26.03.2014

Dokfilm

"Es war ein Sprung ins kalte Wasser"

Noël Dernesch und Moritz Springer über ihren Reggae-Film "Journey to Jah".
Dokfilm: "Es war ein Sprung ins kalte Wasser"

Letzten Donnerstag war die grosse Premiere des Dokumentarfilms "Journey to Jah" über die europäischen Reggae-Künstler Gentleman und Alborosie. Die Regisseure Noël Dernesch (Schweiz) und Moritz Springer (Deutschland) haben während sieben Jahren hautnah miterlebt, was es heisst, in eine schwarze Kultur einzutauchen. Dabei entstand ein Film, der nicht bloss über das Kiffen und die Rastas aufklärt, sondern auch tiefgründig über Rassismus, Gewalt und Spiritualität berichtet.

Auf ihrer Reise durch Jamaika und das Leben mit der Musik begegneten die Regisseure unter anderem auch jamaikanischen Musikgrössen wie Damian Marley, Sohn des legendären Bob Marley, Jack Radics und Richie Stephens. Aber auch Natty, der langjährige Fahrer und Freund von Gentleman, ist Protagonist und bietet Einblicke in die jamaikanischen Ghettos. Persoenlich.com hat sich mit den beiden Regisseuren am Rande der Premiere unterhalten.

Herr Springer, wer hatte die Idee zum Film und wie haben Sie mit Noël Dernesch zusammen gefunden?  
Springer: Ich war nach dem Abitur in Äthiopien gelandet, dem heiligen Land der Rastas, wo ich deren Kultur kennengelernt habe. Die Verbindung zwischen Musik, Spiritualität, Bibel und Kiffen hat mich neugierig gemacht. Das war 2002. Ich wollte mich mit Weissen, die sich für eine schwarze Kultur interessieren, auseinandersetzen. Zu dem Zeitpunkt habe ich in der Schweiz gelebt und bin so mit Noël zusammengekommen. Die Idee war da noch sehr grob und wir begannen sie zusammen zu entwickeln. Danach wurde relativ schnell klar, dass wir Gentleman dabei haben wollen, weil er in Europa derjenige ist, der das am meisten verkörpert.

Dernesch (interveniert): Ich muss dazu sagen, dass ich eigentlich überhaupt nicht der Reggae-Fan bin. Ich hatte am Anfang auch sehr Mühe mit diesem Thema.  Es gab so viele Widersprüche, weshalb ich mir lange überlegt habe, ob ich so viel Zeit meines Lebens investieren will. Was mich schlussendlich persönlich motiviert hat, waren die Menschen, die wir getroffen haben, aber auch genau diese Widersprüche und auch die Klischees zu hinterfragen. Was steckt hinter "One love" und "Unitiy"?

Somit brauchte es zuerst noch einige Überzeugungsarbeit? 
Springer: Das persönliche Interesse aneinander war von Beginn weg da. Es hat auch eine Reibung stattgefunden, die dem Film gut tat. Mich interessierten vor allem die Menschen, die auf die Suche nach der Spiritualität gingen. Und Noël war eher derjenige, der alles in einen grösseren Kontext setzte. Überzeugen mussten wir andere Menschen.

Wie sind Sie dann auf Gentleman zugegangen? 
Springer: Das lief ganz normal übers Management. Es hat aber ein Jahr gedauert, bis wir bei ihm im Studio in Köln standen.

Welche Eindrücke hatten Sie bei Ihrem ersten Jamaika-Aufenthalt? 
Dernesch: Es war ein Sprung ins kalte Wasser. Wir waren nicht wirklich fokussiert, sondern sind einfach mal eingetaucht. All diese Eindrücke, diese Farben, Formen und Gerüche - es ist eine sehr eigene Welt. Nach und nach, mit jedem weiteren Besuch, haben wir mehr Leute getroffen und viel Gespräche geführt, womit auch der Fokus des Filmes immer klarer und konkreter wurde.

Es seien Schüsse während den Dreharbeiten gefallen. Da spielt auch die Angst eine Rolle. Welches waren die Hauptprobleme bei den Dreharbeiten? 
Dernesch: Ich habe schon an sehr vielen Orten auf der Welt gedreht, aber noch nie in einem Land, wo es so wahnsinnig schwierig war wie in Jamaika. Einerseits, weil die Menschen sehr kamerascheu und teilweise auch sehr aggressiv sind, andererseits weil die Gewalt omnipräsent ist. Terry Lynn (Anm. d. Red.: Sängerin und Freundin von Gentleman) in Waterhouse oder auch Natty in Seaview haben uns geholfen, das Vertrauen zu den Menschen aufzubauen.

Springer: Die Gewalt ist schon allgegenwärtig. Im Film kommt die Geschichte von Richie Stephens und seinem Sohn auf, der in einem reichen Viertel wegen einem Blackberry erschossen wurde. Dann hast du plötzlich einen Menschen vor dir, für den sich das Leben durch dieses Ereignis grundlegend verändert hat. Das hat mich persönlich total berührt. Da merkst du, dass wir hier in einer ganz anderen Welt leben.

Dernesch: Und das Krasse in Jamaika ist, dass die Stimmung von einer Sekunde auf die andere komplett kippen kann. Es ist immer eine latente Spannung in der Luft. Als ich im Flugzeug zurück nach Europa sass, ist jeweils die ganze Anspannung von mir runtergefallen.

Was wollten Sie mit dem Film näherbringen? Auf welches Thema haben Sie Ihr Hauptaugenmerk gesetzt? 
Dernesch: Es geht schlussendlich um eine spirituelle Suche, aber auch um die grossen Fragen des Lebens. Wir haben hier zwei Weisse begleitet, die in eine schwarze Kultur eintauchten und mit vielen Themen konfrontiert wurden. Was mich so fasziniert hat, sind die Menschen mit den unterschiedlichsten Lebensbedingungen, aber mit denselben Ängsten, Sehnsüchten und Wünschen.

Springer: Aber auch auf die Verbundenheit mit der Spiritualität, die für mich stellvertretend für die wesentlichen Dinge im Leben steht. Unsere Protagonisten setzten sich genau mit diesen Dingen auseinander.

Wie stehen Sie persönlich zur Religion? 
Springer: In unserer Gesellschaft haftet an Religion und Glauben so etwas muffiges Altes, aber auch Konservatives. Ich würde da nicht von Glauben, sondern eher von einer Spiritualität sprechen. Ich bin ein spiritueller und politischer Mensch - und das geht irgendwie gut zusammen.

Mit welchen Mitteln konnten Sie das Projekt realisieren? 
Dernesch: Die Finanzierung war einer der Gründe, weshalb das Projekt so lange gedauert hat. Es war nicht einfach Geld zu generieren, gerade weil viele Filmförderungen nicht gerade begeistert waren vom Thema Reggae. Schlussendlich wurden wir vom Bundesamt für Kultur, der Zürcher Filmstiftung, von Medienburg Berlin-Brandenburg und dem Deutschen Filmförderfonds gefördert. Zudem haben wir 2011 eine Kickstarter-Kampagne lanciert, wobei uns nicht ganz bewusst war, auf was wir uns einlassen. Neben der immensen Arbeit war dies gleichzeitig auch eine super Promo für den Film, was wir zunächst extrem unterschätz haben. Wir erhielten Spenden aus aller Welt. Es wurden auch bereits Zeitungsberichte im Rahmen dieser Crowdfounding-Kampagne publiziert.

Wie viel Geld haben Sie dadurch generieren können? 
Dernesch: 60'000 Franken oder etwas mehr.

Sie haben am Zürcher Filmfestival den Publikumspreis erhalten. Was bedeutet dieser für Sie? 
Dernesch: Für mich persönlich war diese Nacht etwas ganz spezielles. Einerseits war es ein absoluter "Homerun", andererseits auch ein Kreis, der sich schloss. Hier in Zürich hat alles angefangen. Auch Laurin Merz, unser Co-Produzent, kommt wie ich aus Zürich. So den Film beginnen zu dürfen und gleich auf dem ersten Festival den Publikumspreis zu erhalten, war für mich das Schönste.

Springer: Das Schöne ist ja auch, dass es nicht der Publikumspreis der Dokumentar-Film-Sektion war, sondern derjenige aller Filme. Wir haben also auch mit den Spielfilmen konkurriert.

Können Sie rückblickend sagen, dass Sie Ihr Ursprungskonzept eingehalten und erfüllt haben? 
Dernesch: Was heisst schon Ursprungskonzept? Ich glaube, wenn man einen Dokumentarfilm machen will, muss man flexibel bleiben und mitfliessen. Das Ziel in dem Sinne (überlegt)... das Ziel war der Weg. Es war wirklich eine Reise, eine Journey. Der Film entstand schlussendlich auch im Schnitt. Wir hatten 120 Stunden Filmmaterial gehabt. Es ist ein schönes Gefühl, dieses Baby nach sieben Jahren in die Welt rausballern zu können.

Sind weitere gemeinsame Projekte in Planung, oder haben Sie genug voneinander? 
Dernesch: Es war eine intensive Reise zusammen. Mein nächstes Projekt ist auf jeden Fall ein Spielfilm, woran ich auch schon arbeite.

Springer: Ich arbeite zurzeit an einem Dokumentarfilm über Anarchismus. Dabei ist schon ein grosser Teil abgedreht, und wir haben soeben angefangen zu schneiden. 

Interview: Marco Lüthi, Bilder: Janine Lüthi

Lesen Sie auch das Interview mit Gentleman.



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