzog sie eine Geschlechtsangleichung.

Das komplette Interview lesen Sie in der April-Ausgabe von «persönlich», die nächste Woche erscheint. Dort beantwortet Knecht auch die Frage, ob sie sich als Nachfolgerin von Ruedi Matter sehen würde.




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