23.09.2023

Niklaus Meienberg

«Er fiel zwischen Stuhl und Bank»

Vor 30 Jahren schied der Schriftsteller und Journalist Niklaus Meienberg aus dem Leben. Der Literaturkritiker Julian Schütt begleitete ihn in der letzten Lebensphase. Seine Erinnerungen.
Niklaus Meienberg: «Er fiel zwischen Stuhl und Bank»
«Er hätte vielleicht ins Leben zurückgefunden, wenn ihm die richtige Person begegnet wäre»: Julian Schütt (kleines Bild) über Niklaus Meienberg. (Bilder: Keystone und zVg)

Herr Schütt, Niklaus Meienberg wünschte Sie sich als «Nachlassverwalter». Wie kamen Sie zu diesem Job?
Ich war eigentlich sein Lektor und selber überrascht, als er mich an einem Essen mit Max Frischs früherer Partnerin Marianne Frisch plötzlich als sein Nachlassverwalter vorstellte. Er bestellte mich am Schluss immer öfter zu sich, um seine Papiere zu ordnen.

Wie haben Sie seinen Tod erlebt?
Überrascht war ich nicht, weil er häufig davon sprach, dass ihm das Leben und Schreiben verleidet seien. Dennoch war ich schockiert über die Todesart: über den Kehrichtsack, den er sich zuletzt über den Kopf stülpte. Das zeigt, wie unversöhnt er ging, unversöhnt mit sich und dem Rest der Welt.

Hätte man den Selbstmord verhindern können?
Er hätte vielleicht ins Leben zurückgefunden, wenn ihm die richtige Person begegnet wäre, eine Frau, die sein desolater Zustand nicht überfordert hätte. Aber da ist etwas viel Konjunktiv in dem Satz.

«Manche der von ihm beleidigten oder enttäuschten Freunde konnten nicht mehr über ihren Schatten springen und ihm wirksam beistehen»

Sie schreiben in einem grossen Artikel in den Zeitungen von CH Media, dass Meienberg am Schluss einsam war und sich seine linken Freunde von ihm abgewandt hätten. Woran liegt das?
Bei aller verständlichen Angst vor einem Atomschlag drehte Meienberg im Golfkrieg 1991 phasenweise durch. Wer ihm nicht bedingungslos folgte, den betrachtete er als Gegner und kündigte die Freundschaft. Als es ihm dann immer schlechter ging, konnten manche der von ihm beleidigten oder enttäuschten Freunde nicht mehr über ihren Schatten springen und ihm wirksam beistehen. Sie hatten ein fixes Bild von Meienberg, dem er nicht mehr entsprach.

Haben Sie Meienberg in seiner Wohnung aufgefunden?
Ich hätte ihn zwar finden sollen, und er hinterliess mir verschiedene Anweisungen, was posthum noch zu erledigen sei. Aber zum Glück kam mir sein Neffe Dominique Meienberg zuvor. Er fand ihn.

Was passierte dann wirklich mit Meienbergs Nachlass?
Der Nachlass kam ins Schweizerische Literaturarchiv – eigentlich die ideale Lösung. Aber Meienberg hat eben kurz vor seinem Tod verschiedene Papiere und Briefe gesondert abgelegt und mit mir besprochen, was damit zu tun sei. Und deshalb hat er mir im Testament ein Verfügungsrecht eingeräumt, damit ich seinen letzten Willen möglichst umsetzen kann. Leider galt dieser letzte Wille Meienbergs nach seinem Tod nicht mehr viel, und darum liessen sich die von ihm gewünschten Projekte nicht realisieren.

«Jüngeren Journalistinnen und Journalisten ist der Name Meienberg kaum noch ein Begriff»

Sie sind Literaturkritiker bei CH Media und früher bei SRF, bei der Weltwoche und dem Tagesanzeiger. Welchen Stellenwert hat Meienberg heute noch?
Bei ihm wirkt sich etwas negativ aus: Was seine Sprache und Fantasie angeht, war er ein Schriftsteller, aber präsent war er vor allem als Journalist, und journalistische Werke sind nun einmal flüchtig. Er fiel zwischen Stuhl und Bank: Im Literaturbetrieb blieb er ein Poltergeist, der in der neuesten Schweizer Literaturgeschichte nicht einmal mehr erwähnt wird. Aber auch wenn ich jüngere Journalistinnen und Journalisten frage, ist ihnen der Name Meienberg kaum noch ein Begriff.

Halten Sie ein Meienberg-Revival für denkbar?
Für mich hat wohltemperierter Journalismus, der sich in Korrektheit erschöpft, keine Zukunft. Insofern kann ein Autor wie Niklaus Meienberg, der sich beim Schreiben derart einbrachte und aussetzte, nur ein Vorbild sein. Aber sein Verlag müsste endlich etwas für ihn tun, nämlich seine Werke in günstigen Taschenbuchausgaben herausbringen und mit zeitpolitischen Anmerkungen versehen, damit auch ein junges Publikum ihn wieder entdeckt und versteht.


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KOMMENTARE

Thomas Schöb
24.09.2023 18:33 Uhr
Niklaus Meienbergs Stil ist einzigartig und im deutschsprachigen Journalismus der Nachkriegszeit unerreicht. Die meisten Themen, zu denen Meienberg recherchierte, sind nach wie vor relevant. Wer dies bezweifelt, soll im Kontext des Krieges in der Ukraine und der damit verbundenen Schweizer Verlegenheiten die Reportage "Zug, sein Charme und seine Zuzüger" lesen. Und wer sich über die Nervosität rund um die Kunstsammlung von Emil Bührle im Zürcher Kunsthaus wundert, hat Meienbergs wichtigste Reportage nicht gelesen: "Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.". – Ja, es ist wirklich bedauerlich, dass sein Verlag so wenig unternimmt, um die Relevanz von Meienbergs Werk für die Gegenwart aufzuzeigen.
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