04.06.2020

Onlineforschung in Geldnot

«Profitieren würden Google, Facebook & Co.»

Ende Jahr wird Net-Metrix die bisherige Onlineforschung einstellen. Für eine Nachfolgelösung, die für die Schweiz von zentraler Bedeutung sei, soll der Bund aufkommen, fordern zehn Medien- und Werbeverbände. Siri Fischer erklärt die Hintergründe.
von Edith Hollenstein

Frau Fischer, Sie fordern Geld aus dem Medienförderungspaket, das der Bundesrat im März beschlossen hat. Wofür?
Das Geld soll für eine unabhängige, wissenschaftlich fundierte und langfristige Schweizer Onlinenutzungsforschung eingesetzt werden. Die Onlinenutzungsforschung ist ein wichtiges Fundament, um grossen und kleinen Onlineangeboten in der Schweiz langfristig eine werbefinanzierte Existenz zu ermöglichen. Nötig wird dies, weil die bisherige Schweizer Onlineforschung Ende Jahr eingestellt wird und es danach nur noch selbstdeklarierte Leistungswerte der Onlineanbieter gäbe. Die geforderte Unterstützung der Onlinenutzungsforschung ist eine breitabgestützte Schweizer Branchenlösung und stärkt alle Onlinemedien in der Schweiz gleichermassen.

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Wie viel Geld benötigen Sie?

Mit 2 Prozent der Radio- und Fernsehabgabe will der Bundesrat neben Aus- und Weiterbildung, Nachrichtenagenturen und Selbstregulierung auch IT-Projekte unterstützen, die als gemeinsame Plattform allen Onlinemedien dienen. Wir empfehlen, dass bei der Zuweisung der Mittel für IT-Projekte jährlich 2 Millionen Franken aus der Radio- und Fernsehabgabe der Schweizer Onlinenutzungsforschung für den Aufbau einer solchen gemeinsamen Plattform zur Verfügung gestellt werden.

Welchem Anteil entsprechen 2 Millionen Franken jährlich?
Gemäss Mediapulse sprechen wir insgesamt von rund 6 Millionen Franken im laufenden Betrieb pro Jahr. Das heisst, die 2 Millionen wären etwa ein Drittel der jährlichen Gesamtkosten im laufenden Betrieb.

Warum braucht die Schweiz eine eigene, unabhängige Forschung?
Der Bundesrat will in Zukunft auch Onlinemedien mit staatlichen Mitteln unterstützen. Eine unabhängige Onlinenutzungsforschung dient zur Kontrolle der eingesetzten Mittel und der erbrachten Leistungen der unterstützten Medien. Nur so sind die Aufsichtsbehörden in der Lage, die Wirksamkeit der staatlichen Unterstützung einzuordnen und bei Bedarf anzupassen.

Und die Medien können so verlässliche, vergleichbare Werte anbieten.
Ja, genau: Für werbefinanzierte Medienangebote ist eine breit anerkannte Nutzungsforschung eine Voraussetzung für Einnahmen im Werbemarkt und gleichzeitig dient sie als Einheitswährung für die Werbeindustrie. Wir unterstützen die geplante Onlineforschung auch im Hinblick auf Leistungswerte für Onlinekampagnen, die wir gerne mit dem TV zusammenbringen möchten. Damit könnten wir in einem nächsten Schritt die Nutzung von Videoinhalten und Bewegtbildkampagnen unabhängig vom Verbreitungskanal ausweisen.

Ende Jahr wird Net-Metrix die Schweizer Onlineforschung einstellen. Können Sie skizzieren, was dies für die verschiedenen Akteure bedeutet?
Trotz Initiativen verschiedener Branchenorganisationen und im Gegensatz zu den Schweizer Medien lassen sich die weltweit agierenden Onlineanbieter wie Google, Facebook & Co nicht von einer neutralen Instanz messen. Sie setzen auf ihre proprietären, für Aussenstehende oft nicht nachvollziehbaren Nutzungszahlen. Die bisherige Schweizer Onlineforschung stellt als Gegenpol eine Schweizer Branchenlösung dar, die es aber bald nicht mehr gibt. Nach der Einstellung wird es nur noch selbstdeklarierte Leistungswerte geben, sowohl von den internationalen wie auch von den Schweizerischen Onlineanbieterinnen. 

Würde das Google, Facebook & Co helfen?
Ja, diese multinationalen Unternehmen wären Profiteure, denn sie verfügen zwar über detaillierte Zahlen, unterliegen jedoch keiner neutralen Messung. In der Folge würde wohl noch mehr Geld zu ihnen fliessen. Eine unabhängige, wissenschaftliche Messung ist sehr wichtig für den effektiven Einsatz des Werbefrankens und somit zentraler Pfeiler der langfristigen Ertragssicherung Schweizer Medienunternehmen.

Nun nimmt also Mediapulse einen neuen Anlauf, die Forschung um Online zu erweitern. Warum sind Sie zuversichtlich, dass dieses Vorhaben nicht erneut scheitern wird?
Es ist immer noch gut möglich, dass die geplante Onlineforschung nicht zustande kommt. Mediapulse kann nur bis zu einem gewissen Grad in die Vorleistung gehen und dies auch nur, weil das neue Onlinemesssystem teilweise auf dem bestehenden TV-Panel basiert. Bislang sind einige Forschungs-Initiativen gescheitert, weil zu viel gleichzeitig versucht wurde. Nun soll Schritt um Schritt auf- und ausgebaut werden. Damit lassen sich die Risiken besser einschätzen und minimieren. Optimistisch stimmt uns vor allem, dass bei einer kombinierten TV- und Online-Messung aus der gleichen Messquelle, dem sogenannten single source, ein zusätzlicher Mehrwert der Nutzungsdaten geschaffen wird.

Unterzeichner des Briefes sind neben der IGEM IAB, IRF, KS/CS, LSA, RRR, SWA, Telesuisse, Schweizer Medien und VSP. Wenn das Anliegen so breit abgestützt ist: Warum benötigen Sie trotzdem Geld vom Bund?
Die heute praktizierte Medienforschung durch Mediapulse ist breit anerkannt, stösst jedoch bei der Messung von digitalen Plattformen und Medienangeboten mit geringer Nutzung an Grenzen. Gerade für kleinere, oft regional ausgerichtete Medienanbieter ist es von grosser Bedeutung, dass sie ihre Leistungen auch künftig im Werbemarkt ausweisen können. Diese Medienanbieter werden sich die hohen Kosten einer zuverlässigen Medienforschung nicht leisten können. Die Unterstützung der Onlinenutzungsforschung ist eine sehr zielgerichtete und wettbewerbsneutrale Form der indirekten Medienförderung und leistet damit einen Beitrag zur Schweizer Medienvielfalt.



Das Interview wurde schriftlich geführt. 



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Kommentare

  • Christoph Glauser, 05.06.2020 10:13 Uhr
    Wichtiges Thema. Selbstverständlich sollte es finanzielle Unterstützung für die wissenschaftliche Untersuchung von Online-Märkten geben. Wichtig wäre dabei aber, auf Methodenvielfalt zu setzen und sie Forschung tatsächlich von Universitäten oder Fachhochschulen durchführen zu lassen, ansonsten ist die nötige institutionelle Unabhängigkeit von den Anbietern nicht gewährleistet. Unabhängige Quellen für die Nutzung wie ArgYou.com gibt es aber bereits, die ganz ohne öffentliche Gelder auskommt.
  • Ueli Custer, 05.06.2020 08:36 Uhr
    Gratuliere zur Initiative und zur überzeugenden Argumentation!
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