05.04.2020

Erik Nolmans

«Die Realität hat meine Fantasie übertroffen»

Der stellvertretende Chefredaktor der Bilanz hat im vergangenen Jahr einen Roman veröffentlicht, der von einer heimtückischen Lungenkrankheit in Venedig handelt. Eine Vorahnung?
Erik Nolmans: «Die Realität hat meine Fantasie übertroffen»
Erik Nolmans, bisher Autor bei der Bilanz, ist seit 2013 stellvertretender Chefredaktor des Schweizer Wirtschaftsmagazins. (Bilder: zVg.)
von Matthias Ackeret

Herr Nolmans, Sie beschreiben in Ihrem Roman «Die vierzig Tage der Lagune», der letztes Jahr erschienen ist, wie eine heimtückische Lungenkrankheit in Venedig ausbricht und die ganze Lagune unter Quarantäne gestellt werden muss. Hatten Sie eine Vorahnung, dass dies einmal eintreten könnte?
Nein, in diesem Ausmass sicher nicht. Auch ich war überrascht, dass die Szenarien in meinem Buch von der Realität sogar noch übertroffen werden. Das ist schon erschreckend.

Wie kamen Sie auf diese Idee?
Die Idee zum Roman entstand, nachdem ich an einem der exklusiven Karnevalfest der Einheimischen teilnehmen durfte. Es gab einen Moment an diesem Abend, wo ich dachte: Was wäre, wenn man die rund 200 Gäste auf eine Insel verpflanzen würde und dann etwas passiert, was die Leute zwingt, dort zu bleiben? Zum Beispiel der Ausbruch einer hochansteckenden Lungenkrankheit. Es hatte zunächst also einmal dramaturgische Gründe. Daneben war es aber schon auch sehr stark Venedig selbst, das mich auf die Themen Krankheit und Quarantäne brachte.

«Das Wort Quarantäne hat ja seinen Ursprung in Venedig»

Inwiefern?
Das Wort Quarantäne hat ja seinen Ursprung in Venedig. Quaranta giorni – vierzig Tage – mussten Verdachtsfälle früher auf einer Isolierinsel ausharren, bevor sie in die Stadt durften. All diese Sachen sind tief ins historische Gedächtnis der Bevölkerung eingebrannt. Es gab in der Stadt ja immer wieder verheerende Seuchenzüge, bei denen bis zu drei Fünftel der Bevölkerung starben. Man begegnet den Themen auf Schritt und Tritt, in der Kunst, in der Malerei, sogar in den Bauwerken.

Ein Beispiel?
Die prächtige Kirche Santa Maria della Salute am Ende des Canal Grande etwa wurde als Dank für das Ende des Pestzugs von 1628 gebaut. Die Patrizierfamilien spendeten damals einen Grossteil ihres Vermögens, in der Hoffnung, mit diesem kirchlichen Ablasshandel verheerende Krankheiten ein für allemal von der Stadt fernzuhalten. Hat nicht geklappt, wie man jetzt sieht.

Cover Die vierzig Tage der Lagune

Ihre Frau stammt aus Venedig und Sie haben viele Bekannte dort. Wie erleben Ihre angeheirateten Verwandten die ganze Situation?
Auch von unseren Verwandten und Freunden sind einzelne am Virus erkrankt. Gestorben ist aber niemand. Aber es gab Fälle mit Komplikationen. Eine gute Freundin hat komplett den Geruchs- und Geschmacksinn verloren.

Stehen Sie im Kontakt mit ihnen?
Ja, vor allem via WhatsApp.

«Die Leute haben Angst um ihre Arbeitsplätze und um ihre Firmen»

Wie muss man sich das Leben momentan in Venedig vorstellen?
Die Stadt, die sonst vor Touristen überquillt, ist jetzt praktisch menschenleer. In den Gassen und auf den Plätzen sei man «allein mit den Tauben und Möwen», wie es eine Verwandte formuliert hat. Manche sehen positive Aspekte, sagen, dadurch werde einem die Schönheit der Stadt erst wieder richtig bewusst. Aber mehrheitlich überwiegt schon die Furcht, nicht nur vor der Krankheit selbst, sondern vor allem auch vor dem enormen wirtschaftlichen Schaden, der Italien jetzt bevorsteht. Die Leute haben Angst um ihre Arbeitsplätze und um ihre Firmen.

Hauptberuflich sind Sie stellvertretender Chefredaktor der Bilanz. Wie fest beeinträchtigt die ganze Krise Ihren beruflichen Alltag?
Die gesamte Redaktion arbeitet schon seit dem 10. März im Homeoffice. Interviews finden praktisch nur noch per Telefon oder Videokonferenz statt. Aber als Journalist kann man im Grunde gut zu Hause arbeiten, das ist kein Problem. Sorgen machen auch uns mehr die wirtschaftlichen Folgen. Viele Firmen haben ihre Inserate storniert oder verschoben. Ob es gelingt, diese Einnahmeausfälle auszugleichen, ist noch nicht absehbar. Es kommt sehr darauf an, wie lange der Lockdown bleibt. Hoffen wir das Beste.



Das Buch «Die vierzig Tage der Lagune» erschien 2019 im Münster-Verlag in Basel



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