05.01.2023

Photo Schweiz

«Bilder sollten direkt ins Herz gehen»

Am Freitag startet die Photo Schweiz – die wichtigste Werkschau für Fotografie in der Schweiz. Lead-Kurator und Fotograf Daniel Bolliger sagt, warum es dieses Jahr besonders viele Landschaftsfotos gibt, was die künstliche Intelligenz mit der Fotografie macht – und er zeigt seine Best-ofs.
Photo Schweiz: «Bilder sollten direkt ins Herz gehen»
«Fotografie hat sehr viel mit Psychologie zu tun»: Daniel Bolliger, Fotograf und Lead-Kurator der Werkschau «Photo Schweiz». (Bild: Willy Spiller)
von Maya Janik

Daniel Bolliger*, welches Wort kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie das Bild oben anschauen?
Feinsinnig.

Sie haben dem Autor des Fotos, Hussein Alusch, eine Ihrer fünf sogenannten «Wildcards» gegeben. Warum?
Die beiden Co-Kuratoren der Photo Schweiz und ich dürfen jeweils fünf «Wildcards» vergeben. Wir wollen damit bestimmten Künstlern mehr Sichtbarkeit verschaffen. Die «Wildcards» bekommen in der Presse viel Beachtung.

Was gefällt Ihnen an der Bilderserie von Hussein Alusch?
Ich finde die Bilder unglaublich schön. Sie strahlen eine Tiefgründigkeit und Feinheit aus. Ich kenne Hussein schon lange und verfolge mit, wie er sich weiterentwickelt. Er hat Modedesign studiert und zunächst Moodboards kreiert, die sehr eigen sind. Seine Bilder, die wir an der Werkschau zeigen, sind hyperrealistische Collagen, bei denen man sich als Betrachter fragt, wie sie entstanden sind. Es sind keine Fotografien, aber auch keine Bilder, bei denen künstliche Intelligenz zur Anwendung kam. Am besten kommt ihr vorbei und schaut sie euch an. Vielleicht erklärt euch der Künstler selbst, wie er diese feinen Bilder erschaffen hat.

Wie muss ein Bild sein, damit Sie es richtig gut finden?
Es muss mich berühren und überraschen. Durch meine jahrzehntelange Erfahrung in der Fotografie und Kunst spüre ich sofort, ob ein Bild oder eine Arbeit etwas zu sagen hat. Arbeiten sollten direkt ins Herz gehen.

Wie würden Sie Ihren Foto-Geschmack beschreiben?
All over the place, ich mag so viele unterschiedliche Stilrichtungen. Ich würde sagen, mein Geschmack ist sehr vielseitig, sehr progressiv und stilsicher. Ich mag es ein bisschen verrückt, und lustig darf es auch sein.

Werden wir viele verrückte und lustige Bilder an der Werkschau sehen?
Wir zeigen jede Menge tolle Bilder, Sonderausstellungen und Installationen. Ich entscheide aber nicht allein, was gezeigt wird, und kann meine Kuratoren-Kollegen nicht überstimmen, wenn beide gegen eine Bewerbung stimmen. Ich habe einen vielseitigen Hintergrund, ich komme ursprünglich aus der Malerei und vom Zeichnen. Joshua Amissah und ich müssen bei der Verteilung der Wildcards manchmal aufpassen, dass wir nicht die gleichen Künstlerinnen und Künstler angehen. Neomi Gamliel ist eher klassischer und sportlicher unterwegs und der perfekte Ausgleich.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Bilder für die Werkschau ausgewählt?
Die Photo Schweiz steht allen Fotografierenden offen. Auf Bewerberinnen und Bewerber, deren Potenzial wir sehen, aber deren eingereichte Arbeit optimiert werden muss, gehen wir zu. Ein gutes Einzelbild bringt jeder fertig, aber in einer Serie zu denken und Bilder gezielt zu platzieren, das ist hohe Kunst.

«Wir haben dieses Jahr sehr viel Landschaftsfotografie» 

Gibt es Themen oder Motive, die in den Arbeiten dominieren?
Spannend sind drei Trends. Erstens sind Diversität, Identität und die Suche nach dem Selbst primär ein urbanes, junges Thema, aber hier dafür umso präsenter. Zweitens haben wir immer mehr Arbeiten an der Schnittstelle von fotografischer Realität und digitaler Fiktion - Künstliche Intelligenz wird zum Darstellungsgehilfen. Dank der Digitalisierung sind der Fotografie keine Grenzen mehr gesetzt.

Und drittens?
Wir haben auf der Werkschau übermässig viel Reportage-, Landschafts- und Tier-Fotografie.

Wie erklären Sie sich die vielen Naturbilder?
Offensichtlich hat es die Fotografinnen und Fotografen in die Natur und in die weite Welt hinausgezogen, nach über zwei Jahren Pandemie, Lockdown und Zuhause. Die letzten Jahre haben den Menschen wohl auch dazu bewegt, sich wieder mit der Natur auseinanderzusetzen. Wir realisieren, wie sehr unser Leben vom Gleichgewicht der Natur abhängig ist. Wir haben während der Pandemie gelernt, die simplen Dinge zu schätzen und den Moment zu geniessen und in uns zu gehen. Das zeigt sich auch in der Fotografie: Sie wird eigener, persönlicher und eindringlicher.

«Künstliche Intelligenz ist in der Fotografie stark im Kommen» 

Wie steht es um die Fotografieszene in der Schweiz?
Fotografie, Kunst und Design in der Schweiz ist auf einem qualitativ sehr hohen Level. Ich habe lange in New York, Los Angeles und London gelebt. Mit diesen Städten kann die Schweiz sehr gut mithalten. Hier ist alles immer sehr präzise, was ich sehr schätze. Ich mag auch dieses reduzierte, minimale auf den Punkt gebrachte Design. Es gibt aber auch starke Fotografie und Kunst, die sehr wild ist.

Welche Trends sehen Sie aktuell in der Fotografie?
Künstliche Intelligenz ist stark im Kommen. Die Kunsthochschule Ecal in Lausanne, von der wir dieses Jahr Abschlussarbeiten zeigen, geht mit dem Thema Fotografie und Studium sehr spannend und progressiv um. Auch das bewegte Bild wird immer stärker und beliebter. Persönlich mag ich aber nach wie vor ein ruhiges Portrait oder Bild, bei dessen Betrachtung meine Gedanken abschweifen können.

Künstliche Intelligenz schafft auch Herausforderungen. Vor welche stellt sie die Fotografie?
Ich werde bei der renommierten Werbeagentur Wunderman Thompson zum Art Director ausgebildet und habe dort kürzlich mein erstes KI-Projekt realisiert. Es steckt alles noch in den Kinderschuhen, und auch mit den rechtlichen Fragen rund ums Copyright wird es noch viele Herausforderungen geben. Ähnlich ist es mit dem ethischen Ansatz. Es kann aber ein sehr spannendes Hilfsmittel werden, wie damals der Computer - man soll mit der Zeit gehen. Mir persönlich ist es einfach wichtig, dass ich den Computer bediene und nicht umgekehrt.

Was macht die Fotoflut auf Instagram mit Ihrem Beruf?
Ich denke, Instagram ist für die Fotografie wie Spotify und iTunes für die Musikindustrie. Es ist einfacher mitzumischen, aber es ist auch eine Herausforderung konstant mitzuhalten, da es eine totale Reizüberflutung mit sich bringt. Durch diese schiere Masse wird es auch schwierig mit der Wertschätzung. Letztendlich ist auch Instagram ein Tool für viele, sich selber zu zelebrieren. Ich finde es selbst auch spannend, Dinge zu entdecken. Man muss sich aber bewusst sein, dass Instagram einen auch negativ beeinflussen kann.

«Fotografien erzählen so viele Geschichten»

Was wäre die Welt ohne Fotos?
Ich kann und will mir eine Welt ohne Fotografie und Fotos nicht vorstellen. Ich kann zum Beispiel stundenlang durch Fotoalben stöbern, Fotografien erzählen so viele Geschichten. Ich liebe es auch immer wieder, neue Dinge in denselben Fotografien zu entdecken. Fotografie gibt die Ruhe und Stille, die wir brauchen, um zu verstehen.

Was wäre Ihr Leben ohne die Fotografie?
Fotografie und Kunst sind mein Leben, meine Leidenschaft, ohne die ich nicht sein möchte. Ich habe mit 15 Jahren mit der Fotografie begonnen, um dadurch für mich die Welt zu verstehen. Fotografie hat sehr viel mit Psychologie zu tun, man lernt so viel über das Leben und die Menschen. Ich bin eher introvertiert und schüchtern, und ich liebe es, stundenlang und immer wieder Portraits von Menschen anzuschauen.

Welcher Fotograf inspiriert Sie persönlich?
Das ist eine schwierige Frage. Ich mag so viele Fotografen und Künstler. Aber ich würde mal sagen «ich liebe» Nan Goldin, Diane Arbus, Wolfgang Tillmans, Nick Knight, Tim Walker, Guy Bourdin, Thomas Demand, Thomas Ruff, Jeff Wall, Robert Mapplethorpe, Cindy Sherman, Sally Mann, Rineke Dijkstra, Catherine Opie, Man Ray, Roger Ballen …. Oh Gott, ich liebe so viele!

Sie müssen sich für einen entscheiden.
Ok. Aktuell fasziniert mich Paul Kooiker. Seine Arbeiten sind so eigen und frisch, ich verfolge seine Arbeit schon lange. Von den Upcoming Fotografen bin ich total von Matthieu Croizier begeistert, er war vor ein bis zwei Jahren die «Wildcard» von Joshua Amissa. One to watch and follow.

Welches Bild möchten Sie noch unbedingt machen?
Ich würde sehr gerne in diesem Leben noch mit der Musikerin Björk zusammen Magie kreieren. Ein Kindheitswunsch, den ich immer noch habe.

 

Daniel Bolligers 24 «Best-ofs» von der Photo Schweiz 23:


Werkschau
Photo Schweiz, Halle 550, Zürich-Oerlikon. 6. bis 10. Januar 2023


*Daniel Bolliger arbeitet seit Jahrzehnten international als Fotograf, Post-Production Specialist und Creative Director im Bereich der Werbung und Kunst. Nach Stationen in New York, Los Angeles und London lebt er zurzeit in Zürich und wird zum Art Director (Konzept/Text/Bild) bei der Werbeagentur Wunderman Thompson ausgebildet. Der gebürtige Schweizer studierte Fotografie, Bildbearbeitung und Fine Arts an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) sowie im Austausch mit der Kunstakademie Düsseldorf mit Thomas Ruff als Mentor für eine Ausstellung im NRW-Forum Düsseldorf. Das Masterstudium absolvierte er an der School of Visual Arts in New York City. Dort wurde seine Abschlussarbeit für die Adobe Achievement Awards nominiert. Die Arbeit erregte international grosses Aufsehen und führte zu seinem beruflichen Durchbruch.



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