04.11.2019

Schweizer Social Network

«Es würden neue Medien aufblühen»

Im «Magazin» vom Samstag fordert er ein eigenes soziales Netzwerk für die Schweiz. Hannes Grassegger erklärt, was dabei die Rolle der SRG wäre und wer von einer solchen Infrastruktur profieren könnte.
Schweizer Social Network: «Es würden neue Medien aufblühen»
An einer Veranstaltung des World Economic Forum in Genf wird Hannes Grassegger am 12. November darüber referieren, wie man Falschinformation im Web bekämpfen kann. (Bild: zVg.)
von Edith Hollenstein

Herr Grassegger, ist das eigene Social Network für die Schweiz ein ernst gemeinter Vorschlag oder ein Gedankenexperiment?
Das ist: Todernst, notwendig – und vor allem machbar. Ein Lösungsansatz für die Medienkrise und zum Umgang mit den Tech-Plattformen. Ein öffentlich-rechtliches soziales Netzwerk für News würde uns einen Raum schaffen, in dem wir vertrauenswürdige News aus allen Medien bekämen. Rechts wie links. Es wird immer komplizierter, sich umfassend zu informieren. Überall Paywalls, Trash, Disinformation. Ein schweizerisches soziales Netzwerk wäre ein kostenloser Vertriebsweg für alle Medien, die sich verpflichten, faktisch korrekt zu berichten. User könnten sharen, kommentieren und einfacher zahlen. Das würde Kleinen wie Grossen helfen. Es wäre, wie endlich ein Verkehrsnetz aufzubauen, statt alle irgendwelche Privatstrassen bauen zu lassen.

Sie schreiben im «Magazin», dieses Netzwerk würde ein Stückweit sogar die derzeit bedrohte Demokratie retten.
Wir müssen unserer Gesellschaft einen gemeinsamen Boden der Tatsachen sichern, wenn wir sie zusammenhalten wollen im digitalen Zeitalter. Wir sehen die gesellschaftlichen Risse beim Brexit, in den USA und zunehmend auch in Deutschland. Die Lage ist wirklich ernst. Unser Land ist ein ideelles Konstrukt. Wir reden über digitale Staatsbürgerschaft und E-Voting, aber was ist denn «Die Schweiz» im digitalen Raum? Es geht drum, einen sicheren und souveränen Informationsraum aufzubauen für unsere ganze Gesellschaft.

«Anstossen könnten es die SRG-Leitung und das Bakom»

Wer, denken Sie, könnte ein solches Projekt vorantreiben?
Die Schweizer Politik hat sich lange für handlungsunfähig erklärt, was den Umgang mit dem Netz angeht. Man sagte sich: Wir sind zu klein um Konzerne wie Alphabet zu zerschlagen. Und beim Datenschutz nimmt es uns die EU ab. Hier ist jetzt etwas, dass wir selber machen können. Und es gibt überall Ansätze: die Login-Allianz, der Wepublish Verein, Refind.

Wo, von welcher Stelle aus, müsste die Initiative gehen?
Anstossen könnten es die SRG-Leitung und das Bakom, Abteilung Digitale Medien. Sicher auch die Verleger. Man müsste prüfen, ob man die gesetzliche Grundlage anpassen müsste für die SRG. Dann wäre es eine politische Frage.

Sie schreiben, das Netzwerk solle aus unseren Radio- und TV-Gebühren finanziert werden. Die SRG würde in Ihrem Modell also fast keine Inhalte mehr anbieten, sondern die Infrastruktur.
Die SRG ist kein Museum für lineare Medien. Sie hat den Auftrag, Zusammenhalt zu schaffen. Genau das können soziale Medien. Man modernisiert sich nicht durch Einsparungen, sondern durch Vision. Nach Radio, TV und Online macht es absolut Sinn, wenn die SRG jetzt ein soziales Netzwerk für News aufbauen würde. So empfangen und senden wir heute Nachrichten. Das wird künftig zunehmen. Dabei aber stünde sie nicht in der Rolle der Produzentin von Inhalten. Sie würde nicht Privaten konkurrenzieren, sondern ein Vertriebsnetz bieten, das der «Sarganserländer» genauso nutzen kann wie die «Weltwoche», und vielleicht sogar akkreditierte YouTuber im Stil von Rezo.

Was hiesse das für das Personal?
Zum Betrieb eines sozialen Netzwerks müsste man von den derzeit 2100 Stellen vielleicht 200 Mitarbeiter einsetzen, wenn man runterbricht, was etwa Facebook benötigt. Es gäbe also weiterhin viele SRG-Inhalte. Gleichzeitig würde das SRG-Netzwerk journalistische Jobs schaffen, weil neue Medien aufblühen würden.

«Die Schweiz ist ein Labor»

Was, wenn die Schweizerinnen und Schweizer trotz des schweizerischen Social Networks trotzdem lieber Instagram, Facebook, Google News oder TikTok nutzen? Der Staat kann diese Plattformen für Schweizerinnen und Schweizer ja nicht einfach sperren.
Dieses Netzwerk ist keine Konkurrenz zu Facebook und Co, sondern Komplement. Ein Netzwerk nur für Schweizer Newsmedien. Der einfachste Weg zu allen News. In den letzten Jahren haben sich zahlreiche spezialisierte Netzwerke in Nischen etabliert. Jobs auf LinkedIn oder Xing. Flirten auf Tinder. Alles hat seinen Platz im Netz. Und die Fakten brauchen jetzt ihren.

Neben Ihrem Text im «Magazin»: Wie engagieren Sie sich darüber hinaus für Ihre Idee?
Ich muss diese Idee loswerden. Sie geht mir seit einer Diskussion zu «No Billag» im Kosmos nicht mehr aus dem Kopf. Im November teste ich es noch im Rahmen eines Cybersecurity-Panels am World Economic Forum. Ich würde gerne ein Panel dazu organisieren. Dann bin ich im Gespräch mit englischsprachigen Medien. Ich glaube wirklich, das ist eine gute Idee auch für andere. Die Schweiz ist ein Labor.



Hannes Grassegger hat die Fragen schriftlich beantwortet.



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Kommentare

  • Leo Wehrli, 04.11.2019 09:12 Uhr
    Der Ansatz ist interessant. Ich finde das Wort «Soziales Netzwerk» aber unpassend und verwirrend, um dieses Projekt zu beschreiben. Besser: Netflix für News, Flatrate News-Aggregator oder Readly für alles. In einem Social Network geht es vor allem darum, dass User selbst Inhalte hochladen und untereinander damit interagieren. Das, was hier beschrieben wird, ist aber ein System, in dem nur Medien Inhalte publizieren, während der User konsumiert und eventuell kommentiert.
  • Christoph Glauser, 04.11.2019 08:26 Uhr
    Ja sicher. Aber zuerst mal messen was der digitale Markt überhaupt her gibt. Zusammenarbeit mit den Universitäten ist inzwischen auf diesem Gebiet sowieso Pflicht. Das übliche Sendungsbewusstsein reicht nicht, um bei der starken Konkurrenz erfolgreich zu sein. Ihr wirkungsorientierter Online-Forscher.
  • Fred Rios, 03.11.2019 22:41 Uhr
    Guter Ansatz. Eine Suchmaschine ohne kommerziellen Hintergedanken, neutral, made in Switzerland (vielleicht in Zusammenarbeit mit der ETH) wäre aber die wohl noch bessere Idee.
Kommentarfunktion wurde geschlossen

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