05.06.2024

Journalist:innen im Web

Social Media ist Fluch und Segen

Schweizer Medienschaffende nehmen das Social Web ambivalent wahr. Dies zeigt die Studie «Journalist:innen im Web 2024» von Bernet Relations und dem Institut für Angewandte Medienwissenschaft IAM der ZHAW. Basis für die Studie bildeten Interviews mit 20 Journalisten.
Journalist:innen im Web: Social Media ist Fluch und Segen
Seit 2015 gaben Schweizer Journalistinnen und Journalisten in über 80 Gesprächen Auskunft über ihre Nutzung des Social Webs. (Bild: Pixabay)

Fluch und Segen – so nehmen Journalistinnen und Journalisten Social Media in ihrem Arbeitsalltag wahr. Die Abhängigkeit von Plattformen, der zeitliche Aufwand und die teilweise bedenkliche Qualität der Inhalte empfinden Medienschaffende als ärgerlich und belastend. Gleichzeitig schätzen sie die neuen Möglichkeiten, die sich durch Social Media eröffnen, sei das in der Themenfindung, der Recherche oder der Kommunikation mit Fachcommunities und dem Publikum. Dies sind die Resultate der Studie «Journalist:innen im Web 2024», die am Social-Media-Gipfel vom Mittwoch vorgestellt wurde.

Im zweiten Halbjahr 2023 führten Bernet Relations und das Institut für Angewandte Medienwissenschaft IAM der ZHAW die vierte Runde an qualitativen Interviews durch – mit 20 ausgewählten Schweizer Journalistinnen und Journalisten, wie es in einer Mitteilung heisst. Im Fokus seien die Tätigkeiten Recherchieren, Publizieren und Diskutieren gestanden. Zudem sei nach der Organisation der Social-Media-Aktivitäten gefragt worden. Wie schon in früheren Befragungen falle die ambivalente Haltung der Medienschaffenden auf. Guido Keel, wissenschaftlicher Studienleiter/IAM ZHAW, sagt: «Die Journalist:innen schätzen den Nutzen von Social Media und sind fasziniert von deren Möglichkeiten. Gleichzeitig wären sie gerne weniger darauf angewiesen.»

Recherchieren: Differenzierte Beurteilung der Glaubwürdigkeit

In früheren Befragungen zeigten sich die Journalistinnen und Journalisten skeptisch in Bezug auf die Glaubwürdigkeit. Hier lässt sich laut der Studie eine Veränderung feststellen: Medienschaffende differenzieren bezüglich Glaubwürdigkeit stark nach Absenderin oder Absender und übernehmen Inhalte aus den Social Media für ihre Arbeit, wenn sie Absenderin oder den Absender kennen und sicher sind, dass es sich um eine authentische Aussage handelt. 

Publizieren: Viralität und Twitter-Bubble

Medienschaffende setzen Social-Media-Kanäle gezielt ein, um auf Artikel und Beiträge aufmerksam zu machen. Zudem erweitert das Social Web das Publikum geografisch wie auch demografisch. Warum eine Geschichte online besonders gut ankommt, bleibt schwierig zu wissen. Ein Befragter sagt: «Ich habe das Gefühl, dass man bei der Frage, was auf Social Media funktioniert, extrem viel reininterpretieren kann.» Journalistinnen und Journalisten gehören zudem zu den eifrigsten Followern von anderen Berufskolleginnen und -kollegen. Dieser Umstand trägt so zu einem gewissen Bubble-Phänomen bei. Jüngst sorgten zudem die Veränderungen bei Twitter/X (Trollflut, X-Entwicklung) zu einer gewissen Wehmut und Heimatlosigkeit; einige Journalistinnenen und Journalisten haben sich abgewandt und noch keine äquivalente Plattform gefunden, schreiben die Studienautoren.

Diskutieren: Zwischen Telefon und Troll

Ob und wie eine Journalistin oder ein Journalist Social Media für den Dialog mit der Leserschaft nutzt, unterscheidet sich von Medium zu Medium. Bei einigen Befragten lassen Diskussionen mit dem Publikum eine Folgegeschichte entstehen; andere wiederum erachten den Online-Dialog eher als Einbahnstrasse. Einigkeit herrscht, dass die wirklich relevanten Dialoge nicht auf Social Media stattfinden. «Ein Austausch beginnt auf Facebook oder Twitter. Sobald die Recherche vertiefter wird, wechseln die Journalist:innen zum persönlichen Gespräch», wird Irène Messerli, Co-Herausgeberin bei Bernet Relations, in der Mitteilung zitiert. Das unschöne Phänomen der Trolle und Hass-Kommentare kennen alle Befragten. Hier ist das Ignorieren die am häufigsten gewählte Strategie. Gleichwohl zeigt sich: Nimmt man sich die Zeit und sucht den digitalen Austausch, normalisiert sich der Dialog. 

Neue Möglichkeiten

Social Media für den unkomplizierten, schnellen und zeitversetzten Dialog zu nutzen, schätzen Kommunikationsprofis und Medienschaffende gleichermassen. Ein persönliches Treffen ersetzt er aber nicht. Mit dem steigenden Zeitdruck und der Fülle an digitalen Angeboten schwindet die Beliebtheit der Medienkonferenzen oder Events. 

Stattdessen zeigen sich die Medienschaffenden sehr offen gegenüber neuen Online-Quellen und Informationsformen. So gewinnen Fachexpertinnen und -experten sowie Corporate Influencer als neue Quelle bei den Journalistinnen und Journalisten an Bedeutung. Dominik Allemann, Co-Herausgeber bei Bernet Relations sagt: «Journalist:innen verlassen aus Zeit- und Spardruck ihre Redaktionen kaum – via Social Media bringt ihnen schnell spannendes, relevantes Kontextwissen oder öffnet brauchbare Infoquellen.» Dies eröffne den Kommunikationsprofis und den Expertinnen und Experten aus den Unternehmen die Chance, sich mit innovativen Informations- und Austauschformaten abzuheben.



Die vollständige Studie «Journalisten im Web 2024», welche in Zusammenarbeit des IAM der ZHAW und Bernet PR erarbeitet wurde, kann hier heruntergeladen werden.


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